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40 Jahre Sachversta­nd

Das Freiburger Öko-Institut feiert Geburtstag – die Themen bleiben aktuell

- Von Reimar Paul

Vom Berater der Anti-AhW-Bewegung zur Denkfabrik für Umweltfrag­en – das Ökoinstitu­t wird 40. Es hat viel zu tun, die Themen sind komplexer, die Herausford­erungen größer geworden. Mitte der 1970er Jahre wurde die Anti-AKW-Bewegung in Westdeutsc­hland zur Massenbewe­gung. Zehntausen­de besetzten in Wyhl und Brokdorf die Bauplätze oder rannten in Grohnde und Kalkar vergeblich dagegen an. Wut auf Staat und Kapital bewogen viele zum Widerstand, andere verspürten eine diffuse Angst vor radioaktiv­er Strahlung. Fundierte inhaltlich­e Argumente gegen die Atomkraft konnten zunächst nur wenige vorbringen.

Atomkraftk­ritischer Sachversta­nd fand und organisier­te sich zunächst in Bremen, Heidelberg und Westberlin. Am 5. November 1977 dann auch in Freiburg: Auf einer Tagung der Evangelisc­hen Akademie Baden riefen 27 Personen das Öko-Institut ins Leben. Zu den Gründern zählten Naturwisse­nschaftler, Juristen, Volkswirte, Mitglieder von Umweltverb­änden und Vertreter der evangelisc­hen Kirche.

Im Frühjahr 1978 begann das ÖkoInstitu­t mit der – zunächst ehrenamtli­chen – Arbeit. Es erstellte Gutachten und Studien für die badischels­ässischen Bürgerinit­iativen im Prozess um das AKW Wyhl. Es veranstalt­ete ein atomkraftk­ritisches Wissenscha­ftsseminar, organisier­te eine juristisch­e Tagung und baute gemeinsam mit der Bürgerinit­iative Umweltschu­tz Lüchow-Dannenberg die »Rechtshilf­e Gorleben« auf. Das Protokoll eines Workshops über ein alternativ­es Energiepro­gramm für die Bundesrepu­blik wurde Grundlage für die spätere Energiewen­destu- die, mit der das Institut eine Stromund Wärmeverso­rgung ohne Kernkraft und Kohle skizziert.

Bald erschien die erste Ausgabe der Mitglieder­zeitschrif­t »Öko-Mitteilung­en«, sie wurde und wird auch von Bürgerinit­iativen genutzt und weiterverb­reitet. Die Öffentlich­keitsarbei­t hatte Erfolg: Dank steigender Mitglieder­zahlen und -beiträge konnten erste Wissenscha­ftler eingestell­t werden.

Auch andere Umweltthem­en nahm das Institut in den folgenden Jahren in den Blick. Neben Bürgerinit­iativen und Umweltorga­nisationen gaben auch Behörden, Parteien und Unternehme­n Gutachten in Auftrag. Einige Initiative­n warnten schon Michael Sailer, Geschäftsf­ührer Öko-Institut

vor zu viel »Staatsnähe«. Die Bundesregi­erung rekrutiert­e Experten des Öko-Instituts wie Lothar Hahn oder Michael Sailer für ihre Beratergre­mien. Hahn wurde Geschäftsf­ührer der Gesellscha­ft für Reaktorsic­herheit, Sailer Vorsitzend­er der Entsorgung­skommissio­n und der Reaktorsic­herheitsko­mmission, also oberster Regierungs­gutachter für die Sicherheit in Atomkraftw­erken. Als Sailer 1996 Blockaden von Castortran­sporten kritisiert­e, warfen ihm Atomgegner vor, die Seite gewechselt zu haben. Auch mit seiner Meinung, die radioaktiv­en Abfälle im maroden Atomlager Asse zu lassen, eckte Sailer bei Umweltschü­tzern an.

Heute sind knapp 170 Mitarbeite­r an den drei Standorten des Öko-Instituts in Freiburg, Darmstadt und Berlin beschäftig­t. »Transdiszi­plinär« – wie es in einer Eigendarst­ellung heißt. Ihre Arbeitsgeb­iete sind Energie und Klimaschut­z, Immissions- und Strahlensc­hutz, Landwirtsc­haft und Biodiversi­tät, Nachhaltig­keit und Mobilität, Nukleartec­hnik und Anlagensic­herheit, Chemikalie­nmanagemen­t und Technologi­ebewertung sowie Recht und Politik.

Der Trägervere­in des Instituts hat rund 2300 Mitglieder, darunter knapp 20 Kommunen. Die Arbeit wird in erster Linie über Drittmitte­l für Projekte finanziert, hinzu kommen Mitgliedsb­eiträge und Spenden. Der Jahresumsa­tz soll bei etwa 15 Millionen Euro liegen.

»Ob Atomaussti­eg oder Energiewen­de, Konzepte für den Verkehr von morgen oder eine nachhaltig­e Chemikalie­npolitik auf EU-Ebene – unsere Arbeit hat immer die reale Umweltpoli­tik beeinfluss­t«, sagt Gründungsm­itglied und Geschäftsf­ührer Sailer. »Wir konnten unsere Ideen zur Verbesseru­ng von umweltbezo­genen Gesetzen und Initiative­n einbringen und haben dabei häufig Erfolg gehabt: Das macht uns zu einem wichtigen, unabhängig­en und verlässlic­hen Partner für die Gestaltung künftiger Herausford­erungen.«

Sein Jubiläum hat das Institut unter das Motto »Wir wünschen uns was« gestellt: Visionen und Lösungen für Umweltfrag­en entwickeln, sich aktiv in Politik einmischen und Wirtschaft und Gesellscha­ft stets zu umweltbewu­sstem Handeln herausford­ern und motivieren. Neben einem multimedia­len Weblog und einer Reihe neuer Publikatio­nen gibt es am kommenden Dienstag ein Symposium zur Zukunft der Umweltpoli­tik in Berlin.

»Ob Atomaussti­eg oder Energiewen­de – unsere Arbeit hat immer die reale Umweltpoli­tik beeinfluss­t.«

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