Ein internationales Netzwerk von Firmen Ein Tröpfchen Aufklärung
Zwei venezolanische Geschäftsleute haben jahrelang Mitarbeiter des staatlichen Erdölkonzerns bestochen. Ein US-amerikanisches Gericht hat die beiden angeklagt.
Die Geschichte von Roberto Rincón beginnt in der Hafenstadt Maracaibo im Nordwesten von Venezuela. Als junger Mann beginnt Rincón für das Unternehmen eines Onkels im Ölgeschäft zu arbeiten. Diese verkauft Material und Ausrüstung an Ölfirmen. Wohlhabend ist er nicht, lebt zeitweise in einer Sozialwohnung. Doch der Ingenieur arbeitet sich hoch. In den späten 80er Jahren gründet Rincón seine eigene Firma, 1992 eröffnet er seine erste Firma in Houston.
Dann gewinnt Hugo Chavez 1998 die Präsidentschaftswahlen. Vor allem mit Hilfe der Ölmilliarden des staatlichen Erdölkonzerns PDVSA setzt er den »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« um: Sozialprogramme, sozialer Wohnungsbau und Bildungsausgaben halbieren die Anzahl derer, die in extremer Armut leben, und verhelfen vielen Armen zu einem besseren Leben. Nach Angaben von Venezuelas Vizepräsident für Planung und Wissenschaft, Ricardo Menendez, gab die bolivarianische Regierung dafür zwischen 1999 und 2015 im Durchschnitt 62 Prozent der Staatseinnahmen für Sozialausgaben aus, 2017 sollen es sogar 70 Prozent sein.
Möglich machten das die sprudelnden Öleinnahmen des staatlichen Konzerns PDVSA und der hohe Ölpreis. Doch Chavez geht weiter und enteignet auch Firmen. Dann holen seine Gegner zum Gegenschlag aus: 2002 versucht die bürgerliche Opposition mit einem Generalstreik und einem Putsch, die Macht im Lande zurückzuerlangen – und scheitert nach zwei Tagen. Kurz danach feuert ein erboster Chavez rund 18 000 PDVSA-Angestellte und ersetzt diese mit loyalen Anhängern. Doch viele von ihnen kennen das Ölgeschäft kaum. Zulieferer wie Rincón nutzen das in den folgenden Jahren aus, er beginnt sich um Aufträge des Ölkonzerns zu bewerben.
Etwa 1,5 Millionen Venezolaner sind seit der Wahl von Hugo Chavez 1998 ins Ausland emigriert. Einige aus politischen Gründen, andere, weil sie sich im Ausland bessere berufliche Chancen versprechen. Viele von ihnen gehen in die USA. Darunter junge Leute und arme Migranten, die in Restaurants in Miami oder New York arbeiten. Doch viele, die gegangen sind, stammen aus der Mittelschicht. Und auch reiche Venezolaner fliehen vor dem Sozialismus des Hugo Chavez, bringen ihr Geld in den Steueroasen der Karibik oder in den USA in Sicherheit. Gleichzeitig entsteht nach 1998 eine neue Schicht von Funktionären, die unter Chavez zu Reichtum kommt: die »Boligarchen«.
Viele der venezolanischen Migranten aus dieser Zeit lassen sich in und um New York nieder sowie in Südflorida – in Miamis Stadtteil Doral stellen sie sogar 17 Prozent der Bevölkerung. Und einige ziehen an den westlichen Rand von Houston, angezogen von den Jobs in der texanischen Ölindustrie. Hier lebt auch Ricardo Rincón. Er gründet nach Jahren erfolgreicher Arbeit im Erdölgeschäft in Venezuela 2004 eine weitere Firma in Houston: Tradequip Services. In den Folgejahren baut er hier ein Netzwerk von Fir-
men auf. Nach Recherchen des venezolanischen Nachrichtenportals Armando sind Ende 2014 insgesamt 36 Firmen auf den Namen Rincóns oder seiner Familienmitglieder registriert. 23 in den USA, sechs in Venezuela und vier in Spanien.
Rincón verhält sich unauffällig, lebt in einem Vorort von Houston in einer Gated Community in einem Sieben-Millionen-Dollar-Haus, umgeben von großen Hecken, Wachschutz, einer Garage mit Platz für mehr als zehn Autos und einem gesicherten »Panic Room«. Still und leise führt der Ölmagnat von Houston aus sein MultiMillionen-Imperium, bis er Ende 2015 von der US-Staatsanwaltschaft verhaftet wird.
