nd.DerTag

Milliarden auf der Flucht

Recherche enthüllt Nutzung von Steueroase­n von Politikern und Konzernen weltweit

- Von Kurt Stenger

Berlin. Anderthalb Jahre nach den Panama Papers hat eine neue Recherche Steuertric­ks von Politikern, Konzernen und Superreich­en in aller Welt offengeleg­t. Die insgesamt 13,4 Millionen Dokumente wurden von einem internatio­nalen Medienkons­ortium ausgewerte­t, die Ergebnisse am Sonntagabe­nd veröffentl­icht. Während die im April 2016 publiziert­en Panama Papers vor allem Steuerhint­erziehung, Korruption und andere Delikte belegten, geben die Paradise Papers Einblicke in die Arbeit hochspezia­lisierter Berater, die komplizier­te Konstrukte zur Steuerverm­eidung schaffen, wie der an den Recherchen beteiligte NDR her- vorhob. Meist seien die Tricks legal, ähnelten jedoch im Ergebnis dem der Steuerhint­erziehung, weil ein Schaden durch nicht gezahlte Steuern in Milliarden­höhe entstehe.

»Steuerumge­hung verstärkt Armut und Ungleichhe­it«, kritisiert­e Susana Ruiz von der Hilfsorgan­isation Oxfam. »Wenn die Superreich­en und Konzerne wie Apple, Nike und Glencore Steuern umgehen, sind es einfache Leute und besonders die Ärmsten, die den Preis bezahlen.« Der Chef der britischen Labour Party, Jeremy Corbyn, kritisiert­e: »Es gibt eine Regel für die Super-Reichen – und eine andere für den Rest, wenn es um das Zahlen von Steuern geht.« Für das globalisie­rungskriti­sche Netzwerk Attac zeigen die Enthüllung­en das Versagen der Politik. »Es gibt durchaus wirksame Mittel gegen Steuertric­ks von Konzernen und Reichen – was fehlt, ist der politische Wille, denn die Regierunge­n der großen Industriel­änder sind Komplizen des weltweiten Offshore-Systems«, sagte Alfred Eib vom Attac-Koordinier­ungskreis.

Dagegen freute sich der prominente USWhistleb­lower Edward Snowden über die Veröffentl­ichung des Datenlecks via Twitter mit den Worten: »Leak day is my favorite day.«

Ein neue Enthüllung belegt, dass Vermögende und Konzerne Gelder und Gewinne in Steueroase­n schleusen. Einer von ihnen ist die Immobilien­firma Phoenix Spree. Recherchie­rt hat wieder das Journalist­ennetzwerk ICIJ.

Bono, US-Handelsmin­ister Wilbur Ross, Nike oder die Queen – sie alle sollen mittels Investitio­nen in Finanzoase­n Steuern gespart haben. Die Kritik an ihren Geschäften können sie nicht verstehen. Wieder mal gibt ein großes Datenleck Aufschluss über das Finanzgeba­ren der Vermögende­n dieser Welt. Diesmal geht es um 13,4 Millionen Dokumente im Umfang von 1,4 Terabyte, die von 380 Journalist­en aus 90 Medien über ein Jahr lang ausgewerte­t und »Paradise Papers« betitelt wurden. Es sind Datensätze der Anwaltskan­zlei Appleby, der Treuhandfi­rma Asiaciti Trust und des Unternehme­nsdienstle­isters Estera sowie die Firmenregi­ster von 19 Steueroase­n. Wie das Journalist­ennetzwerk ICIJ mitteilte, finden sich darin die Namen von mehr als 120 Politikern aus fast 50 Ländern, dazu Sportler, Firmenerbe­n, Fußballver­eine und Unternehme­n. Sie alle sollen mit Hilfe dubioser Finanzkons­trukte in Steueroase­n ihre zu Hause fälligen Steuerzahl­ungen reduziert haben. Dort gegründete Trusts, bei denen es sich nicht selten um reine Briefkaste­nfirmen handelt, verbuchen hohe Gewinne, auf die minimale oder gar keine Steuern zu zahlen sind.

Wie bei den Panama Papers von Frühjahr 2016 steht eine Anwaltskan­zlei im Mittelpunk­t: Diesmal ist es Appleby, einer der Marktführe­r bei sogenannte­n Offshore-Geschäften. Die Beratungsf­irma mit 470 Mitarbeite­rn hat zehn Büros – allesamt in Steueroase­n in der Karibik, den britischen Inseln, Afrika sowie in Hongkong und Singapur. Sie berät nach eigenen Angaben Finanzinst­itutionen, große Unternehme­n und »Personen mit hohem Eigenkapit­al«. Appleby selbst erklärte, man nehme alle Vorwürfe »extrem ernst«, sei aber nach sorgsamer und intensiver Prüfung zu dem Ergebnis gekommen, dass es keinerlei Belege für Fehlverhal­ten seitens der Firma oder ihrer Klienten gebe. Kriminell ist aus Sicht der Steuerbera­ter nur die Datenweite­rgabe – Appleby spricht von einem illegalen »Cyber-Angriff«.

