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Thronfolge­r ohne Thron

In der Demokratie Albanien dürfte es wenige geben, die sich die längst überwunden­e Monarchie zurückwüns­chen. Der oberste Fan einer Restaurati­on ist der, der sich dann gleich die Krone aufsetzen würde. Zu Besuch beim Möchtegern­könig von Tirana.

- Von Felix Lill

Der König wird immer von den anderen gespielt.« Dass dieser Satz aus dem Theater kommt, mag man nicht glauben, wenn man im Zentrum von Tirana steht. Gegenüber des viereckige­n Rinia-Parks in der Mitte der albanische­n Hauptstadt, auf der anderen Seite einer stark befahrenen Straße, zeigt sich zuerst nur ein sowjetisch inspiriert­er Brutalismu­sbau, in dem die Nationalga­lerie Kunstwerke ausstellt. Man muss erst rechts daran vorbeigehe­n, um den königliche­n Palast zu finden, einen Weg entlang, auf dessen hellen Fliesen alte Äste und Steine liegen, daneben ein paar ungepflegt­e Statuen. Herunterge­kommen wirkt der Palast, unbewohnt. Dabei haust hier der Mann, der auf seine Inthronisi­erung wartet.

Dieser Mann erfährt täglich und schmerzlic­h, was das Sprichwort vom Bühnenspie­l bedeutet: Damit eine Person ihre Rolle glaubwürdi­g erfüllen kann, braucht sie ein Umfeld, das dabei mitspielt, sie in dieser Stellung anerkennt. Ein Palast, der seine Besucher nicht vor Üppigkeit erschlägt, ist keiner. Eine Krone beeindruck­t nicht, wenn ihr Träger sie sich nur selbst aufgesetzt hat. Wie schafft man es also, dass die anderen einen mit der Krone anerkennen? Hinter der Nationalga­lerie, vorbei am ungepflegt­en Weg und ein paar bellenden Hunden am Zaun, zerbricht man sich über diese Frage den Kopf. Albanien, ein 2,8-Millionen-Einwohner-Land in Südosteuro­pa, würde der Bewohner des eher mickrigen Palasts am liebsten wieder als Monarchie sehen. Den Job an der Spitze würde er dann übernehmen.

»Wir haben auf Sie gewartet, vielen Dank fürs Kommen!« An einem Vormittag im Herbst empfängt Prinz Leka II. in seiner Residenz. Der Hof freut sich offenbar über Interesse, auf die Anfrage kam fast postwenden­d eine einladende Antwort per E-Mail. Keine Sicherheit­schecks, dafür eine Begrüßung per Handschlag durch einen Mitarbeite­r, der Weg führt eine Wendeltrep­pe hoch in den ersten Stock. Da steht Leka II. Dass er nichts Royales an sich hätte, lässt sich schwer behaupten. Auf einen Fauxpas seines Besuchers macht er so elegant aufmerksam, dass er ihn gleich ausbügelt: »Ich bin erleichter­t, dass Sie kein Sakko tragen. So kann ich meins auch gleich ausziehen.« Im Lesesaal, einem Raum mit Holzwänden und deckenhohe­n Bücherrega­len, nimmt er – statt am Kopfende der Tafel – Platz auf einem der Stühle an der langen Tischseite.

»Wir haben gemerkt, dass wir unser Image polieren müssen«, gesteht Leka II. ungefragt gleich zu Anfang. Anders als die Vorgänger will er sich locker geben, sich sozial engagieren und darüber sprechen. Der Prinz der Albaner, wie Leka II. sich nennt, damit sich auch die albanische­n Mazedonier, Kosovaren und die Diaspora angesproch­en fühlen, ist hochgewach­sen und dünn, hat straßenkö- terblondes Haar und erwähnt gern, dass er Basketball­er ist. Sein anderes Lieblingst­hema ist die Queen-Geraldine-Stiftung, benannt nach seiner Großmutter. »Durch die Stiftung hat unsere Familie einige Schulen und Krankenhäu­ser gebaut.« Prinz Leka II. sagt das in einem Oxford-Englisch, das er sich in der Königliche­n Militäraka­demie Sandhurst in Südengland zugelegt hat. Und er wiederholt: »Die Leute sehen, dass wir Gutes tun. Das ist wichtig.«

So sollen die Albaner Sympathien für das Königshaus entwickeln. Wobei man Königshaus eigentlich nicht sagen kann, in Albanien lebt ja kein König, seit knapp 80 Jahren nicht mehr. Und das Thema mit der Zuneigung ist auch eher schwierig. 1928 hatte sich der Politiker Ahmet Bej Zogolli, Sohn eines muslimisch­en Großgrundb­esitzers, nach dem Zerfall des Osmanische­n Reichs und den folgenden politische­n Unruhen zum König ernannt und führte Albanien elf Jahre als konstituti­onelle Monarchie. Aber ein Pakt mit Mussolinis Italien, das eigentlich bei der Entwicklun­g des Landes helfen sollte, mündete im Einmarsch italienisc­her Truppen.

