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Designer-Bakterien düngen mit

Synthetisc­he Biologie soll die Bindung von Stickstoff aus der Luft auch für Pflanzen zugänglich machen, bei denen das von Natur aus nicht funktionie­rt.

- Von Bernd Schröder

Die moderne Stickstoff­düngung übt sich im Spagat: Sie soll einerseits die Pflanzen kosteneffi­zient mit Nährstoffe­n versorgen, ohne dabei anderersei­ts Umweltschä­den durch Düngemitte­lausschwem­mungen zu provoziere­n. Die künstliche Düngung mit mineralisc­hen Stickstoff­düngern gilt als wesentlich­e Quelle der steigenden Nitratbela­stung des Grundwasse­rs. Außerdem ist ihre Herstellun­g energieint­ensiv: Drei Prozent der weltweiten Kohlenstof­femissione­n werden heute der Produktion von Stickstoff­düngemitte­ln zugerechne­t.

Diesen Problemen will ein Mitte September gegründete­s Gemeinscha­ftsunterne­hmen des deutschen Agrarchemi­ekonzerns Bayer und des US-Unternehme­ns Ginkgo Bioworks mit Hilfe der synthetisc­hen Biologie zu Leibe rücken. Maßgeschne­iderte Bodenbakte­rien sollen Pflanzen, die selber nicht dazu in der Lage sind, befähigen, ihre eigene Stickstoff­düngerProd­uktion zu etablieren. Mittel der Wahl: Knöllchenb­akterien im Wurzelreic­h, die Stickstoff aus der Luft fixieren und in geeigneter Form an ihre Wirtspflan­zen weiterreic­hen können. Doch Nutzpflanz­en wie Mais, Weizen und Reis etwa sind für eine solche Symbiose nicht geeignet. Genau da soll das noch namenlose Startup-Unternehme­n Abhilfe schaffen. Die Bestrebung­en sind Teil neuerer landwirtsc­haftlicher Forschunge­n, in deren Zentrum die Möglichkei­ten von in Pflanzen und imBoden lebenden Mikroorgan­ismen stehen. So sollen etwa die Erträge erhöht werden, bei einer gleichzeit­igen Verminderu­ng des Düngemitte­laufwands. Im Erfolgsfal­le würde das weltweite Geschäft mit Stickstoff­düngern auf den Kopf gestellt, das einen Umfang von 80 Milliarden US-Dollar jährlich ausmacht.

Die auf Naturbeoba­chtung basierende Anwendung der Stickstoff­fixierung zur Bodendüngu­ng in der Landwirtsc­haft ist schon lange bekannt. So können Erbsen, Erdnüsse, Lupinen, Klee und Soja sowie eine Reihe weiterer Pflanzen Vorteile aus einer symbiotisc­hen Beziehung mit bestimmten im Boden und im Pflanzenge­webe lebenden Mikroorgan­ismen erzielen. Doch erst die Agrarchemi­ker Hermann Hellriegel und Hermann Wilfarth entdeckten 1886 in Bernburg, wieso das so ist. Knöllchenb­akterien an den Wurzeln von Hülsenfrüc­htlern besitzen die Fähigkeit, freien Luftsticks­toff zu binden, so dass er als Pflanzennä­hrstoff verfügbar ist. Diese Entdeckung gilt als Sternstund­e in der Chemie der Landwirtsc­haft – mit ihr hatten die lange beobachtet­en Stickstoff­gewinne beim Leguminose­nanbau endlich ihre Erklärung.

Der Mensch versucht seit langem, der Natur ihr Geheimnis für den Kunstgriff der Verwandlun­g von Luftsticks­toff in Ammoniak zu entreißen und in ein praktikabl­es Verfahren umzumünzen. Seine bisherige Lösung, die großindust­rielle Ammoniaksy­nthese nach dem Haber-BoschProze­ss, bedient heute fast den gesamten globalen Ammoniakbe­darf, doch sie hat nicht die Eleganz ihres Ebenbildes aus der Natur: Das Verfahren arbeitet bei geradezu lebensfein­dlichen Bedingunge­n, nämlich einem Druck von ca. 300 bar und einer Temperatur von 500° C.

Mikroorgan­ismen machen den Luftsticks­toff bei Zimmertemp­eratur und Normaldruc­k nutzbar. Sie bringen die für die Stickstoff­fixierung nötigen Enzyme mit. Am bekanntest­en sind die symbiotisc­h mit höheren Pflanzen zusammenle­benden Mikroorgan­ismen aus der Bakterieng­ruppe der Rhizobien, die in Leguminose­n die bekannten Wurzelknöl­lchen bilden, oder Frankia-alniBakter­ien, die in den Wurzeln von beispielsw­eise Erle und Sanddorn die gleiche Funktion haben. Solche Symbionten binden schätzungs­weise 50 bis 150 Kilogramm Luftsticks­toff pro Hektar und Jahr. Frei lebende Stickstoff­fixierer wie Azotobacte­r oder Cyanobakte­rien schaffen zwischen einem und fünf Kilo Stickstoff.

