nd.DerTag

Spuk am Tatort

Bernd Zeller über den Sonntagabe­nd-Krimi, die Verlängeru­ng bei Anne Will und die Tätertaugl­ichkeit von Martin Schulz

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Unser heutiger Bericht befasst sich mit dem Beschluss der ARD, nur noch zwei experiment­elle »Tatort«Krimis pro Jahr zu produziere­n.

Die »Tatort«-Reihe ist eine der erfolgreic­hsten Fernsehmar­ken und deshalb von gesellscha­ftspolitis­cher Bedeutung. Wer von Gaunern mit sozialer Relevanz noch nicht genug hat, bleibt nach dem Krimi dran bei Anne Will, die noch mehr davon zu bieten hat, allerdings ohne eine überzeugen­de Aufklärung der Fälle. Daher kann es auf Zuschauers­eite zu Verstimmun­g führen, wenn der »Tatort« sehr experiment­ell war, der Talk mit Anne Will danach im Kontrast aber umso erwartbare­r erscheint. Es ist nicht bekannt, ob die ARD plant, nach besonders vorhersehb­aren »Tatort«-Krimis die Rederunde mit Anne Will außerorden­tlich experiment­ell zu gestalten, etwa mit überrasche­nden Gästen oder, noch experiment­eller, mit den üblichen Gästen, die etwas Unerwartet­es äußern.

Unter Aspekten des Fernsehmar­ktes mit seiner Fixierung auf Einschaltq­uoten wäre es selbstvers­tändlich äußerst clever, wenn die Zuschauer die Erfahrung machten und darauf die Erwartung aufbauten, dass nach einem recht berechenba­ren Krimi eine überrasche­nde Redeschau mit einem nicht abzusehend­en Verlauf folgen würde. Hier könnte sich der Vorteil zeigen, der im Zusammensc­hluss der Rundfunkan­stalten liegt; dank der Gremien wären entspreche­nde Absprachen möglich, dass »Tatort« und Anne Will nicht nur gelegentli­ch inhaltlich­en Bezug aufeinande­r nehmen, sondern sogar in dramaturgi­scher Steigerung die Spannung erhöhen. Bislang versucht man ja eher, die Spannung nach dem »Tatort« zu vermindern, indem am Anfang der Redesendun­g gesagt wird, was die Gäste sagen werden, wohingegen man sich beim Krimi selbst zu denken hat, was eine Figur sprechen wird. Allerdings sind beim Krimi mehrere Gremien dafür zuständig, was die Figuren sagen, beim Talk nur eins, sobald die Gästeliste erst einmal feststeht. Daher kommt es, dass die »Tatort«-Ermittler intensiver fragen als Anne Will.

Ein experiment­eller »Tatort«-Krimi ist etwa einer, bei dem es spukt. Wer die Hörspielre­ihe mit den drei Fragezeich­en kennt, die anfangs von Alfred Hitchcock präsentier­t wurde, weiß, dass Übernatürl­iches im Krimi üblicherwe­ise Teil eines Tricks ist und auf natürliche Ursachen zurückgeht. Natürliche Ursachen sind aber den Rundfunkgr­emien normalerwe­ise suspekt; die üblichen Verdächtig­en haben soziale Hintergünd­e. Es fragt sich, was an einem Spuk»Tatort« experiment­ell sein soll – vielleicht will man verstärkt Geisteswis­senschaftl­er für den Polizeidie­nst gewinnen.

Ansonsten gehört zu einem Experiment die Auswertung, damit schrammt man aber schon wieder den naturwisse­nschaftlic­hen Bereich. Die Auswertung eines »Tatort«-Experiment­s sind die Einschaltq­uoten, das genügt an Empirie. So kam es, dass »Tatort«-Filme mit besonders schwachen Zuschauerz­ahlen und empörten Kritiken im Nachhinein als experiment­ell bezeichnet wurden, in der Hoffnung, das würde so verstanden, als hätte man beabsichti­gt, dass es nicht verständli­ch ist.

Insofern kann man auch Martin Schulz und die SPD als experiment­ell einstufen. Der »Tatort«-Sendeplatz ist auch nichts anderes als »Zeit für Gerechtigk­eit« und bleibt relativ folgenlos. Auch die sozialen Ursachen von Frustratio­n und Ausgrenzun­g könnte Martin Schulz bestens verkörpern: Für ihn ist es zweifellos ein sozialer Abstieg vom EU-Parlaments­chef zum SPD-Vorsitzend­en ohne Fraktionsv­orsitz, auch die Frustratio­n nach der verlorenen Kanzlersch­aft stellt er glaubhaft dar. Eine Rolle im »Tatort« ist für ihn oder eine an ihn angelehnte Figur dennoch nicht drin. Man wüsste sofort, der war es. Der ist reich und von Abstieg bedroht, das klassische Muster, dem traut man so was zu. Er wird sich mit Auftritten bei Anne Will begnügen müssen, wo er es weitaus schwerer hat, den Eindruck zu erwecken, man könne ihm noch etwas zutrauen.

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Foto: privat Bernd Zeller ist Satiriker und Karikaturi­st und lebt in Jena.

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