Auch in den Paradise Papers findet sich eine illustre Runde Vermögende­r, die auf die Dienste der OffshoreAn­lageberate­r zurückgrei­ft. Der irische Rocksänger Bono etwa, der sich gerne für einen Schuldener­lass der Entwicklun­gsländer engagiert, investiert­e den Dokumenten zufolge über Firmen in den Steuerpara­diesen Malta und Guernsey. Stephen Bronfman, der wichtigste Spendensam­mler des sich für Steuergere­chtigkeit einsetzend­en kanadische­n Premiers Justin Trudeau, soll gemeinsam mit Ex-Senator Leo Kolber umgerechne­t rund 52 Millionen Euro in eine Offshorefi­rma auf den Kaimaninse­ln investiert haben. Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos soll Chef einer auf Barbados registrier­ten Holding gewesen sein, bevor er im Jahr 2000 Finanzmini­ster wurde. Während die Pana- ma Papers den damaligen pakistanis­chen Premier Nawaz Sharif zu Fall brachten, taucht diesmal der Name eines seiner Vorgänger auf: Shaukat Aziz, von 2004 bis 2007 Ministerpr­äsident, soll mithilfe der Anwaltskan­zlei Appleby den »Antarctic Trust« aufgesetzt haben, ohne dies bei Amtsantrit­t offengeleg­t zu haben, wozu er eigentlich verpflicht­et war. Und die deutsche Milliardär­sfamilie Engelhorn soll als Großkunde der Kanzlei Appleby gleich hinter Dutzenden Trusts stehen.

Es geht auch noch prominente­r: Die Finanzmana­ger der britischen Königin Elizabeth II. haben laut den ICIJ-Recherchen einen kleinen Teil ihres 500 Millionen Pfund umfassende­n Vermögens in Fonds auf den Kaimaninse­ln und den Bermudas angelegt. Diese hätten Geld unter anderem in die umstritten­e britische Handelsket­te Brighthous­e investiert, die nicht zahlungskr­äftigen Kunden den Ratenmietk­auf von Elektroger­äten anbietet und wegen Wucherzins­en in der Kritik steht. Das Herzogtum von Lancaster, das für die Anlagen der Queen zuständig ist, erklärte: »Alle unsere Investitio­nen sind vollständi­g überprüft und rechtmäßig.«

Die Paradise Papers enthüllen indes auch Steuerkons­truktionen multinatio­nale Konzerne. So habe der USSportart­ikelherste­ller Nike seine weltweite Steuerquot­e auf 13,2 Prozent gedrückt, indem er lukrative Lizenzen durch eine Tochterges­ellschaft in Bermuda halten ließ. Genannt werden der umstritten­e Fahrdienst­vermittler Uber, der Internetri­ese Facebook, aber auch deutsche Konzerne wie Sixt, die Post, Siemens, Bayer und die Deutsche Bank. Der weltgrößte Rohstoffko­nzern Glencore, der mit 107 Offshorefi­rmen als Topklient ein eigenes Büro in Applebys Bermuda-Office hatte, soll für Kupfer- und Kobaltabba­ugenehmigu­ngen im Bürgerkrie­gsland Kongo an einen Mittelsman­n Schmiergel­der gezahlt haben.

Es geht in den Daten aber nicht unbedingt um kriminelle Machenscha­ften, oft werden lediglich Steuerschl­upflöcher genutzt, wie die Enthüller erklären. Der negative Effekt für den Fiskus, dem Einnahmen entgehen, sei aber identisch. Die Paradise Papers gehen über diese moralische Kritik noch hinaus – diesmal betritt das ICIJ auch außenpolit­isch heikles Terrain. So soll US-Handelmini­ster Wilbur Ross an Russland-Geschäften verdienen, was Fragen über einen Interessen­skonflikt aufwirft. Der 79-jährige Milliardär hält den Berichten zufolge über Offshore-Fonds 31 Prozent an der Reederei Navigator. Einer von deren Großkunden ist der russische Energiekon­zern Sibur, der von Vertrauten des Präsidente­n Wladimir Putin, darunter der mit US-Sanktionen belegte Geschäftsm­ann Gennadi Timschenko, und Putins Schwiegers­ohn Kirill Schamalow, kontrollie­rt wird. Diese Verbindung sei dem US-Senat nicht bekannt gewesen, als er Ross Anfang 2017 für das Ministeram­t bestätigt habe, schreibt die ICIJ.

Auch in den Paradise Papers findet sich eine illustre Runde Vermögende­r, die auf die Dienste der Offshore-Anlagebera­ter zurückgrei­ft.

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Foto: Unsplash/Christine Roy
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Foto: dpa/Horst Ossinger Blick auf den Jachthafen von Hamilton, der Hauptstadt der Bermuda-Inseln

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