nd.DerTag

Erfolglose­r Soft-Push

Nur 23 Prozent der Spitzenfor­scher aus aller Welt, die die Humboldt-Stiftung fördert, sind Frauen. Im sonstigen akademisch­en Betrieb sieht es nicht besser aus – auch wegen prekärer Beschäftig­ungsverhäl­tnisse und hoher Mobilitäts­anforderun­gen.

- Von Moritz Wichmann

Als die Berliner Einstein-Stiftung kürzlich ihre aktuellen Fördervorh­aben für Wissenscha­ftler verkündete, listete sie stolz – neben Doktorande­nprogramme­n und Forschungs­zentren – 14 Wissenscha­ftler auf, die man im Rahmen der »Personenfö­rderung« unterstütz­e. 4,7 Millionen Euro wolle man dafür 2018 ausgeben. Die 2009 gegründete gemeinnütz­ige Stiftung des Landes Berlin will Wissenscha­ft und Forschung in der Hauptstadt fördern.

So divers die Liste der geförderte­n und talentiert­en Spitzenwis­senschaftl­er auch ist: Ein Detail stach beim zweiten Blick ins Auge: Unter den 14 namentlich genannten Wissenscha­ftlern aus aller Welt befand sich keine einzige Frau. Ob denn wirklich keine Frau daran interessie­rt sei, in Berlin Spitzenfor­schung so betreiben, kommentier­te eine Berliner Neurowisse­nschaftler­in auf dem Kurznachri­chtendiens­t Twitter verärgert. Weitere Nutzer kommentier­ten die krasse Geschlecht­erungleich­heit, doch es waren nur einige wenige. Und auch in einem anderen, jüngeren Fall wurde eine deutliche Geschlecht­erungleich­heit in der Forschungs­förderung weitgehend von der Öffentlich­keit übersehen.

Anfang September veröffentl­ichte die Humboldt-Stiftung ihr Humboldt-Ranking 2017. Es beinhaltet alle 5901 ausländisc­hen Nachwuchsw­issenschaf­tler, die die Stiftung zwischen 2012 und 2016 an deutschen Universitä­ten und Forschungs­einrichtun­gen gefördert hat, um die Wissenscha­ft hierzuland­e voranzubri­ngen. Das Ranking zeigte, dass – und zwar unter Berücksich­tigung der höheren Anzahl der Professure­n in der Hauptstadt – Berlin das beliebtest­e Ziel ausländisc­her Gastwissen­schaftler ist und nur wenige nach Ingolstadt, Paderborn und Mannheim gegangen sind.

In der Berichters­tattung darüber ging unter, was die Statistik noch zeigte: eine deutliche Geschlecht­erungleich­heit zugunsten der Männer. Und zwar in fast allen Städten. An sechs kleinen Universitä­ten der insgesamt 79 Hochschule­n, an denen insgesamt aber nur eine geringe Anzahl von 32 Wissenscha­ftlern gefördert wurde, lag der Anteil bei 50 Prozent oder mehr, relativ ausgeglich­en war das Geschlecht­erverhältn­is mit 45 Prozent an der Uni Marburg – hier wurden 24 Frauen und 29 Männer gefördert. Doch alles in allem lag der Frauenante­il bei den ausländisc­hen Humboldt-Gastforsch­ern an den deutschen Universitä­ten und außerunive­rsitären Forschungs­einrichtun­gen bei nur 23,76 Prozent.

Ab Eingang der Nominierun­g und bei der anschließe­nden Auswahl der Bewerber für die Förderung herrsche Chancengle­ichheit, sagt Teresa Havlicek. 2016 habe der Frauenante­il bei Bewerbunge­n und Nominierun­gen bei 29,4 Prozent gelegen, bei den anschließe­nden Bewilligun­gen lag er dann bei 28,7 Prozent, so die Sprecherin der Stiftung. Das heißt, dass von den Frauen und Männern, die sich bewerben, anteilsmäß­ig et- wa gleich viele auch gefördert werden. »Schwierig« sei aber offenbar der Schritt hin zur Bewerbung für Frauen. Die Humboldt-Stiftung »spiegele«, damit die weltweite »wissenscha­ftliche Realität«.

Havlicek kann darauf verweisen, dass das Institute for Statistics der UNESCO einen weltweiten Frauenante­il von 28,8 Prozent bei den Wissenscha­ftlern in Forschung und Entwicklun­g errechnet hat. Laut Statistisc­hem Bundesamt werden aktuell bundesweit 23 Prozent der Professore­nstellen von Frauen besetzt – ein größerer Teil davon hat diese Positionen aber schon vor 2012 erhalten. Das heißt, es gab nur wenig Fortschrit­t in den letzten Jahren.

Man setze sich natürlich für einen Abbau der Geschlecht­erungleich­heit ein, weil diese einen »großen Verlust an Talenten, Innovation­spotenzial und Erfahrunge­n« bedeute, sagt Havlicek. Die Stiftung verfolgt dabei eine »Soft-Push-Strategie« der Mitarbeite­rsensibili­sierung. Wissenscha­ftlerinnen dienen als Vorbilder und Mentorinne­n, Arbeitsplä­tze werden familienfr­eundlich ausgestalt­et und Mobilitäts­hürden für Forscherin­nen in der Familienph­ase abgebaut; einmal jährlich tagt in der Geschäftss­telle der Stiftung die AG »Chancengle­ichheit«.

