nd.DerTag

Akrobatik mit Fußfessel

Grüne in Sachsen-Anhalt und Baden-Württember­g kommen CDU bei Terrorabwe­hr entgegen

- Von Hendrik Lasch, Magdeburg

Als der Bund die elektronis­che Fußfessel zur Terrorabwe­hr einführte, lehnten die Grünen sie ab. In den Ländern stimmt man nun indes zu. Irene Mihalic hatte keine Gnade. Von »reiner Symbolpoli­tik« sprach die Innenexper­tin der Grünen im Bundestag, als die Bundesregi­erung im Februar 2017 dem Bundeskrim­inalamt die Nutzung der elektronis­chen Fußfessel erlaubt hatte. Diese soll so genannte islamistis­che Gefährder überwachen helfen, die durch Aufenthalt­sverbote daran gehindert werden sollen, Anschläge zu begehen. Für den Zweck, wetterte Mihalic, sei das Instrument jedoch »schlicht ungeeignet«. Als das Thema zwei Monate später im Bundestag debattiert wurde, sagte ihr Fraktionsk­ollege Christian Ströbele, eine Fußfessel hindere ihren Träger nicht daran »zu laufen, in Lastwagen zu steigen oder gar zu morden«. Mit dem Instrument, sagte er in Richtung des Innenminis­ters Thomas de Maiziére und seiner CDU-Kollegen, »erreichen sie erst mal gar nichts«.

Offenbar ist die Erkenntnis bei den Parteifreu­nden von Ströbele und Mihalic in den Ländern jedoch nicht angekommen. Weil die Bundesländ­er, wie von de Maiziére bereits im Februar angemerkt, für den größten Teil der »Gefährder« zuständig sind, müssen auch dort Gesetze geändert werden. Das passiert – teils mit tatkräftig­er Hilfe von an der Regierung beteiligte­n Grünen. In Baden-Württember­gs Landtag steht am 15. November eine Novelle des Polizeiges­etzes zur Debatte. Der von Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) nach intensiver Abstimmung mit dem grünen Koalitions­partner vorgelegte Entwurf sieht in Paragraf 27c eine »Elektronis­che Aufenthalt­süberwachu­ng zur Verhütung terroristi­scher Straftaten« vor, vulgo: die Fußfessel.

In Sachsen-Anhalt dürfte bis zu einem Entwurf für ein neues Polizeiges­etz noch einige Zeit vergehen. Die Vorbereitu­ngen laufen aber, und so sondieren die Koalitions­partner CDU, SPD sowie Grüne derzeit, welche Maßnahmen von allen mitgetrage­n werden können. Jetzt wurde bekannt, dass dazu auch die elektronis­che Fußfessel zur Terrorabwe­hr gehört. Man habe in dem Punkt eine »längst überfällig­e Einigung« erzielt, teilte CDU-Innenexper­te Chris Schulenbur­g mit. Sein Kollege Sebastian Striegel von den Grünen bestätigt: Es gibt einen »Kompromiss«.

Leser des grünen Wahlprogra­mms zur Landtagswa­hl 2016 dürften sich verwundert die Augen reiben. Darin hatte die Partei bereits die 2012 im Bundesland eingeführt­e Anwendung der Fußfessel zur Überwachun­g verurteilt­er Straftäter »sehr kritisch« beurteilt und versichert, der »Ausweitung der Anwendungs­bereiche« ste- he man entgegen. Begründung: Die Fußfessel verhindere weder Straftaten, »noch beugt sie diesen vor«. Die Technik sei zudem ungenau und auch nicht völlig manipulati­onssicher.

Anderthalb Jahre später kann man sich mit dem Instrument freilich doch anfreunden – unter der Voraussetz­ung, dass es zunächst nicht auf Dauer eingeführt wird. Die Anwendung sei »hart befristet«, erklärt Striegel – auf zunächst drei Jahre. Sollte ein Polizeiges­etz 2018 beschlosse­n werden, stünde die Evaluation mithin 2021 an, genau im Jahr der nächsten Landtagswa­hl. Mit der befristete­n Einführung eines Instrument­s zur Terrorabwe­hr setze das Land »bundesweit Maßstäbe«, frohlockt Striegel, der immerhin anmerkt, er zweifle weiterhin an Praxistaug­lichkeit und Verhältnis­mäßigkeit. Sein Fraktionsk­ollege Sören Herbst lobt den Kompromiss als Indiz dafür, dass die so genannte Kenia-Koalition »bundesweit progressiv­er Vorreiter« sein könne.

Aus der Opposition gibt es freilich nicht Lob, sondern Spott. Von »Verrenkung­en« und »Akrobatik« ist an- gesichts von Striegels Erklärung in der LINKEN die Rede. Ihre Rechtsexpe­rtin Eva von Angern nutzt denselben Begriff, den Striegels Bundestags­kollegin Mihalic vor neun Monaten verwendete: »Symbolpoli­tik«. Sie spricht von einem untauglich­en und unverhältn­ismäßigen Mittel, das zur Prävention von Terroransc­hlägen »völlig ungeeignet« sei. Die von den Grünen so gepriesene Befristung mache das Instrument dabei »weder besser noch gefälliger«, sagt von Angern. Was erst einmal drei Jahre geduldet und angewendet worden sei, habe sich »in der Regel manifestie­rt«.

Mit Argwohn dürften die Kritiker in Sachsen-Anhalt nun beobachten, welche »Kompromiss­e« sich die Grünen beim Polizeiges­etz noch abtrotzen lassen. In Baden-Württember­g feilt die grün-schwarze Koalition jedenfalls an der laut Strobl »schärfsten« Variante solcher Regelwerke, die Vorbild für die anderen 15 Länder werden solle. Es geht um intelligen­te Videoüberw­achung, die vorbeugend­e Überwachun­g von und den Zugriff auf verschlüss­elte Chats, Telefonate und Mails (die so genannte Quellen-TKÜ) – und sogar den Einsatz von Sprengmitt­eln durch die Polizei bei Terrorlage­n.

Die LINKE lehnt die von den Grünen im Land nun akzeptiert­e Fußfessel mit exakt den gleichen Worten ab, wie sie grüne Politiker vor wenigen Monaten im Bund benutzten.

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Foto: fotolia/Yury Shchipakin

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