Jamaika ohne Gras
Bei der Berliner Hanfkonferenz gab es nur wenig Hoffnung auf eine vollständige Legalisierung von Cannabis unter der neuen Regierung.
Fachleute haben sich am Wochenende zur ersten Hanfkonferenz in Berlin getroffen. Trotz bereits erfolgter Teillegalisierung halten viele eine vollständige Freigabe in naher Zukunft für unwahrscheinlich. »Das ist hier ja schlimmer als beim CSU-Parteitag«, kommentiert eine Teilnehmerin, als die Redner zur Eröffnungsveranstaltung der ersten deutschen Hanfkonferenz das Podium im fünften Stock des Wyndham Hotels in Berlin Mitte betreten. Die einzige weibliche Eröffnungsrednerin an diesem Freitag morgen, Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP, lässt sich entschuldigen. Sie komme mit etwas Verspätung, heißt es. »Fangen wir trotzdem an«, sagt Konferenzorganisator Georg Wurth, der seit 2002 Geschäftsführer des deutschen Hanfverbandes ist.
Pünktlich zu den Jamaika-Koalitionsgesprächen hat sein Verband die Petition 73900 zur Legalisierung von Cannabis gestartet. Bis zum 23. November sollen mindestens 50 000 Unterschriften gesammelt werden, damit sich der Bundestag mit dem Thema Legalisierung auseinandersetzt. Mehr als 20 000 Menschen haben bislang unterzeichnet. Dass es unter einer Jamaika-Koalition zur vollständigen Legalisierung kommen wird, halten viele hier dennoch für unwahrscheinlich. Zu weit unten steht das Thema auf der Prioritätenliste in den Verhandlungen.
Wurth denkt langfristig und hat deswegen die Konferenz ins Leben gerufen, zu der etwas mehr als 100 Menschen gekommen sind. Was neu an dieser Konferenz sei, fragt er in die Runde. »Neu ist diese Konferenz«, erklärt er stolz. Neu sei das geballte Wissen, das an diesem ersten Novemberwochenende versammelt sei. »Wir haben hochkarätige Gäste eingeladen«, verspricht der Organisator. Eine derart kompetente Veranstaltung, die sich mit der Legalisierung von Cannabis auseinandersetzt, habe es im deutschsprachigen Raum bislang noch nicht gegeben.
Alle Teilnehmenden eint die Ablehnung der bisherigen Drogenpolitik der Bundesregierung. »Schluss mit der Prohibition« fordert Wurth. »Wir sind nicht die Konsumenten«, betont er. »Wir sind die Legalisierungsbefürworter«, das schließe auch Nichtkonsumenten ein – Politiker, Elternvertreter, Sozialarbeiter, Polizisten. Sie alle sind gekommen, um zu diskutieren. Einander zuzuhören, Argumente auszutauschen.
Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, André Schulz, setzt sich für eine Entkriminalisierung der Konsumenten ein. »Das Verbot ist gescheitert«, sagt er. Die Ermittlungserfolge bei Cannabis belaufen sich im Schnitt auf rund zweieinhalb Tonnen Gras pro Jahr. Selbst bei konservativer Schätzung reiche diese Menge für alle deutschen Kiffer gerade mal rund eine Woche. Ein Schmunzeln geht durch die Reihen.
Mehr als eine Milliarde Euro zusätzlicher Steuereinnahmen würde eine Cannabis-Legalisierung zusätzlich in den Haushalt spülen, schätzt der Hanfverband. Positiver Nebeneffekt: Verbraucherschutz, Qualitätskontrolle, Entkriminalisierung der KonsumentInnen, Aufklärung und Drogenprävention wie auch Hilfe für Suchtkranke und alternative Behandlungsmöglichkeiten, beispielsweise bei ADHS oder Alzheimer. Tatsächlich treten an diesen zwei Tagen in 19 Einzelveranstaltungen über 30 Experten aus den Bereichen Wissenschaft, Medizin, Politik, Suchtberatung und Rechtsprechung auf. Einzig von Union und AfD lässt sich niemand hier blicken.
Einige Hanfaktivisten drehen sich nach dem Essen an einem Tisch im Foyer ein Tütchen. Auf die Frage, ob er keine Angst vor staatlicher Repression habe, zuckt ein junger Aktivist die Schultern und verschwindet auf den Balkon zum Rauchen. Wenig später beschwert er sich über die gesellschaftliche Stigmatisierung, die mit Cannabiskonsum immer noch einher gehe. Er erzählt von einem Freund, der in einer staatlichen Kita gearbeitet habe und seinen Job wegen des Kiffens verlor. Er wurde mit ein paar Gramm erwischt, eine Anzeige folgte, der Arbeitgeber wurde aufmerksam und schrieb umgehend die Kündigung. »Der lebt jetzt von Hartz IV. Kriegt kein Bein mehr auf den Boden deswegen«, schimpft er.
Tatsächlich bestraft das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) nicht den Konsum illegalisierter Substanzen, sondern nur deren Besitz sowie den Handel damit. Es gilt das Prinzip der »Straflosigkeit von Selbstschädigung«, heißt es darin. Auch geringe Mengen zum Eigenkonsum könnten grundsätzlich straffrei bleiben, allerdings wird das in den Bundesländern verschieden gehandhabt. Während in Berlin schon mal bis zu 15 Gramm dem Eigenkonsum zugerechnet werden, sieht das im konservativen Bayern ganz anders aus. »Da kannste für einen einzigen Joint in den Knast wandern«, berichten Umstehende.
Das Absurde daran: Weil die Höhe der Strafe danach festgelegt wird, wie hoch der reine THC-Gehalt des gefundenen Material ist, kann eine Verurteilung bei ungestrecktem Gras wesentlich höher ausfallen als bei solchem, das zum Zweck der Gewinnmaximierung auf dem Schwarzmarkt mit lebensgefährlichen Substanzen wie Vogelsand, Haarspray oder Zucker verunreinigt wurde.
Für den ehemaligen Polizeipräsidenten aus Münster, Hubert Wimber, ist das BtMG verfassungswidrig. »Nach dem Grundrecht ist eine Strafrechtsnorm nur dann verfassungskonform, wenn sie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Diese Verhältnismäßigkeit wird im Bereich des BtMG eklatant verletzt«, sagt er. Es gäbe andere Möglichkeiten, mit Suchtverhalten umzugehen, zum Beispiel durch Therapie oder Aufklärung. »Außerdem wissen wir mittlerweile, dass durch die Prohibition die gesundheitliche und soziale Lage der Konsumenten verschlechtert wird.«
Eine gymnasiale Elternvertreterin schüttelt verständnislos den Kopf. Sie ist zur Konferenz gereist, um sich zu informieren, wie sie sagt. Sie schätzt die Atmosphäre, die professionelle Aufmachung eines gesellschaftlich geächteten Themas. »Natürlich ist das auch Thema an unserer Schule«, sagt sie. An Gymnasien werde noch mehr gekifft als an anderen Schulen, glaubt sie. »Verbote bringen niemandem was«, sagt sie, »das haben wir als Kinder doch schon gelernt.«
»Verbote bringen niemandem was, das haben wir als Kinder doch schon gelernt.« Elternvertreterin in einem Gymnasium