»Gewinnen macht Freude, oder?«
Spielexperte Ulrich Schädler rät, bei der Kritik an »Games of Empires« den Ball flach zu halten
»Games of Empires« ist eine millionenfach verkaufte Computerspielserie, bei der es auch um die Vernichtung der Schwächeren und Eroberung geht. Ist die Begeisterung etwa Ausdruck dafür, dass die spürbare Das-Recht-des-Stärkeren-Renaissance auch immer stärker den Freizeitsektor erfasst?
Das glaube ich eher nicht, da würde ich den Ball flach halten. Allerdings entstehen Spiele nicht im luftleeren Raum. Sie lassen sich nur in ihrem geschichtlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Kontext verstehen.
Bei einer interdisziplinären Tagung zu den »Games of Empires« wurde unlängst sehr sachlich über »Kriegsspiele« diskutiert. Müssen Friedensaktivisten da empört sein?
Nein, nein, ich darf Sie beruhigen. Die Kategorie »Wargames«, wie die betreffende Gruppe im Englischen heißt, folgt aus einer überkommenen – und insofern gewiss zu überdenkenden – Klassifikation.
Woher stammt sie und was will sie? Geprägtworden ist sie maßgeblichvom britischen Pädagogen Harold James R. Murray zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Er hatte unter dem Begriff alle Spielszenarien zusammengefasst, in denen sich zwei gleich starke Gruppen von Steinen auf dem Brett gegenüberstehen. Es geht allein darum, nach spezifischem Regelwerk einen Sieger zu ermitteln, mehr ist das nicht. Das trifft also beispielsweise auf das römische Latrunculi ebenso zu, wie auf Dame, Mühle oder Schach.
Ist denn aber nicht Schach geradezu ein originäres Kriegs-Spiel?
So lautet eine landläufige Meinung, doch ich bleibe da skeptisch. Nach meiner Analyse wird ein Narrativ, das ein Match per se mit dem Zusammenprall verfeindeter Truppen vergleicht – insbesondere Sportjournalisten neigen dazu – dem Spiel nicht gerecht. Dieses Missverständnis gibt es auch sehr alten Spielen gegenüber. Etwa dem von mir erwähnten Latrunculi. Doch beispielsweise geht das wiederum auf ein noch viel älteres Spiel, das griechische Polis zurück. Bei dem nun heißen die Steine »Hunde«, aber niemand würde deshalb im Ernst behaupten, da rasten virtuelle Hunde kläffend durch die Gemeinde! Vielmehr setzt Polis eine abstrakte Spielidee schnörkellos um: Entweder weiße oder schwarze Steine sollen das Übergewicht erlangen. Nicht mehr, nicht weniger.
Das klingt so überraschend wie erfreulich. Aber beim Schach geht es doch darum, den König zu kippen und somit sein Reich zu erobern! Meiner Meinung nach handelt es sich bei derartiger Schachinterpretation eher um eine memotechnische Krücke. Wahrscheinlich sind die fantasievollen Umschreibungen für das, was auf dem Brett abläuft nur regelgerechte Eselsbrücken. Das Grandiose am Schach war vor allem sein anspruchsvolles innovatives Konzept – dass sich nämlich in einem Spiel nicht ausschließlich gleichartige, sondern in ihrer Wirkungsweise abgestufte Steine messen.
Also Schach bringt konzeptionell kein Aggressionspotenzial unter die Leute, wie es verschiedentlich warnend eingeworfen wird. Stattdessen wird nur knallhart gerechnet, mit Klötzchen als Abzählhilfen.
Mal ganz im Ernst, kein Mensch, der heute eine Partie austrägt, denkt dabei an Krieg. Schach ist eine antagonistische Veranstaltung, na klar. Und das Duell möchte jeder und jede am Brett gewinnen, richtig. Und gewinnen macht Freude, oder? Bei den imperialistisch anmutenden »Games of Empires« ist das dann doch aber etwas anders. Immerhin werden da diejenigen Matchteilnehmer belohnt, die auf dem Brett maximales Territorium erobern? Räumliches Übergewicht mag manchmal wichtig sein, aber auch andere Strategien führen vielleicht zum Erfolg. Gegnerische Steine methodisch abzuräumen – das ist beispielsweise auch zentrales Motiv bei Dame. Aber dieses Abräumen verlangt cooles Rechnen und ist kein symbolisches Gemetzel. Jede andere gedankliche Verbindung wäre total abwegig.
Folglich scheint alles halb so wild zu sein mit den zunächst so verdächtig klingenden »Games of Empires«. Vielleicht können ja Spiele im Gegenteil sogar dazu anregen, sich mit Kultur und Geschichte zu beschäftigen.
Das von mir auch schon erwähnte Polis ist dafür gewissermaßen exemplarisch seit der Antike. Die Felder aufdem Brett widerspiegeln das orthogonale Muster, das wir seit dem hellenistischen Städtebau bis weit in die römische Zeit nachverfolgen können.
Steckt in Spielen unter diesem Gesichtspunkt also auch eine gehörige pädagogische Dimension? Zweifellos. Aber das ist schon lange erkannt worden. Ein Aktivist in der frühen Neuzeit war dafür beispielsweise der Engländer William Fulke (15381589; Dozent und Priester am St John’s College, Cambridge – d. R.). Er propagierte das hybride Schach Rithmomachie mit dem Clou, dass die Partner am Brett stets anspruchsvolle arithmetische Operationen durchführen mussten. In seiner gigantischen Metromachia wiederum sollten auf 33 mal 52 Feldern und zwischen zwei Flüssen insgesamt 120 Kegel, Kugeln, Würfel oder Rhomben verschoben werden.
Was musste denn ein Spieler tun, um sich auf den surreal anmutenden 1716 Feldern durchzusetzen?
Das gegnerische Zentrum besetzen. Wahrscheinlich aber dürfte Metromachia ob der Dimensionen kaum spielbar gewesen sein. Um sich – mal ganz interessehalber – die Regeln einzuprägen, sollten Sie übrigens Latein beherrschen. Eine englische Übersetzung des Originalhandbuchs von Fulke liegt meines Wissens nicht vor.
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