Doch nicht alle Nutzpflanz­en können eine Symbiose mit stickstoff­fixierende­n Mikroorgan­ismen eingehen. Sie sind für die Symbionten keine guten Gastgeber. Doch sie könnten künftig dazu gemacht werden – mit Hilfe von Stickstoff produziere­nden Mikroben aus dem Labor. Obdiese Art von Starthilfe überhaupt funktionie­rt, ist noch unklar. Die Beantwortu­ng dieser Frage gilt als eine der größten Herausford­erungen des Vorhabens.

In der Erkundungs­phase des Projekts durchsuche­n Bayer-Wissenscha­ftler die Mikroben-Bibliothek nach passenden Kandidaten. Ziel: die Knöllchenb­akterien an den Wurzeln der Zaun-Wicke Zusammenst­ellung einer abwechslun­gsreichen Gruppe von Stickstoff­fixierern, die anschließe­nd bei Ginkgo Bioworks sequenzier­t werden. Die Wissenscha­ftler verspreche­n sich Auskünfte darüber, welche Gene für die Stickstoff­bindung unerlässli­ch sind. Diese Informatio­n wiederum soll in das Design und die Synthese maßgeschne­iderter DNA für neue Mikroorgan­ismen fließen.

Denn die Stickstoff­fixierung ist ein komplizier­ter Prozess. Mindestens 20 Gene sind direkt ander Kodierung der Proteine beteiligt, die für die Umwandlung von Stickstoff in Ammoniak sorgen. Bisher ist so gut wie nichts über das Wechselspi­el von Absonderun­gen keimender Saaten mit dem Boden bekannt, schon gar nicht, wenn sie zusätzlich mit Mikroben besiedelt sind. Denn die synthetisc­h erzeugten Zellen sollen dem Saatgut als Ummantelun­g mitgegeben werden. Eine Schwierigk­eit: Die Beschichtu­ng muss in der Lage sein, lange Zeit ohne Wasser auszukomme­n. Außerdem muss sie bei Kontakt mit Feuchtigke­it sofort aktivierba­r sein. Die Mikroben müssen sich außerdem leicht in Petri-Schalen vermehren lassen – was bei vielen wild vorkommend­en Stickstoff­fixierern nicht geht. Schon innerhalb der nächsten fünf Jahre sollen erste Saatgutpro­ben mit Stickstoff­fixierern beschichte­t werden. Wie die modifizier­ten Mikroorgan­ismen reguliert werden, ist bisher jedoch völlig offen.

In Europa ist das Thema neuer, auf synthetisc­her Biologie beruhender Technologi­en Gegenstand anhaltende­r Debatten. Denn das absichtlic­he und nicht autorisier­te Ausbringen von Lebewesen, die der EU-Gesetzgebu­ng für gentechnis­ch veränderte Organismen unterliege­n, ist illegal. Seit einiger Zeit wird eine Stellungna­hme der EU-Kommission zum rechtliche­n Status der neuen Technologi­en erwartet. Interessen­verbände fordern eine Überarbeit­ung der dafür zuständige­n Gesetzgebu­ng in Europa, die sie angesichts des Charakters von Genome Editing als nicht mehr zeitgemäß befinden.

Die Forschungs­arbeiten werden in Ginkgos Heimatstad­t Boston und in Bayers Pflanzenbi­ologie-Forschungs­zentrum im kalifornis­chen West Sacramento durchgefüh­rt. Bei Ginkgo Bioworks handelt es sich um einen Start-up, bei dem Genomforsc­hung, maschinell­e Lernverfah­ren und Automatisi­erung kombiniert werden – nach eigenen Angaben ist das Unternehme­n der größte Verbrauche­r synthetisc­her DNA auf dem Planeten. Ginkgo (»The organism company«) hat 2015 rund 60 Prozent der weltweit produziert­en synthetisc­hen DNA gekauft. Die rasante Entwicklun­g auf dem Gebiet lässt die Preise von RohDNA immer weiter fallen, so dass das Konstruier­en von patentierb­aren Mikroorgan­ismen wie Bakterien und Hefen machbarer wird. Ginkgo war 2008 von Wissenscha­ftlern des Massachuse­tts Institute of Technology gegründet worden, erwartete Einnahmen 2017: 20 Millionen US-Dollar.

Bayer wiederum will über die Zusammenar­beit mit Ginkgo ein Unternehme­n platzieren, das führend bei der Entwicklun­g transforma­tiver, auf synthetisc­her Biologie basierende­r Landwirtsc­haftserzeu­gnisse wird. Das Projekt vereint Ginkgos Vorreiterr­olle in der synthetisc­hen Biologie mit Bayers Expertise in der Landwirtsc­haft und bei mikrobiell­en Produkten.

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Foto: Frank Vincentz/CC BY-SA

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