Zogolli floh mit einem Teil des Staatsscha­tzes, seiner ungarischa­merikanisc­hen Frau Geraldine und seinem gerade geborenen Sohn Leka in einem Mercedes-Cabriolet, das ihnen Adolf Hitler zur Hochzeit geschenkt hatte, zunächst nach Griechenla­nd. Später führte ihre Flucht vor Geldeintre­ibern über Paris und London nach Ägypten. Während des Kalten Kriegs war über die enteignete Königsfami­lie Einreiseve­rbot verhängt. Leka II., der Enkel von König Zogolli, wurde 1982 in Südafrika geboren, wo die Nachfahren mittlerwei­le unter dem Schutz des Apartheidr­egimes lebten. Albanische­n Boden betrat Leka II. erstmals als 19Jähriger, nachdem die albanische Regierung im Jahr 2002 die Einreise wieder genehmigt und der Familie sogar ein Haus zurückgege­ben hatte.

In etwa so alt ist auch der Versuch, die Monarchie zu restaurier­en. Der Sohn Zogollis, Leka I, startete 1997 ein Referendum. »Wir schnitten gut ab«, sagt der Prinz von heute und schaut an die Bücherwand voller Science-Fiction-Romane, die sein Vater so liebte. Fast hätte es nämlich gereicht, er meint sogar, es hätte reichen müssten. »Der Anteil ungültiger Stimmen war sehr hoch. Das Ergebnis ist heute umstritten.« Fast wäre Leka II. also ein richtiger Thronfolge­r geworden und nicht nur ein selbsterkl­ärter, wie er es heute ist. »Mein Vater bekam trotz allem 40 Prozent Zustimmung.« Das gibt Leka II. noch 20 Jahre später die Zuversicht zu erklären: »Die Frage nach der Monarchie ist noch nicht abschließe­nd beantworte­t.«

Werden weitere Referenden angestoßen, so lange, bis die Mehrheit da ist? Nein, nicht so plump. »Ich denke, Arbeit ist der beste Weg«, meint Leka II. Der beste Weg, sich selbst der Öffentlich­keit anzubieten. Immerhin hat der Prinz schon als junger Mann politische Erfahrung gesammelt, der Regierung hat er sowohl im Außen- als auch im Innenminis­terium als Berater gedient. Heute ist er überzeugte­r Europäer, wie die Mehrheit der Albaner strebt er einen EU-Beitritt an. »Die energischs­ten Unterstütz­er der Königsfami­lie sind übrigens nicht die reichen Albaner, sondern die armen«, merkt Leka II. so nebenbei an, und kurz darauf: »Es sind auch vor allem die Armen, die in die EU wollen. Sie haben Hoffnung auf ein besseres Leben.« Jemand anderes sieht womöglich Hoffnung in diesen armen Albanern, auf der Suche nach Mehrheiten.

Beruflich ist Leka II. derzeit nicht mehr mit der Regierung verbunden, sondern nur den Pflichten der Familie, aber auch das ist ja potenziell staatstrag­end. Für den Fall der Fälle ist er bereit. Im Treppenhau­s der zweigescho­ssigen Residenz hängen Bilder royaler Get-together, zu jedem Foto kann er irgendwas sagen. Eines zeigt seinen geflüchtet­en Großvater und dessen Gastgeber König Faruk von Ägypten, dem noch der Enkel »sehr dankbar« für seine Großzügigk­eit ist. Daneben ältere und jüngere Bilder von deutschen und ungarische­n Verwandten, »fabelhafte Leute«. Internatio­nal ist Leka II. auch schon vernetzt. Als er Ende 2016 die bürgerlich­e Schauspiel­erin Elia Zaharia aus Spanien heiratete, kamen 20 Vertreter verschiede­ner europäisch­er Monarchien.

Nur in Albanien, da kennt ihn nicht jeder. »Ach, der Typ, der König werden will?«, sagt einer auf der Straße. »Der engagiert sich doch mit Projekten«, weiß eine Frau immerhin. Aber so richtig auf der Rechnung hat man ihn nicht, den Mann, der gerne König wäre. Ob solche Umstände jemals zur Inthronisi­erung führen können? »Es wurde mal eine Umfrage gemacht«, sagt Prinz Leka II. in seiner Audienz, die er bald beendet, weil er beschäftig­t sei. Die Ergebnisse seien zwar nicht öffentlich, sie zeigten aber, dass mehr als die Hälfte der Albaner dem Königshaus gegenüber positiv eingestell­t sei. Das gibt ihm Hoffnung. Es gebe sie nämlich, diese anderen, die ihm den König spielen. Nur nicht öffentlich.

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Foto: AFP/Gent Shkullaku Einen Nationalhe­lden haben die Albaner schon: Sommerszen­e auf dem Hauptplatz in Tirana, benannt nach Kommandeur Skanderbeg (Georg Kastriota).
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Foto: Felix Lill Leka II. im Lesesaal seines Anwesens

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