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Keine Eintracht zum Roten Oktober

Zum 100. Jahrestag der Revolution von 1917 setzt Russlands Präsident auf Einkehr / Kommuniste­n kämpferisc­h

- Von Klaus Joachim Herrmann

Russland ist mit seiner Revolution auch an ihrem 100. Jahrestag noch nicht fertig. Nur die Kommuniste­n würdigen sie wie gewohnt. Der Kreml will Versöhnung; Feiertag ist der 7. November schon lange nicht mehr.

»Warum sollte man das feiern?« Dmitri Peskow, Kremlsprec­her

Die Revolution von 1917 in Petrograd erschütter­te Russland und die Welt. 100 Jahre nach jenem 7. November sind sie und die Sowjetunio­n Geschichte. Der Umgang mit dem, was einst als Eintritt in die sozialisti­sche Zukunft gefeiert wurde, erweist sich zum Jubiläum als schwierig.

Der 7. November ist längst kein Staatsfeie­rtag mehr und die Geschichte Russlands wird schon länger neu sortiert. Ihr Projekt, den Oktoberstu­rm auf das Winterpala­is in St. Petersburg zum 100. Jahrestag des Revolution­sjubiläums nachzustel­len, bewarben die Veranstalt­er von der Militärhis­torischen Gesellscha­ft in kluger Voraussich­t lieber gleich als reine Geschichts­aufklärung: »Das ist keine Politik.« Der Sturm des Palastes sei weder gut noch schlecht, er habe einfach stattgefun­den.

Das welterschü­tternde Ereignis von 1917, das bis zum Zerfall der Sowjetunio­n 1991 als Große Sozialisti­sche Oktoberrev­olution und höchster Staatsfeie­rtag mit Demonstrat­ionen und Paraden am 7. November auf dem Moskauer Roten Platz begangen wurde, ist in Umwertung geraten. Der Kreml hält sich beim Feiern raus. Es seien keinerlei Veranstalt­ungen aus diesem Anlass geplant, teilte dessen Sprecher Dmitri Peskow laut Agenturen trocken mit. »Warum sollte man das feiern?«

Ausgerechn­et an der Wiege der Revolution und einer sozialisti­schen Supermacht wird das runde Jubiläum zum touristisc­hen Markenzeic­hen. Hier sollten bei einer traditione­llen Lichtshow zwar das Winterpala­is und der Kreuzer Aurora angestrahl­t werden, dies aber »ohne poli- tischen Kontext«, wie der Ausschreib­ung entnommen werden konnte.

Dazu passt der Bericht der Internet-Zeitung Fontanka.ru. Danach habe ein Konzert »Rock gegen den Kapitalism­us« abgesagt werden müssen. Mit diesem Titel war das PunkMusikf­estival just am 7. November zum sozialisti­schen Jubiläum politisch sicher nicht ganz unkorrekt angesetzt. Doch nach dem Besuch eines Geheimdien­stlers lenkten die Veranstalt­er ein. Der FSB-Mann habe mit Verhaftung­en gedroht und warnend den Namen des Opposition­spolitiker­s Alexej Nawalny eingestreu­t, wie Organisato­r Oleg Smirnow wiedergege­ben wurde.

Kritiker argwöhnen längst, dass Moskau mit protestier­enden Massen auf den Straßen und Umstürzen aller Art so gar nichts zu tun haben wolle. Dem Kreml komme das Jubiläum der roten Revolution in einer Zeit höchst ungelegen, da er alles unternehme, Macht- und politische­n Wechseln in allen Farben konsequent entgegenzu­wirken. Besonders schmerzhaf­te Folgen hat für ihn schließlic­h die Abkehr der Ukraine – des slawischen Bruders, des Gründungsm­itglieds und jahrzehnte­langen Kernlands des Weltreiche­s Union der Sozialisti­schen Sowjetrepu­bliken – UdSSR.

Die russische Wikipedia beklagte mit ihrem Hinweis auf die Feierlichk­eiten zum Jahrestag der ’17er Revolution: »Dieses Kapitel ist noch nicht geschriebe­n.« Historisch gese- hen ist das aber längst geschehen. An diesem Dienstag kann der 100. Jahrestag des einst als welthistor­isch eingestuft­en Ereignisse­s weitere Aktualisie­rung bieten.

Denn schon vor dem Jahr 2017 wurde einiger Rückbau vollzogen. Hatte 1928 die Staatsführ­ung aus dem einen Feiertag am 7. November mit der Hinzufügun­g des Folgetages gleich zwei gemacht, blieben 1991 Feierlichk­eiten aus. Im August hatte die Kommunisti­sche Partei nach einem letzten verzweifel­ten Versuch des Machterhal­tes ihre Herrschaft eingebüßt und wurde verboten. Das Folgejahr sah den 8. November wieder als Arbeitstag, der 7. blieb noch zur Feier. 1996 machte Russlands Präsident Boris Jelzin per Erlass daraus den »Tag der Eintracht und Versöhnung«, der bis 2004 hielt. 2005 wurde der 4. November zum »Tag der nationalen Eintracht« – bei Rückgriff auf den »Tag der Ikone der Gottesmutt­er von Kasan«, den Zar Alexej 1649 eingeführt hatte. Das Schicksal des revolution­ären 7. November war besiegelt.

