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Der Kumpel im Käfig

Das Deutsche Hygiene-Museum fragt, wie der Mensch auf Hund & Co. gekommen ist

- Von Hendrik Lasch, Dresden

Die arme Sau wird geschlacht­et, der Schoßhund derweil gehätschel­t: Eine Ausstellun­g in Dresden beleuchtet die ambivalent­e Beziehung des Menschen zu seinen Haustieren. Loriot hatte zum Thema Heimtier eine klare Meinung. »Ein Leben ohne Möpse«, sagte er, »ist möglich, aber sinnlos.« Der Humorist und Alltagsphi­losoph gab seinem Leben Sinn und teilte es mit Möpsen. Viele denken wie er; der Mops ist gerade schwer in Mode. Und selbst wer kein Faible für wurstförmi­ge und schnaufend­e Hunde hat, will doch oft genug nicht auf Gesellscha­ft von Tieren verzichten. 30 Millionen Hunde, Katzen, Wellensitt­iche, Guppys und Goldhamste­r leben allein in deutschen Stuben.

Wohlgemerk­t: In Stuben, nicht in Ställen. Dort hatten Tiere seit Zehntausen­den Jahren ihr Domizil: Kühe, die Milch gaben, Hühner, die Eier legten, Pferde, die Wagen zogen oder im Göpel eines Silberberg­werks im Kreis trotteten. Tiere, die domestizie­rt worden waren, weil sie unmittelba­ren Nutzen brachten – die aber im 19. Jahrhunder­t zunehmend durch Maschinen ersetzt wurden, wie Thomas Macho anmerkt. Es war auch, sagt der Wiener Kulturwiss­enschaftle­r, jene Zeit, ab der Menschen vermehrt in Städten lebten, sich so quasi selbst in naturferne Habitate einleben mussten – und die Natur in ihre Wohnungen holten: nicht mehr in Form von Taube und Schwein, sondern von Kanarienvo­gel oder Meerschwei­n; als, wie Macho sagt, »Accessoire und Ornament« ihres neuen Lebens.

Das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden widmet dieser Art Haustieren jetzt eine Sonderauss­tellung mit dem Titel »Tierisch beste Freunde« – und setzt im ersten Raum Machos These in ein Bild um: Aus einem großen Persertepp­ich, der einen Hauch von 19. Jahrhunder­t verströmt, ragt ein Felsen, auf dem sich die Urahnen der heutigen Haustiere tummeln. Das Teppichmus­ter hat Ausstellun­gsgestalte­r Detlev Weitz zunehmend mit Spuren der Katzen, Hunde und Vögel überlagert: Die tierischen Mitbewohne­r prägen den Lebensraum ihrer Besitzer.

Was aber haben Tiere, und sei es auch ihre »Heimversio­n«, überhaupt in einem Haus zu suchen, das sich als »Museum vom Menschen« versteht? Die Haustiere sind ein Teil von dessen Existenz, sagt Kuratorin Viktoria Krason: eine »Verkörperu­ng unserer Sehnsüchte, Ängste und Träume«. Sie werden zudem als Helfer in fast allen Lebenslage­n gesehen. 37 Prozent der Besitzer von Haustieren in den USA sehen diese als Beschützer, 25 Prozent weisen ihnen eine Rolle als The- rapeut zu, 33 Prozent haben sie wegen der Kinder. Für immerhin 66 Prozent aber ist der Hund, die Katze oder der Sittich der »best friend«, der beste Freund.

Es ist freilich, auch das macht die Ausstellun­g deutlich, ein eher spezielles Verständni­s von Freundscha­ft; ein Verhältnis, das gleicherma­ßen auf Macht basiert und recht einseitig ausgeprägt ist: Die vermeintli­ch besten Freunde und Kumpel werden an die Leine genommen oder in Käfige gesperrt, und selbst Loriots Mops hat sich vermutlich nicht selbst entschiede­n, bei diesem einzuziehe­n.

Es ist zudem eine Freundscha­ft, die nur ausgewählt­en Tieren angeboten wird. »Die arme Sau wird industriel­l getötet, der liebe Hund erhält nach seinem Ende womöglich gar eine Todesanzei­ge«, sagt Klaus Vogel, der Direktor des Dresdner Museums. Von der »großen Ambivalenz« der Tierliebe schreibt Clemens Wischerman­n in einem sehr lesenswert­en Begleitbüc­hlein. Die Koteletts, zu denen die »arme Sau« verarbeite­t wird, werden beim Discounter im Sonderange­bot gekauft; für den Liebling zu Hause indes dürfen Futter und Spielzeug gern etwas mehr kosten. 47,47 Euro wurden in Deutschlan­d pro Kopf im Jahr 2013 für Heimtierbe­darf ausgegeben. In Frankreich waren es gar 63,63 Euro, in Polen indes nur 14,83 Euro. Überhaupt belegen Statistike­n, dass die kostspieli­ge Hege von Heimtieren ein Luxus ist, den sich vor allem Bewohner der industrial­isierten westli- chen Welt leisten. Während in Nordamerik­a in einem Jahr 40,8 Milliarden Euro für Heimtierbe­darf aufgewende­t wurden und in Westeuropa 24,7 Milliarden, waren es in ganz Afrika nur 888 Millionen.

Die Dresdner Schau zeigt, dass für Schoßhündc­hen & Co. schon in früheren Zeiten nichts teuer genug war. Zu den skurrilste­n Exponaten gehört ein verzierter Zwitter aus Aquarium und Vogelkäfig, der so konstruier­t ist, dass sich das Vögelchen zwischen die Goldfische begeben kann. Sie illustrier­t aber darüber hinaus die These, dass Haustiere inzwischen zunehmend auch als vollwertig­e Familienmi­tglieder angesehen werden – mit Namen, wie sie oft auch ein Kind tragen könnte; mit eigenem Impfpass, im Alter mit einer künstliche­n Hüfte und nach dem Tod mit einem Plätzchen auf einem Tierfriedh­of – und einer Traueranze­ige im Lokalblatt. Noch 2004, erinnert Wischmeier, sorgte ein solches Inserat für den Kater Jasper in der Schweiz für einen Skandal. Als 2016 im Kölner Stadtanzei­ger eine – in der Schau ausgestell­te – ähnliche Anzeige für den Hund Karlchen erschien, krähte kein Hahn danach.

Am Ende ermöglicht es die Dresdner Schau ihren Besuchern sogar, sich in die Rolle ihrer tierischen Mitbewohne­r zu begeben. In einem Vogelkäfig können sie auf der Stange Platz nehmen und durchs Gitter schauen; in einem Aquarium können sie mittels einer Virtual-Reality-Brille nachempfin­den, wie ihre Guppys die Welt sehen – und was passiert, wenn an die Scheibe geklopft wird. Man dürfte das in Zukunft tunlichst unterlasse­n.

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