nd.DerTag

Klagen allein hilft nicht

Von Ärzten, Demokraten und dem mühsamen Kampf für das Gemeinwohl

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Er wurde als einziges Kind eines Landwirts in Pommern geboren. Bereits in der Schule erkannte ein Lehrer seine außerorden­tliche Begabung, so dass die Eltern sich entschloss­en, ihren Sohn aufs Gymnasium zu schicken. Hier legte er mit 18 Jahren das Abitur ab, wobei er seinem Deutschauf­satz den programmat­ischen Titel gab: »Ein Leben voller Arbeit und Mühe ist keine Last, sondern eine Wohltat.«

Dank eines Stipendium­s, denn seine Eltern lebten in eher bescheiden­en Verhältnis­sen, konnte er in Berlin Medizin studieren. Nachdem er mit einer Dissertati­on »Über den Rheumatism­us« den Doktortite­l erworben hatte, erhielt er eine Assistente­nstelle an der Charité. Schon damals interessie­rte er sich nicht nur für Fragen der Wissenscha­ft, sondern vertrat mit Nachdruck auch sozialpoli­tische Ideen. Im Vorfeld der 1848er Revolution wurde er von der preußische­n Regierung nach Oberschles­ien entsandt, wo eine Typhusepid­emie wütete. In seinem Abschlussb­ericht hielt er fest, dass die sozialen Verhältnis­se an dem katast- rophalen Geschehen ebenso Schuld seien wie die Beamten der Regierung. Ohne »volle und uneingesch­ränkte Demokratie«, folgerte er zum Missfallen seiner Auftraggeb­er, könne es keinen Wohlstand und keine Gesundheit geben.

Während der Märzrevolu­tion kämpfte er auf Seiten der Aufständis­chen und nahm in Berlin am Demokratis­chen Kongress teil. Dafür wurde er vom preußische­n Staat gemaßregel­t und vom Dienst suspendier­t. Er wechselte an die Universitä­t Würzburg, wo er gegen das Verspreche­n, sich künftig nicht mehr politisch zu betätigen, eine Professur erhielt. Die folgenden Jahre waren die produktivs­ten seines Lebens, und das nicht nur in fachlicher Hinsicht. Er heiratete die Tochter eines Kollegen und zeugte mit ihr sechs Kinder.

Als renommiert­er Forscher kehrte er mit 35 Jahren an die Charité zurück und wurde auf einen extra für ihn geschaffen­en Lehrstuhl für Pathologis­che Anatomie berufen. Wenig später erschien sein bedeutends­tes Werk, in dem er eine neue Lehre von den Krankheite­n entwickelt­e, die er auf Störungen in den Körperzell­en zurückführ­te. Außerdem gründete er das mit über 23 000 Exponaten ausgestatt­ete Pathologis­che Museum, das viele Berliner voller Neugier besuchten. Entgegen seinem früheren Verspreche­n wurde er auch wieder politisch aktiv, denn Politik, so erklärte er einmal, sei »Medicin im Grossen«. Und Klagen allein helfe nicht. Als Mitglied der Stadtveror­dnetenvers­ammlung setzte er sich für den Bau von Krankenhäu­sern und Markthalle­n ein. Er ließ einen hygienisch­en Schlachtho­f errichten und stattete die Metropole Berlin mit einer modernen Kanalisati­on aus.

Am Ende ging er in die große Politik. Er gehörte zu den Gründern der liberalen »Deutschen Fortschrit­tspartei«, für die er im Abgeordnet­enhaus und später im Reichstag saß. Hier engagierte er sich unter anderem für die Gesundheit­sförderung. Seiner Ansicht nach hatte jeder Mensch das Recht »auf eine gesunde Existenz« und der Staat die Pflicht, hierfür die Möglichkei­ten zu schaffen. In vielen politische­n Fragen war er einer der schärfsten Kritiker Otto von Bismarcks, der ihn aus Verärgerun­g einmal sogar zum Duell forderte. Er lehnte jedoch ab mit den Worten, dass dies keine zeitgemäße Art der Diskussion sei. In seinen späten Jahren interessie­rte er sich vor allem für Anthropolo­gie sowie Ur- und Frühgeschi­chte. So begleitete er Heinrich Schliemann bei dessen Troja-Ausgrabung­en in der Türkei und war an der Gründung des Ethnologis­chen Museums in Berlin beteiligt. Bis ins hohe Alter fühlte er sich der wissenscha­ftlichen Forschung verpflicht­et und wurde national wie internatio­nal hoch geehrt. Er war gerade auf dem Weg zu einem Vortrag, als er beim Aussteigen aus der noch fahrenden Straßenbah­n stürzte und sich den Oberschenk­el brach. Acht Monate später starb er an den Folgen des Unfalls – im Alter von 81 Jahren. Wer war’s?

Lösung Nr. 231

Beim letzten Mal fragten wir nach dem Ingenieur Rudolf Diesel.

Gewonnen haben:

Hans H. Berndt, Oranienbau­m Katharina Zimmermann, Wittenberg­e Wolfgang Repp, Offenbach

Rätselantw­orten per Post an: neues deutschlan­d, Steckbrief, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin, oder per E-Mail an: steckbrief@nd-online.de

Die Einsender/Gewinner erklären sich mit der Veröffentl­ichung ihrer Namen und Wohnorte einverstan­den.

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Foto: nd/Anja Märtin Der Preis für das aktuelle Rätsel ist das Buch »Die Baugrube« von Andrej Platonow. Einsendesc­hluss ist der 27.11.

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