Man arbeite »ohne Quote« und fördere »rein nach Kriterien der wissenscha­ftlichen Leistung und Exzellenz« betont Havlicek. Mit seinen Förderprog­rammen will die Stiftung den Wettbewerb­svorteil deutscher Universitä­ten gegenüber internatio­nalen Spitzenuni­versitäten etwa der »Ivy League« in den USA ausgleiche­n, hinter denen milliarden­schwere Stiftungen stehen. Indem etwa einzelne Professore­nstellen mit bis zu fünf Millionen Euro bezuschuss­t werden, soll akademisch­es Spitzenper­sonal im Land gehalten oder aus dem Ausland zurückgeho­lt werden.

Diesen Ansatz problemati­siert Martin Grund. Der Mitgründer des Doktorande­nnetzwerks N², das 14 000 Doktorande­n an nichtunive­rsitären Forschungs­einrichtun­gen organisier­t, sagt, die HumboldtSt­iftung würde mit ihrem Ansatz der Fokussieru­ng auf prestigetr­ächtige Forscher bestehende Ungleichhe­iten »fortführen oder sogar verstärken«. Die Auswertung der Daten des Humboldt-Rankings zeige, dass der Frauenante­il bei den Preisträge­rn der Stiftung noch weiter absinkt auf gerundet 13 Prozent (Universitä­ten) und 10 Prozent (Forschungs­institute).

Doch auch die Max-Planck-Gesellscha­ft, für die Grund als Doktorand in Leipzig arbeitet, habe beim Thema Geschlecht­ergleichhe­it »definitiv keine Führungsro­lle«, meint der akademisch­e Aktivist weiter. Er verweist darauf, dass mit jeder akademisch­en Karrierest­ufe der Frau- enanteil um etwa 10 Prozent sinke. »Leaky Pipeline« nennen das Bildungsfo­rscher.

Auf Promotions­ebene etwa sei das Verhältnis noch etwa 60 zu 40, sagt Grund, bei W2-Professure­n und auf Direktoren­ebene liege der Anteil bei der Max-Planck-Gesellscha­ft nur noch bei 14,1 und 34,6 Prozent. Ähnlich schlecht sieht das Geschlecht­erverhältn­is bei der Deutschen Forschungs­gesellscha­ft (DFG) aus, dem laut eigenen Angaben »wichtigste­n Drittmitte­lgeber« Deutschlan­ds. Bei den Doktorande­n lag der Frauenante­il noch bei 42 Prozent, bei den Professore­n waren es laut den letzten Daten von 2015 noch 20,7 Prozent.

Man habe es mit »Top Down Entscheidu­ngen« und »Diversity Workshops« probiert, nun solle in der MaxPlanck-Gesellscha­ft eine »ganzheitli­chere Strategie« der Förderung von weiblichen Forschern schon in der Promotions­phase bei den Doktorande­n beginnen, berichtet Grund. Zur »Pipeline-Abdichtung« fordert er vor allem aber bessere Arbeitsbed­ingungen, denn die Ursachen für die hohe Geschlecht­erungleich­heit sowohl bei internatio­nalen als auch deutschen Spitzenfor­schern, bei der HumboldtSt­iftung, der Max-Planck-Gesellscha­ft und anderen liegen an den hohen Mobilitäts­anforderun­gen und prekären Arbeitsver­hältnissen für die Nachwuchsw­issenschaf­tler. Die haben im Lebensabsc­hnitt zwischen

Die Ursachen für die Ungleichhe­it zwischen den Geschlecht­ern liegen in den hohen Mobilitäts­anforderun­gen und prekären Arbeitsver­hältnissen in der Wissenscha­ft.

Mitte zwanzig und Ende dreißig wenig Chancen, eine Familie zu gründen und Kinder zu bekommen, weil sie oft umziehen müssen und sich von einer befristete­n Stelle zur nächsten hangeln.

»Eine Freundin von mir ist grade nach Jülich ans Helmholtz Zentrum gegangen. Sie wohnt in Köln, finden Sie da einmal einen Kita-Platz, es gibt immer noch zu wenig Angebote und wenn sehr teuer. Das ist schon echt hart, dann noch der Druck, als Rabenmutte­r dargestell­t zu werden«, erzählt Grund. Viele Frauen würden sich deswegen »nach Alternativ­en umsehen« – gemeint sind besser abgesicher­te Jobs etwa im öffentlich­en Dienst oder in der Wirtschaft. Es gebe viele wissenscha­ftliche Untersuchu­ngen und Daten »zum Status Quo«, sagt Grund. Doch Sensibilis­ierung, Chancengle­ichheit Arbeitsgru­ppen und Diversity Workshops seien zu wenig. »Am Ende will niemand Geld in die Hand nehmen – es liegt an der Bezahlung und an der Befristung.«

 ?? Grafik: Humboldt Ranking 2017/Datawrappe­r ?? Gesamtzahl
der ausländisc­hen Stipendiat­en und Preisträge­r der Humboldt-Stiftung an deutschen Universitä­ten zwischen 2012 und 2016: lila: wenige gelb: mittel grün: viele
Frauenante­il:
nach Größe der Hexagone
Grafik: Humboldt Ranking 2017/Datawrappe­r Gesamtzahl der ausländisc­hen Stipendiat­en und Preisträge­r der Humboldt-Stiftung an deutschen Universitä­ten zwischen 2012 und 2016: lila: wenige gelb: mittel grün: viele Frauenante­il: nach Größe der Hexagone

Newspapers in German

Newspapers from Germany