Ebenfalls ansässig in Houston ist das Tochterunternehmen des staatlichen venezolanischen Ölkonzerns PDVSA zum Ankauf von Ausrüstung, Bariven S.A. Die Tochterfirma vergibt Aufträge über die Beschaffung von Material und Wartung der Ölplattformen in einem Ausschreibungsverfahren. Ein Verkaufsanalyst stellt dabei eine Kommission zusammen, die den Bieterprozess leitet. Die Kommission erstellt eine Liste von Firmen, die angesprochen werden, um Angebote zu einem speziellen Auftrag einzureichen. Nach Sichtung der eingesandten Angebote wird dann der Gewinner des Auftrags bestimmt. Damit soll eigentlich gesi-
chert werden, dass das Unternehmen die Aufträge an den Zulieferer mit dem besten Angebot vergibt. Doch Rincón und sein Partner manipulieren die Auftragsvergabe zu ihren Gunsten. Sie erhalten so Millionen Dollar für Aufträge, die nie oder nur unvollständig erfüllt wurden, außerdem für Material, das auf den Bohrplattformen im Golf von Venezuela nicht ankommt oder überteuert verkauft wird. Das Betrugssystem läuft mindestens zwischen 2009 und 2014, so steht es in der Anklageschrift.
18 Anklagepunkte: Bestechung, Geldwäsche, Verschwörung
Auf 40 Seiten beschreibt die Anklageschrift detailliert, wie Rincón, sein Partner Abraham Shiera und ihre Helfer dabei vorgingen. Sie umfasst 18 Punkte. Der Vorwurf: Verschwörung nach dem Foreign Corrupt Practices Act, Bestechung und Geldwäsche.
Ende Juli 2011 etwa erhält eine Firma von Rincón einen Auftrag von PDVSA im Wert von 7,7 Millionen Dollar, zehn Tage später bestellt die gleiche Firma genau das gleiche Equipment bei einer anderen von ihm kontrollierten Firma – für nur 7,3 Millionen Dollar. Monate später werden dann Schmiergelder für angeblich erbrachte Leistungen überwiesen: Ende März 2012 stellt ein PDVSA-Mann über eine Firma, die er mit einem Ver-
wandten besitzt, einer Firma Rincóns eine Rechnung über 150 000 Dollar für »Ingeniersdienste auf der Ölplattform GP-20«.
Ihre Kontakte beim venezolanischen Ölkonzern nennen die beiden in E-Mails »Alliados« – Verbündete. Diese reden Rincón mit »Guten Tag, Boss« an, wie aus der Anklageschrift hervorgeht. Diese beschreibt auch wie die »Verbündeten« Informationen über bevorstehende Aufträge Rincón und Shiera zukommen lassen. Die beiden wiederum schicken ihren Partnern Listen mit den Namen von Firmen zu, die von der Bieterkommission für einen bestimmten Auftrag zusammengestellt werden sollen. Auf den Listen befinden sich dann mehrere Firmen, die von Rincón und Shiera kontrolliert werden.
Strohmänner und Briefkastenfirmen
So wird der Eindruck erzeugt, der Bieterprozess sei ein offener Wettbewerb, obwohl er es nicht ist. Anschließend sorgen die korrupten PDVSA-Mitarbeiter dafür, dass Firmen von Rincón und Shiera ausgewählt werden, ändern auch den Umfang von Bestellungen und sorgen dafür, dass die Firmen der beiden Geschäftsmänner sofort und bevorzugt bezahlt werden.
In einer dieser Listen, die ein PDVSA-Mitarbeiter Anfang März
2012 an Rincón schickt, werden mehrere Kommissionen beschrieben. In zahlreichen Vergabekommissionen sind zwei bis vier von Rincón und Shiera kontrollierte Firmen ausgewählt, um Angebote zu machen.
Um zu verschleiern, wer die Firmen wirklich kontrolliert, werden Familienmitglieder und Strohmänner als formale Besitzer oder Manager der Firmen bestimmt. Rincón und Shiera führen Buch, welche der korrupten PDVSA-Mitarbeiter ihnen Aufträge in welcher Höhe beschafft und dementsprechend Anspruch auf Schmiergeldzahlungen haben. Ende Oktober 2011 sendet ein Geschäftspartner eine E-Mail an Shiera mit einer detaillierten Excel-Liste über Verträge, die von dem Einkaufsleiter beaufsichtigt wurden – der Betreff lautet: »Unbeglichene Provision«. Ende März 2012 meldet Shiera in einer Antwort an zwei Geschäftspartner und Rincón: »Rincóns Firma sollte das Bieterverfahren gewinnen, die Provision ist fünf Prozent des Kaufpreises« und »RR wird die Kommission bezahlen« – gemeint ist Roberto Rincón. »Provisionen« nennen sie die Schmiergeldzahlungen.
Bankkonten in Panama, teurer Whiskey und Reisen nach Miami Explizit in der Anklageschrift genannt werden Schmiergeldzahlungen von Rincón in Höhe von 600 000