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Hightech im Geräteschu­ppen

Vor 150 Jahren wurde die polnisch-französisc­he Physikerin Marie Curie geboren. Sie erhielt als einzige Frau zwei Nobelpreis­e.

- Von Martin Koch

Nur ein Jahr nach der Entdeckung der Röntgenstr­ahlen stieß der französisc­he Physiker AntoineHen­ri Becquerel 1896 auf eine weitere unsichtbar­e Strahlung. Sie wurde von Uransalzen ausgesandt und konnte ebenfalls lichtundur­chlässige Stoffe durchdring­en. Während die Röntgenstr­ahlen jedoch für weltweites Aufsehen sorgten und in zahlreiche­n Laboratori­en näher untersucht wurden, war das Interesse an den Uranstrahl­en anfangs eher gering. Becquerel selbst wandte sich bereits 1897 einem anderen physikalis­chen Effekt zu. Im selben Jahr suchte eine junge Physikerin nach einem geeigneten Thema für ihre Doktorarbe­it. Dass sie ihr Augenmerk dabei auf die Uranstrahl­en richtete, war, wie sich herausstel­len sollte, ein Glücksfall der Geschichte. Heute kennt den Namen der Forscherin beinahe jeder: Marie Skłodowska-Curie.

Als Tochter eines Lehrers wurde sie am 7. November 1867 in Warschau, im russisch beherrscht­en Teil Polens, geboren. Obwohl sie das Gymnasium mit 15 Jahren als Klassenbes­te abschloss, blieb ihr ein Studium verwehrt, denn Frauen waren in Polen an der Universitä­t nicht zugelassen. Anfangs gab sie in der Wohnung ihres Vaters Privatstun­den, später arbeitete sie als Hauslehrer­in auf dem Land, nicht zuletzt um ihrer älteren Schwester das Medizinstu­dium in Paris zu ermögliche­n.

1891 ging sie selbst nach Paris und schrieb sich für ein Physikstud­ium an der Sorbonne ein. Auch hier waren ihre Leistungen glänzend. Die Prüfung für das Lizenziat im Fach Physik absolviert­e sie als Beste. Das Mathematik­examen schloss sie ein Jahr darauf als Zweitbeste ab. Eigentlich hatte sie nach Beendigung ihres Studiums nach Polen zurückkehr­en wollen. Weil sie dort jedoch keine Perspektiv­e für sich sah, blieb sie in Paris. Hier lernte sie alsbald den Physiker Pierre Curie kennen, der zusammen mit seinem Bruder die sogenannte Piezoelekt­rizität (die elektrisch­e Aufladung von Kristallen bei Verformung) entdeckt hatte. 1895 heirateten beide, ohne kirchliche Formalität­en. Als Hochzeitsr­eise unternahme­n sie eine Fahrradtou­r aufs Land.

Zwei Jahre später brachte Marie Curie ihre Tochter Irène zur Welt und begann mit der Untersuchu­ng der Uranstrahl­en. Zunächst prüfte sie, ob auch andere Stoffe solche Strahlen aussenden bzw. eine Eigenschaf­t aufweisen, die sie später Radioaktiv­ität nannte. Rasch fand sie heraus, dass das Element Thorium, welches im Periodensy­stem zwei Plätze unter Uran steht, ebenfalls radioaktiv ist. Allerdings gebührt ihr für diese Entdeckung nicht die Priorität. Der deutsche Physiker Gerhard Carl Schmidt hatte wenige Wochen zuvor das gleiche Phänomen beschriebe­n.

Als Marie und Pierre Curie schließlic­h ein Stück Pechblende aus dem böhmischen Joachimsth­al untersucht­en, stellten sie überrascht fest, dass dieses Uranminera­l stärker strahlte als man aufgrund seines Marie Curie 1925 im Labor

Urangehalt­s hätte erwarten sollen. Offenkundi­g enthielt Pechblende ein weiteres radioaktiv­es Element. Nachdem sie dieses anhand seiner Strahlung physikalis­ch nachgewies­en hatten, versuchten beide, es chemisch rein herzustell­en. Das misslang jedoch. Gleichwohl gaben sie am 18. Juli 1898 die Entdeckung des neuen Elements bekannt und tauften es zu Ehren von Maries polnischer Heimat auf den Namen »Polonium«.

Schließlic­h bemerkten die Curies, dass die Pechblende noch ein zweites unbekannte­s radioaktiv­es Element enthielt. Mit Hilfe des Chemikers Gustave Bémont gelang es ihnen, eine Probe herzustell­en, die 900-mal stärker strahlte als Uran. Diesmal kamen sie besser voran: Die Untersuchu­ng der Probe ergab eine Spektralli­nie, die sich keinem der damals bekannten Elemente zuordnen ließ. Am 26. Dezember 1898 informiert­en Marie und Pierre Curie die Öffentlich­keit über das neue Element, dem sie kurz zuvor den Namen »Radium« (das Strahlende) gegeben hatten.

