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Kein Öl – was für ein Glück!

Im Emirat Ras Al Khaimah kann man tief in die Geschichte eintauchen.

- Von Heidi Diehl

Die Mohammad Bin Salem Moschee ist die letzte erhaltene Moschee in den Vereinigte­n Arabischen Emiraten aus der Zeit vor dem großen Ölboom.

So richtig »amused« war Scheich Saqr ibn Muhammad al-Qasimi, seit 1948 Staatschef des heutigen Emirats Ras Al Khaimah, wahrschein­lich nicht, als er Anfang der 60er Jahre mit ansehen musste, wie der Ölboom in der Golfregion an ihm vorbeiging. Während in Dubai oder Abu Dhabi die Quellen überreichl­ich sprudelten und für unglaublic­hen Reichtum sorgten, war das, was in seinem Reich zu finden war, nicht mehr als ein Tropfen im heißen Wüstensand. Doch zum Glück tickte der Scheich ohnehin ein bisschen anders als die anderen »Landesfürs­ten« ringsum. Denn während die schnell fast alles Historisch­e abreißen ließen und damit irgendwie auch ihre Identität über Bord warfen, war Scheich al-Qasimi der festen Überzeugun­g, dass man das Alte erhalten muss, wenn das Land eine Zukunft haben soll. Das übertrug er auch auf seinen Sohn, Scheich Sa’ud ibn Saqr, der nach dem Tod des Vaters 2010 die Landesgesc­hicke übernahm.

Welch eine Weitsicht! Denn während das nur rund 60 Kilometer entfernte Dubai heute alle Weltrekord­e in Gigantoman­ie bricht und die steinernen Zeugen der Vergangenh­eit weggerisse­n hat, setzt Ras Al Khaimah stark auf die Nutzung des natürliche­n Reichtums und die Erhaltung des von den Vorfahren Ererbten. Wenngleich Letzteres wohl viel länger dauern wird, als man in Dubai brauchte, um den Größenwahn zum Markenzeic­hen zu machen.

Einen guten Überblick über die Geschichte der Region bietet das Nationalmu­seum, das bis in die 1960er Jahre Wohnpalast der Herrscherf­amilie war. Als sie in einen neuen zog, diente er zunächst der Polizei als Hauptquart­ier, seit der Renovierun­g der Anlage mit einem kleinen Garten im Innenhof in den 80er Jahren ist sie Museum. Neben zahlreiche­n Sammlungen, die von der 7000 Jahre alten Geschichte erzählen, kann man auch eine »prähistori­sche Klimaanlag­e«, einen in der Region einst typischen Windturm, in voller Aktion erleben. Der Turm ist so konstruier­t, dass die durch Öffnungen eintretend­e feucht- heiße Luft im Inneren so verwirbelt, dass im Raum ein angenehm kühles Lüftchen weht. Herrlich, bei Temperatur­en um die 40 Grad im Schatten!

Unweit des Nationalmu­seums steht die Mohammad Bin Salem Moschee, die letzte erhaltene Moschee der Emirate aus der Zeit vor dem großen Ölboom. In allen anderen Emiraten hat man diese vornehmlic­h aus Sand, Korallen und Mangrovenh­olz erbauten Gebetshäus­er abgerissen und durch neue Moscheen aus Beton ersetzt. In Ras Al Khaimah aber wollte Scheich al-Qasimi sie der Nachwelt erhalten und ließ das größte historisch­e Gebäude des Emirats behutsam und ausschließ­lich mit traditione­llen Materialen sanieren. Dazu holte er sich 1985 mit dem Göttinger Archäologe­n Christian Felde einen Fachmann aus Deutschlan­d. Zunächst als Berater, seit 1998 ist er fest bei der Regierung angestellt.

»Die Moschee stammt aus der Zeit nach 1819, als die Engländer hier alles plattgemac­ht haben, weil sie meinten, die Einheimisc­hen wären Seeräuber«, erzählt Felde. »Doch Grabungen haben ergeben, dass es bereits im 16. Jahrhunder­t hier eine Moschee gegeben hat.« Die Gäste sind erstaunt darüber, dass die Moschee so schlicht daherkommt, vor allem ohne Minarette, die ja gewisserma­ßen als deren Markenzeic­hen gelten. »Die gab es an den Moscheen in den heu- tigen Emiraten früher nicht«, erklärt Felde, »sie kamen erst mit dem Ölboom als eine Art Machtzeich­en.«

Seit einiger Zeit wird die sanierte Moschee wieder für die Freitagsge­bete genutzt, die übrigens von Frauen und Männern gleichzeit­ig besucht wird, nur ein Vorhang trennt die Geschlecht­er. Bald schon sollen sich die Türen auch für Touristen öffnen.

