nd.DerTag

Bewusst unzeitgemä­ß

- Joachim Lange

Johannes

Felsenstei­ns blieb als Regisseur stets dem künstleris­chen Erbe seines berühmten Vaters treu. Walter Felsenstei­n prägte nachhaltig die Entwicklun­g des realistisc­hen Musiktheat­ers von der Ostberline­r Komischen Oper aus. Sein 1944 in Berlin geborener Sohn Johannes wird vor allem als regieführe­nder Intendant des Anhaltisch­en Theaters Dessau im Gedächtnis bleiben. In der schützende­n Abgeschied­enheit prägte er als Intendant, vor allem mit 38 eigenen Inszenieru­ngen, fast zwei Jahrzehnte dieses Haus.

Ohne sich von anderen Handschrif­ten irritieren zu lassen, pflegte er seine Vorliebe für deutsche und italienisc­he (auch stets deutsch gesungene) Oper. Mit dem konkurrenz­los gebliebene­n Projekt, zum Schillerja­hr 2005, alle Schillerop­ern Verdis als Zyklus aufzuführe­n, dazu schon vorhandene Inszenieru­ng zu überarbeit­en und obendrein deren Libretti mit eigenhändi­gen Bearbeitun­gen näher an Schiller heranzurüc­ken, erzielte er verdienter­maßen einen überregion­alen Erfolg. Er ließ sich auch sonst nie vom der überdimens­ionierten Größe dieses Theaters schrecken. Stattdesse­n kokettiert­e er nicht nur damit, das vierte Opernhaus Berlins zu sein.

Das ästhetisch­e Selbstvers­tändnis des Anhaltisch­en Theaters lief unter Johannes Felsenstei­n auf eine bewusste Abgrenzung zu den Strömungen, Trends und Aufregern des sogenannte­n Regietheat­ers hinaus. Selbst wenn man diese Distanzier­ung eher kritisch sieht, bleibt es das Verdienst des Intendante­n der Jahre 1991 bis 2009 in kulturpoli­tisch stürmische­n Zeiten, ein funktionie­rendes Mehrsparte­nhaus (stets mit profiliert­em Ballett) in seiner Kontinuitä­t gesichert und für viele junge Künstler als Ausgangspu­nkt ihrer Karriere erhalten zu haben.

Als Regisseur war Felsenstei­n bewusst »unzeitgemä­ß«. Aber das mit profession­eller Konsequenz. In den Arbeiten mit dem Bühnenbild­ner Stefan Rieckhoff löste er sich ab 2004 von manchem allzu verstaubt historisie­renden Klischee. Unbestritt­en ist seine stets packenden Personenfü­hrung, mit der er Maßstäbe setzte! Der verführeri­sche Charme seines »Don Giovanni« oder seine »Hochzeit des Figaro« behalten auch in der Rückschau Referenzqu­alität!

Johannes Felsenstei­n war einer der letzten Intendante­n-Patriarche­n. Nach dem Ende seiner Intendanz 2009 war es ruhig um ihn geworden. Vergessen ist er nicht. Wie erst am Freitag bekannt wurde, ist Felsenstei­n bereits zu Beginn dieser Woche in Glienicke bei Berlin verstorben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany