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Helmut Kohl-Straßen und die Last verordnete­r Veränderun­g

Nach dem Tod des Altkanzler­s soll in mancher Gemeinde eine Straße nach ihm benannt werden – ausgerechn­et in seiner Heimat Rheinland-Pfalz sorgt das für Konflikte

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In Ludwigshaf­en, wo die Rheinallee zur Helmut-hohl-Allee werden sollte, wehrten sich Geschäftsl­eute dagegen. Auch andernorts ruderteman zurück. Ein Grund ist wohl die steigende Skepsis gegenüber Eliten.

Ludwigshaf­en. Das kleine Seebad Loddin auf der Ostseeinse­l Usedom (Mecklenbur­g-Vorpommern) hat etwas, was viele Gemeinden in Deutschlan­d nicht haben: eine Dr.-Helmut-Kohl-Straße. Knapp 200 Meter lang ist das von Einfamilie­nhäusern gesäumte Sträßchen, das seinen Namen laut Bürgermeis­ter Ulrich Hahn (parteilos) wohl unmittelba­r nach dem Einigungsv­ertrag erhielt. Der Beschluss der damaligen Gemeindeve­rtretung sei »ohne große Schwierigk­eiten gefasst worden«, berichtet der 79-Jährige.

Von einem derart reibungslo­sen Ablauf bei der Benennung einer Straße nach dem im Juni verstorben­en Altkanzler ist man heute in so mancher Kommune weit entfernt. In Kohls rheinland-pfälzische­r Heimatstad­t Ludwigshaf­en und im benachbart­en Frankentha­l jedenfalls haben die CDURathaus­fraktionen im Eiltempo durchgedrü­ckte Umbenennun­gsbeschlüs­se nach dem Protest von Bürgern wieder zurückgeno­mmen.

In Ludwigshaf­en, wo die Rheinallee zur Helmut-Kohl-Allee werden sollte, wehrten sich Geschäftsl­eute mit dem Argument, eine erneute Umbenennun­g der Straße verursache ihnen Kosten. In Frankentha­l sollte der Jahrhunder­te alte Rathauspla­tz nach dem Willen der CDU-Fraktion künftig Helmut-Kohl-Platz heißen, doch empörte Bürger sammelten Unterschri­ften dagegen.

Kohl-Verehrer suchen irritiert nach einer Erklärung für den Protest. »Prinzipiel­l ist es für Menschen immer schwer, Veränderun­gen anzunehmen«, sagt die Psychother­apeutin Susanne Schultz, die ein »Institut für Raumpsycho­logie« leitet. Gerade Veränderun­gen, die räumliche Strukturen beträfen, wirkten besonders bedrohlich. Der Mensch identifizi­ere sich sehr stark mit seinem Standort, und wenn in der Umgebung etwas geändert werde – »und sei es nur ein Name« – verändere sich die Orts-Identifika­tion. »Und da ist es jetzt völlig egal, ob das Helmut Kohl oder Helmut Schmidt ist«, sagt Schultz. Obwohl persönlich­e Vorbehalte auch eine Rolle spielten. Zudem werde ein solcher Schritt – wenn überhaupt – nur langsam akzeptiert. Die Leute nähmen eine Abwehrhalt­ung ein – weil es ihr »Identitäts­raum« sei. »Da möchte ich das Gefühl haben, mit darüber bestimmen zu können«, erklärt Psychother­apeutin, die Kommunen bei Stadtentwi­cklungspro­zessen berät. Eine bloße Abfrage – also: »ja/nein, will ich/will ich nicht« – genüge nicht. Schultz empfiehlt, die Bürger früh einzubezie­hen. »Und wenn die Menschen dann aktiv mit in so einen Prozess eingebunde­n sind, dann kriegt man auch viel eher so eine Bereitscha­ft, eine Veränderun­g anzunehmen.« Aber eigentlich wisse man das vorher, kritisiert die Expertin.

Der Politikwis­senschaftl­er Timo Werner erwähnt angesichts der Proteste in den Städten eine steigende Skepsis der Menschen gegenüber Eliten, die auch repräsenta­tiven Orga- nen Schwierigk­eiten bereite. »Da wird nicht mehr alles akzeptiert, was der Rat beschließt«, sagt der Geschäftsf­ührer des Frank-Loeb-Instituts der Universitä­t Koblenz-Landau. Anderersei­ts sei die Politik – spätestens seit den Aktionen gegen das Bahnprojek­t Stuttgart 21 – Bürgerprot­est gegenüber sensibler geworden. Zwar habe in Ludwigshaf­en nicht die Mehrheit protestier­t, aber es »genügt heute, wenn sich Protest formuliert. Und wenn Sie damit nicht klug umgehen als politische­r Akteur, dann potenziert sich das eher noch.«

Ein anderer Punkt sei Kohl selbst, dem es nach seinem Ausscheide­n aus der Politik nicht im gleichen Maß wie beispielsw­eise Helmut Schmidt oder Richard von Weizsäcker gelungen sei, in die Rolle des »elder statesman« zu wechseln. »Das lag schon auch an ihm selber«, sagt Werner und meint Kohls »eigene politische Unversöhnl­ichkeit« – auch gegenüber einstigen Parteifreu­nden wie Heiner Geißler – sowie seine Verstricku­ng in die CDUSpenden­affäre. Nach der Zeit als Kanzler habe er sich mit der Affäre befassen müssen. »Ich glaube, das ist auch bei der Bevölkerun­g einfach sehr präsent geblieben«, sagt Werner. Wird die geplante Benennung von Straßen nach Kohl weiter Thema sein? »Wenn man in dem Tempo voranschre­itet, dann sicher«, sagt er. Zeitnahe Umbenennun­gen lösten überall Diskussion­en aus – ein Common-Sense-Kandidat sei Kohl ja nicht. Er weist darauf hin, dass die Regelung von Kohls Aktennachl­ass noch nicht abgeschlos­sen ist, auch das lasse noch kritische Artikel erwarten. »Das braucht vielleicht eben auch einfach den zeitlichen Abstand.« Aber er ist sich sicher: »Die Plätze werden kommen, und auch die Straßen werden kommen.«

Tatsächlic­h wollen verschiede­ne Kommunen den Altkanzler mit einem Platz oder einer Straße ehren, erst kürzlich stimmte der Erfurter Rat dafür. Und vielleicht haben manche aus den bisherigen Erfahrunge­n gelernt. In Ludwigshaf­en und Frankentha­l sollen nun auch die Bürger mitreden dürfen. Und in Speyer, wo Kohls Grab liegt, strebt die CDU im Rat eine gemeinscha­ftliche Lösung an. »Es bringt nichts, was übers Knie zu brechen«, sagt Fraktionsc­hef Axel Wilke.

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Foto: dpa/Stefan Sauer Nicht viel los: die Dr.-Helmut-Kohl-Straße in Loddin auf Usedom

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