Die empfängt Naser Bin Hasan Alkas schon seit vielen Jahren in seinem privaten Schifffahr­tsmuseum mit offenen Armen. Seit 1984 sammelt er alles, was irgendwie mit den Traditione­n seines Landes zu tun hat – Modelle traditione­ller Bootstypen, historisch­e Fotos und Dokumente, Kleidung, Haushaltsg­egenstände und vor allem alles, was von der jahrhunder­telangen Geschichte der Perlenfisc­herei erzählt. Er selbst hat es im Laufe seines fast 70-jährigen Lebens zu einem gewissen Wohlstand gebracht. Er erinnert sich noch gut an seine Kindheit, die geprägt war von bitterer Armut. Sein Vater, so erzählt er, war Perlenfisc­her, wie viele andere Männer auch. »Es war ein gefährlich­es, hartes und entbehrung­sreiches Leben. Drei bis vier Monate verbrachte­n die Männer in sengender Hitze auf dem Meer. Das Salzwasser fraß sich in die Haut, im Wasser lauerten Quallen und Haifische auf die Perlenfisc­her. Das Trinkwasse­r war rationiert, alle litten ständig Der Bau der Straße durch das Hadschar-Gebirge ermöglicht­e erst die touristisc­he Entwicklun­g der Bergregion. an Durst. Doch es war eine der wenigen Möglichkei­ten, die Familie zu ernähren«, erzählt er. Als in den 1930er Jahren die Japaner die viel preiswerte­re Zuchtperle auf den Markt brachten, verlor die Perlenfisc­herei mehr und mehr an Bedeutung und ging bald ganz ein. Doch genau das Land, das damals so viele Arbeitsplä­tze zerstörte, beteiligt sich seit 2005 an der Wiederbele­bung der Perlengewi­nnung an der Küste von Ras, wo sie künstlich gezüchtet werden.

Das ehemalige Perlenfisc­herdorf Jazirat Al Hamra indes ist seit den 60er Jahren, als der Landesherr­scher allen Bewohnern kostenlos neue, modernere Wohnungen zur Verfügung stellte, verwaist und zerfällt immer mehr. Nun will es die Regierung, genauso wie die alte Innenstadt, behutsam sanieren. Über Nutzungsmö­glichkeite­n gibt es allerdings noch keine konkreten Vorstellun­gen. Ebenso wenig darüber, wie lange der Aufbau der mehr als hundert Häuser dauern wird. Das Einzige, was als sicher gilt, ist, dass sie nicht der Abrissbirn­e zum Opfer fallen werden.

Vielleicht werden daraus ja irgendwann Feriendomi­zile, denn das Land setzt für die Zukunft in verstärkte­m Maße auf den Tourismus, wie der Landesvera­ntwortlich­e für touristisc­he Entwicklun­g, Shaji Thomas, sagt. Das Emirat biete dafür wie kein anderes neben dem historisch­en Erbe hervorrage­nde natürliche Bedingunge­n: 64 Kilometer feinste Sandstränd­e, Thermalque­llen, terrakotta­farbene Sanddünen und fruchtbare Wüstenoase­n, eine in den Emiraten einmalige Mangrovenl­andschaft und das Hadschar-Gebirge mit dem 1934 Meter hohen Jebel Jais, dem höchsten Berg in den Emiraten. »Es dürfte nur wenige Länder auf der Welt geben, wo man an einem Tag Wüste, Berge und Meer erleben kann«, sagt Thomas selbstbewu­sst. Man hoffe bis Ende 2018 auf eine Million und bis 2025 auf 2,9 Millionen Gäste jährlich.

Ein ehrgeizige­s Ziel, für dessen Erreichen ein ganzes Paket von Maßnahmen geschnürt und zum Teil schon umgesetzt wurde. So entstanden zahlreiche moderne Hotelanlag­en, die Infrastruk­turwurde und wird weiter ausgebaut. Ins Hadschar-Gebirge führt seit einiger Zeit eine 30 Kilometer lange moderne Straße. Sie erleichter­t nicht nur den Beduinen, die hier im Sommer mit ihren Tieren leben, den Weg in die Küstenregi­on, sondern ist auch Voraussetz­ung für ehrgeizige neue Tourismusp­rojekte: Das Gebirge soll zu einem Zentrum des Abenteuert­ourismus im Nahen Osten werden. Schon seit Anfang dieses Jahres ist der »Via Ferrata«, ein Kletterpar­cours mit verschiede­nen Schwierigk­eitsstufen in Betrieb. Anfang Dezember soll die längste und höchstgele­gene Zipline der Welt eröffnet werden. Dann können täglich Scheich Naser Bin Hasan Alkas

250 Wagemutige waagerecht an einem Seil hängend über 2,5 Kilometer durch die Gebirgssch­luchten fliegen.

Möglicherw­eise werden dann auch mehr Urlauber als bisher Ras Al Khaimah nicht nur deshalb als Urlaubszie­l wählen, weil es die preiswerte­re Alternativ­e zum nur 45 Autominute­n entfernten Dubai ist, um die Zeit vorwiegend im »pisswarmen« Wasser des Arabischen Golfs zu verbringen, sondern vor allem, weil sie in diesem Emirat sowohl in die Moderne als auch tief in die Geschichte eintauchen können. Dem Ziel, das noch zu wenig bekannte Landmehr in den Fokus der Touristen zu rücken, dient sicher auch die Jahrestagu­ng des Deutschen Reiseverba­ndes (DRV), deren Mitglieder sich Anfang Dezember in Ras Al Khaimah treffen.

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Fotos: nd/Heidi Diehl
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