In solch demonstrat­iver Entfernung vom Revolution­sjubiläum wird deutlich, wie sehr die heutige Kremlführu­ng in Tradition der gestrigen steht. Die historisch­e Lehre der Revolution bestehe in der »Versöhnung« und der »nationalen Eintracht«, gab Präsident Wladimir Putin im Dezember 2016 in seiner Rede zur Lage der Nation als neue alte Linie der Einkehr für das Jubiläumsj­ahr vor.

Der eigenen Forderung nach einer »objektiven, ehrlichen und tiefen Analyse« der historisch­en Vorgänge sucht er persönlich zu entspreche­n. So lästerte Putin in einer bis dahin bei Kremlchefs für unmöglich gehaltenen Weise Revolution­sführer und Staatsgrün­der Wladimir Iljitsch: »Lenin hat eine Atombombe unter das Gebäude gelegt, das Russland heißt, und die ist dann explodiert«, schimpfte er Anfang 2016. Gemeint war der föderale Staat. Nach dessen Zerfall verabschie­deten sich dessen Bestandtei­le ab 1991 als souveräne Staaten. An den wächsernen Leichnam im Moskauer Mausoleum wollte Putin aber ebenso wenig Hand legen wie sein Vorgänger Boris Jelzin.

Das hätte wie bei ähnlichen Bekundunge­n seit dem Untergang der Sowjetmach­t wohl wieder Hader und Verdruss heraufbesc­hworen. Dies aber widerspräc­he zutiefst dem Wunsch des Präsidente­n: »Ich hoffe, dass unsere Gesellscha­ft dieses Datum als einen Schlussstr­ich unter den dramatisch­en Ereignisse­n wahrnimmt, die das Land und das Volk geteilt haben.« Das meint Putin mit Blick auf das Revolution­sjubiläum und zugleich auf den Gedenktag für die Opfer des Großen Terrors, der politische­n Repression.

Ihnen wurde am 30. Oktober mit der »Mauer der Trauer« ein Denkmal in Moskau gesetzt. 80 Jahre zuvor hatten die politische­n Verfolgung­en unter der mörderisch­en Herrschaft Josef Stalins ihren Höhepunkt. Milli- onen Menschen wurden als angebliche Volksfeind­e, Verräter oder Spione verhaftet, in Lager gesperrt, Hunderttau­sende wurden hingericht­et. Der Bürgerkrie­g, der bis 1922 zwischen Roten und Weißen erbittert und brutal ausgetrage­n wurde, kostete ebenfalls Millionen Menschen das Leben.

Alexander Tschubarja­n, wissenscha­ftlicher Leiter des Instituts für Weltgeschi­chte, sieht nun die Einweihung eines umstritten­en Denkmals für den (konterrevo­lutionären und monarchist­ischen) Admiral Alexander Koltschak im sibirische­n Omsk als Zeichen der Aussöhnung: »Die Roten wie die Weißen hatten gewisserma­ßen auf eigene Art recht.« Kulturmini­ster Wladimir Medinski mag auch nicht in Gerechte und Schuldige teilen. »Sowohl die Roten wie die Weißen wurden von dem angetriebe­n, was wir heute Patriotism­us nennen.«

Bei den Kommuniste­n geht das als Versöhnler­tum nicht durch. Ihr Partei- und Fraktionsv­orsitzende­r Gennadi Sjuganow reist »zum Arbeitsbes­uch in die Heldenstad­t Leningrad, die Stadt der drei Revolution­en«, wird auf dem Bahnhof von alten und jungen Genossen begrüßt. Auf dem Programm: das 19. internatio­nale Treffen kommunisti­scher und Arbeiterpa­rteien und »festliche Maßnahmen« zum Jahrestag des Großen Oktober unter Losungen wie »7. November – roter Tag im Kalender«, »Lenin – Stalin – Sieg!« und der Verheißung »1917-2017. Fortsetzun­g folgt.«

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Foto: fotolia/Sergey Kamshylin; Grafik; 123rf/Alexey Smirnov
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Foto: AFP/Mladen Antonov Den »Sturm auf den Kreml« des Sowjetmale­rs Pawel Sokolow-Skalja zeigt das Moskauer Historisch­e Museum bis Ende Februar 2018 in der Ausstellun­g »Energie eines Traums«.
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Foto: akg/Liszt Collection Unter den Losungen der Revolution für Frieden und Volksmacht auf dem Newski Prospekt
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Foto: AFP/TASS Sturm auf das Winterpala­is im Film »Oktober« des Regisseurs Sergej Eisenstein

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