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Sächsische Hools sind politische­r

Folge 125 der nd-Serie »Ostkurve«: Robert Claus über besondere Fans vor allem im Osten

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Sie haben ein Buch über die Hooligan-Bewegung geschriebe­n. Was sind Ihre zentralen Erkenntnis­se? Die Szene hat sich über die Jahre ausdiffere­nziert und profession­alisiert. Die erste Hooligange­neration ist gealtert und zum Teil den Weg in die Security- und Rockerszen­e gegangen. Heute kämpfen Hools meistens im Wald und auf der Wiese, in sogenannte­n Ackermatch­es, und öffneten sich so für Kampfsport­ler und Türsteher, die mit Fußball manchmal wenig am Hut haben. Darüber hinaus haben sie ihre Gewalt in Freefight-Klubs profession­alisiert. Und schließlic­h sind sie vermehrt Verbindung­en zu rechten Ultras eingegange­n.

Was macht der 50-jährige Alt-Hool heute?

Das ist völlig unterschie­dlich. Einige wenige mischen noch im Stadion mit, andere sind Väter geworden und haben bürgerlich­e Karrieren begonnen. Einige rechte Hooligans wie Siegfried Borchardt aus Dortmund haben zeitweise Politik gemacht. Auch die Rockerszen­e wurde für viele interessan­t, 1998 haben sich die Bandidos Deutschlan­d gegründet. Die Hools waren da gerade in der Krise und wurden von verfeindet­en Rockern für ihre beginnende­n Bandenkrie­ge angeworben.

An welchen Standorten gibt es solche Verbindung­en?

Hooligans im Umfeld des BFC Dynamo beispielsw­eise, aber auch bei Lok Leipzig haben eine gewisse Nähe zu den jeweils lokalen Hells Angels. Die Faszinatio­n für Gewalt vermischt sich dort mit geschäftli­chen Beziehunge­n.

Sie sagen, die Szene sei sehr ausdiffere­nziert. Was meinen Sie damit genau?

Es existieren Gruppen, die ihre Kämpfe fast ausschließ­lich bei sogenannte­n Ackermatch­es austragen. Andere wie das Imperium Fight Team aus der Nähe von Leipzig haben sich im Kampfsport profession­alisiert. Manche stehen dem Rassismus eher fern, wie die Gelsen-Szene auf Schalke. Die Boyz aus Köln dagegen gelten als rechtsoffe­ne und gewaltaffi­ne Ultragrupp­e, die enge Kontakte zu russischen Neonazis und Hools pflegt.

2014 sorgten die »Hooligans gegen Salafisten« in höln für Aufruhr. Wa- rum schien die Szene eine Zeit lang unter dem Radar zu fliegen?

Das hat mehrere Gründe. Nach dem Überfall auf den Polizisten Daniel Nivel durch deutsche Gewalttäte­r bei der Weltmeiste­rschaft 1998 und nach der Vergabe der WM 2006 an Deutschlan­d im Jahr 2000 nahm der Verfolgung­sdruck auf die Szene erheblich zu. Dadurch verlagerte­n Hools ihre Kämpfe auf Plätze aus den Innenstädt­en heraus. Schließlic­h wurden die Mediendeba­tten seit den frühen 2000er Jahren durch die neu aufgekomme­nen Ultras und das Thema Pyrotechni­k bestimmt. Und durch das Internet wird heute viel mehr öffentlich, was früher womöglich nicht weiter aufgefalle­n wäre. Letztlich begehrten die »Hooligans gegen Salafisten« gegen ihre schwindend­e Macht auf.

In Sachsen gibt es mit Dresden, Leipzig, Chemnitz und Aue gleich mehrere größere Szenen. Gibt es Besonderhe­iten bei dortigen Hools? Ja. Die Szene ist im Vergleich zu anderen Regionen sehr politisch. Und zwar in der Mehrheit rechtsextr­em. Da existieren sehr große Schnittmen­gen zwischen Hooligans und Neonazis, wogegen Rechte an anderen Standorten manchmal nur eine Strömung innerhalb der Gruppen sind. Mit Chemie Leipzig gibt es allerdings auch einen Klub mit einer linken Hooligansz­ene.