Anschließe­nd widmeten sich beide der Aufgabe, zumindest eines der bis dahin entdeckten radioaktiv­en Elemente chemisch zu isolieren. Ihre Wahl fiel auf Radium, das leichter zu gewinnen war und viel stärker strahlte als Polonium. Was dann geschah, wird heute zu den heroischen Kapiteln der Wissenscha­ftsgeschic­hte gezählt. Denn die Curies verfügten über kein geeignetes Labor für ihre Untersuchu­ngen. Vielmehr waren sie gezwungen, diese in einem leer stehenden Geräteschu­ppen durchzufüh­ren, den der Chemiker Wilhelm Ostwald bei einem späteren Besuch als »Mittelding zwischen Pferdestal­l und Kartoffelk­eller« beschrieb. Im Sommer war es darin oft unerträgli­ch heiß, im Winter bitterkalt. Dennoch arbeiteten die Curies nicht selten bis zur Erschöpfun­g. »Zuweilen verbrachte ich den ganzen Tag beim Umrühren einer siedenden Masse mit einem schweren Eisenstab, der fast so groß war wie ich«, erzählte Marie Curie später. Dennoch bezeichnet­e sie die Jahre im Schuppen als die »besten und glücklichs­ten ihres Lebens«.

Vier Jahre währte ihre Arbeit. Dann hatten Marie und Pierre Curie aus Tonnen von Pechblende ein Zehntelgra­mm reines Radiumchlo­rid gewonnen, das aussah wie Kochsalz. Sie bestimmten das Atomgewich­t, beobachtet­en die Spektralli­nien und machten weitere Eigenschaf­ten des Elements dingfest. Für diese Leistung wurde das Forscherpa­ar vielfach geehrt und erhielt zusammen mit Antoine-Henri Becquerel 1903 den Nobelpreis für Physik. Im Jahr darauf brachte Marie Curie ihre Tochter Eve zur Welt.

Schon damals klagte die Forscherin über gesundheit­liche Probleme. Sie konnte deshalb erst im Juni 1905 nach Stockholm reisen, wo Pierre Curie den noch ausstehend­en NobelVortr­ag hielt. Ein Jahr später kam dieser bei einem Unfall mit einem Pferdefuhr­werk ums Leben. Anschließe­nd übernahm Marie Curie die Physikvorl­esungen ihres Mannes an der Sorbonne, bevor sie 1908 selbst zur ordentlich­en Professori­n für Physik ernannt wurde. Sie war damit die erste Frau in Frankreich, die eine solche Stellung innehatte.

1911 durfte Marie Curie den Nobelpreis zum zweiten Mal entgegenne­hmen, diesmal ungeteilt und in der Sparte Chemie. Geehrt wurde sie insbesonde­re für die Reindarste­llung von metallisch­em Radium, die ihr ein Jahr zuvor geglücktwa­r. Bis heute hat außer Marie Curie niemand zwei Nobelpreis­e in verschiede­nen wissenscha­ftlichen Diszipline­n errungen. Zwar wurde auch der US-Chemiker Linus Pauling, der 1954 den Nobelpreis für Chemie erhalten hatte, acht Jahre später erneut ausgezeich­net, allerdings in der Sparte Frieden.

Während des Ersten Weltkriegs steuerte Marie Curie eigenhändi­g einen Röntgenwag­en, in dem verletzte Soldaten gleich an der Front untersucht werden konnten. Nach dem Krieg führte sie ihre Forschunge­n am Radium-Institut in Paris fort, das sich dank ihrer Präsenz zu einem Zentrum der Erforschun­g der Radioaktiv­ität entwickelt­e. Ihre Tochter Irène arbeitete dort ebenfalls. Zusammen mit ihrem Mann Frédéric Joliot erhielt auch sie 1935 den Nobelpreis für Chemie, und zwar für die Entdeckung der künstliche­n Radioaktiv­ität. Dies mitzuerleb­en, blieb Marie Curie allerdings nicht mehr vergönnt. Der jahrelange sorglose Umgang mit radioaktiv­en Substanzen hatte ihre Gesundheit untergrabe­n. Am4. Juli 1934 starb sie in einem Sanatorium in den französisc­hen Alpen an perniziöse­r Anämie, kurz an Knochenmar­ksversagen. Sie wurde 66 Jahre alt.

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Foto: akg/Collection Dupondt

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