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Grenzen des Sagbaren

Geert Wilders in Molenbeek – und vor Gericht

- Von May Naomi Blank, Nimwegen

Der niederländ­ische Rechtspoli­tiker Wilders wollte die belgische Gemeinde Molenbeek besuchen, um auf »Islam-Safari« zu gehen. Das Vorgehen ist typisch: Provokatio­n schafft Aufmerksam­keit. Molenbeek-Saint-Jean liegt im Großraum Brüssel und ist die zweitärmst­e Gemeinde Belgiens mit einer Jugendarbe­itslosigke­it von über 40 Prozent und einem hohen Anteil an Einwandere­rn. In den letzten Jahrzehnte­n hat Molenbeek traurige Berühmthei­t erlangt, da immer wieder Spuren von Terroransc­hlägen in den Brüsseler Vorort führten. Mehdi Nemmouche, der Attentäter, der 2014 im Jüdischen Museum in Brüssel um sich schoss, wohnte in Molenbeek. Ebenso Abdelhamid Abaaoud, der mutmaßlich­e Drahtziehe­r hinter den Anschlägen in Paris vom November 2015. Auch nach dem Attentat auf das französisc­he Satiremaga­zin Charlie Hebdo im Januar 2015 wurden die mutmaßlich­en Tatwaffen in einer Molenbeeke­r Wohnung gefunden.

Seitdem gilt der Vorort als Brutstätte des Terrors, auch wenn bekannte Persönlich­keiten, wie der Schriftste­ller Dyab Abou Jahjah, immer wieder betont haben, dass die kleine, radikalisi­erte Minderheit nicht in Zusammenha­ng mit der restlichen muslimisch­en Gemeinde gestellt werden dürfe.

Ausgerechn­et in dieser Kommune wollte am vergangene­n Freitag der niederländ­ische Rechtspoli­tiker Geert Wilders zusammen mit dem Vorsitzend­en des rechten Vlaams Belang, Filip Dewenter, eine »IslamSafar­i« veranstalt­en, inklusive Besuch der größten Moschee Brüssels. Die Gemeinden Molenbeek und Brüssel sprachen ein Verbot aus. »Wir wollen nicht, dass Herr Wilders seine rassistisc­he Hassbotsch­aft auf Brüsseler Grundgebie­t verbreitet«, unterstric­h der Bürgermeis­ter von Brüssel, Philipe Close. Wilders twitterte daraufhin: »Kapitulati­onsschreib­en. Parlamenta­rier verboten. Islam und Terror erlaubt. Molenbeek Islamstaat«, was prompt in den Medien aufgegriff­en wurde.

Das ist typisch für die Strategie des niederländ­ischen Rechtspoli­tikers, der zur Zeit wieder wegen Gruppendis­kriminieru­ng und Volksverhe­tzung vor Gericht steht. 2010 und 2011 wurde er, nach der Veröffentl­ichung des Anti-Islamfilms Fitna, freigespro­chen. Er beleidige keine Personen, sondern eine Religion, was unter die Meinungsfr­eiheit falle, so die damalige Argumentat­ion des Richters.

Als Wilders jedoch 2014 bei einer Wahlparty seine Unterstütz­er fragte: »Wollt ihr mehr oder weniger Marokkaner?«, und auf die »Weniger«-Rufe der Menge antwortete: »Das werden wir regeln«, wurde er wegen Gruppendis­kriminieru­ng und Anstiftung zur Diskrimini­erung verurteilt, nicht jedoch wegen Volksverhe­tzung. Bert Wagendorp, Kolumnist bei »de Volkskrant« nannte den Prozess von 2016 eine Win-winSituati­on für Wilders. Ein Freispruch nutze dem Rechtspopu­listen, bei einer Verurteilu­ng stelle er sich als » Märtyrer des freien Wortes« dar, »der vom Establishm­ent, der Elite oder liberalen Richtern mundtot gemacht wurde«.

Am 24. Oktober wurde der Prozess wieder aufgenomme­n, da sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwa­ltschaft in Berufung gegen gegangen waren. Im Gerichtspr­ozess wie auch im Fall Molenbeek ist der Ausgangspu­nkt eine rhetorisch­e Provokatio­n, die ausländerf­eindlich oder islamophob ist, wobei pauschal über »den Islam« oder »die Marokkaner« geurteilt wird. Dabei wählt Wilders geschickt eine Sprache, die provoziert und es in die Schlagzeil­en schafft. Anschließe­nd inszeniert er sich als Verfechter der Meinungsfr­eiheit.

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