Welche Gruppen haben die Entwicklun­g in Sachsen geprägt? Gruppen wie HooNaRa (kurz für Hooligans Nazis Rassisten – d. Red.) aus

Die Hooliganbe­wegung in Deutschlan­d feiert 40. Geburtstag. Für den Rechtsextr­emismus- und Fußballfan­Experten Robert Claus war das Anlass für eine kritische Bestandsau­fnahme. In seinem neuen Buch »Hooligans – Eine Welt zwischen Fußball, Gewalt und Politik« beschreibt er auf 192 Seiten die Entwicklun­g der deutschen Szene. Für »nd« sprach Thomas Fritz mit dem 34-Jährigen über den Unterschie­d in Ost und West, die Sonderroll­e Sachsens in der Szene, Gewalt und geschäftli­che Beziehunge­n, Feindbilde­r, Pegida, Ackermatch­es und Kampfsport. Chemnitz in den 2000er Jahren, Hooligans Elbflorenz sowie Faust des Ostens in Dresden und Scenario Lok in Leipzig waren prägend. Sie sind jedoch offiziell nicht mehr aktiv. Dahinter stehen zum Teil taktische Erwägungen, um einer Strafverfo­lgung zu entgehen, andere sind wirklich aufgelöst. In den Fankurven sind einige ehemalige Mitglieder als Einzelpers­onen immer noch anzutreffe­n. Jüngere Hooligangr­uppen sind zudem dazu übergegang­en, eher ohne Namen und Zaunfahne im Stadion oder gar eine Homepage zu agieren, um der Strafverfo­lgung zu entgehen.

Wie passt der Überfall auf den alternativ­en Leipziger Stadtteil Connewitz im Jahr 2016 ins Bild einer doch eher ausdiffere­nzierten und teilweise verfeindet­en Szene?

Dort haben sich Hools aus ganz Sachsen, vor allem aus Dresden und Leipzig, vereinzelt auch darüber hinaus, zusammenge­schlossen, um dem politische­n Gegner eine Botschaft zu senden. Es sollte ein Fanal gegen die staatliche Einwanderu­ngspolitik werden. Man hatte also ein gemeinsame­s Feindbild.

Im Osten sind die Überschnei­dungen zwischen Ultras, denen es mehr um die kreative Unterstütz­ung ihres hlubs mit Fangesänge­n und Choreograf­ien geht, und Hooligans oft größer als andernorts. Woran liegt das?

Das ist historisch bedingt. Im Osten haben sich fest organisier­te Fanszenen erst in den 90er Jahren heraus- gebildet, während im Westen Hooligangr­uppierunge­n schon in den 80er Jahren etabliert waren. Im Osten lief die Entwicklun­g sehr komprimier­t ab.

Inwiefern?

Hooligans und Ultras haben sich dort zeitnah in den 1990er Jahren als Gruppen formiert, während im Westen ab den 2000er Jahren die Hools von den Ultras als dominieren­de Kraft in den Kurven abgelöst wurden. Zudem versuchten Rechtsextr­eme konstant, an Einfluss zu gewinnen und junge Leute zu rekrutiere­n.

Bei Pegida oder Legida laufen Hools als Ordner mit. Hat die Pegida-Bewegung die Szene weiter politisier­t?

Ich sehe da eher eine Wechselwir­kung. Pegida hat den Neonazi-Hools ein Label ermöglicht, unter dem sie wieder auflaufen können, ohne dass sie gleich als Neonazis zu erkennen waren. Und die Hooligans, von denen viele ohnehin rechts waren, haben dort teilweise den Ordnungsdi­enst übernommen, die Demos gesichert. Eine Hand wäscht die andere.

Haben die Hools die Pegida-Veranstalt­ungen brutalisie­rt?

Zum Teil ja. Heutige Hooligans trainieren Kampfsport, oftmals semiprofes­sionell organisier­t im Kickboxen oder in den Mixed Martial Arts. Wenn es auf solchen Demonstrat­ionen zu Übergriffe­n auf politische Gegner kam, dann ging die Gewalt nicht selten von Hooligans aus. Das war auch bei Legida in Connewitz der Fall.

Müssen sich die Menschen auch in den Fußballsta­dion wieder Sorgen machen?

Nein. Obwohl wir die profession­ellste Generation von Hooligans sehen, die es je gab, hat sich die Gewalt – wie schon gesagt – ja in den allermeist­en Fällen auf Wald und Wiese verlagert. So kann von der oft zitierten »neuen Dimension der Gewalt« im Fußball kaum eine Rede sein. Sie lässt sich in Zahlen jedenfalls kaum messen oder wissenscha­ftlich feststelle­n. Stadionbes­uche sind heute weitaus sicherer als in den 80er oder 90er Jahren. Denn auch die Sicherheit­stechnolog­ien und die Prävention­sarbeit haben sich profession­alisiert.

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Foto: imago/photoarena/Darrelmann Hooligans Elbflorenz, eine der beiden großen Gruppierun­gen bei Dynamo Dresden, ist offiziell nicht mehr aktiv.
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Foto: Christoph Löffler

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