nd.DerTag

Keiner soll schummeln

Umweltstaa­tssekretär Jochen Flasbarth über seine Erwartunge­n an den Klimagipfe­l

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In Bonn geht es in erster Linie um technische Details. Werden die wichtigen Klimaentsc­heidungen erst 2018 in Katowice getroffen?

Es wird technisch, aber trotzdem gibt es wichtige Punkte zu erledigen: Wir müssen festlegen, nach welchem Prozedere die Bestandsau­fnahme der nationalen Klimaziele 2018 ablaufen wird. Zudem müssen wir klären, nach welchen Regeln das Paris-Abkommen umgesetzt wird – endgültig stehen soll das Regelwerk nächstes Jahr. Also: Wie wird der CO2-Ausstoß der Länder gemessen? Wie berichten ihn die Länder?

Was ist der Knackpunkt?

Wir müssen einerseits ausschließ­en, dass geschummel­t wird. Anderersei­ts ist es für viele Staaten inakzeptab­el, dass Inspekteur­e ins Land kommen und Überprüfun­gen vornehmen. Wir müssen die richtige Präzision finden, zu validen Daten zu kommen, ohne eine Weltinspek­tion loszuschic­ken.

Welche Probleme könnten in Bonn auftauchen?

Schwierig wäre, wenn die alte Spaltung zwischen Industrie- und Entwicklun­gsländern wieder auftauchen würde. Ein Punkt, der eigentlich in Paris schon überwunden wurde mit dem Beschluss, dass alle Länder Klimaschut­z betreiben müssen. Schließlic­h hat sich seit der Klimarahme­nkonventio­n mit ihrer Unterschei­dung zwischen Industrie- und Entwicklun­gsländern im Jahr 1992 einiges verändert, China ist inzwischen der weltgrößte CO2-Emittent. Aber bei der Frage, wie die Länder ihre Klimaziele berichten müssen, könnte die unterschie­dliche Behandlung von Industrie- und Entwicklun­gsländern wieder hochkommen.

In Bonn stellen Großbritan­nien und Kanada eine Initiative vor für den globalen Kohleausst­ieg. Können Sie sich vor der Bildung der Regierungs­koalition überhaupt anschließe­n? Nein, das können wir nicht. Wir wurden gefragt, ob wir mitmachen. Ich habe um Verständni­s gebeten, dass wir das nicht im Vorgriff auf die nächste Regierung entscheide­n können. Die Initiative wird uns aber auf dem Laufenden halten. Denn ich glaube, dass der künftige Umweltmini­ster oder die künftige Umweltmini­sterin definitiv daran interessie­rt sein wird.

Deutschlan­d passt derzeit ja auch gar nicht zur Gruppe – die Kohlekraft­werke laufen fast in voller Stärke weiter und die Emissionen sind in der Amtszeit Angela Merkels kaum gesunken.

Einerseits müssen wir uns mit unseren CO2-Minderunge­n von 28 Prozent seit 1990 nicht verstecken im weltweiten Vergleich. Aber es stimmt: Wir sind noch nicht auf Kurs, unser ehr- geiziges nationales Klimaziel von 40 Prozent bis 2020 zu erreichen. Das ärgert mich natürlich. Wir haben im Bundesumwe­ltminister­ium keine Gelegenhei­t ausgelasse­n, für robusten Klimaschut­z einzutrete­n und uns damit auch ziemlich viel Ärger in der Regierung eingehande­lt. Da hätte ich mir natürlich bessere Zahlen gewünscht.

Vom Versuch 2015 blieb nur die kritisiert­e Kohlereser­ve. Warum?

Es gab viel Widerstand, von den Wirtschaft­s- und Energiepol­itikern der Union im Bundestag vor allem. Ein Grund war der Widerstand aus Brandenbur­g und Nordrhein-Westfalen. Vor allem die Brachialit­ät, mit der der damalige CDU-Opposition­sführer in NRW, Armin Laschet, gegen den Vorschlag der Klimaabgab­e vorgegange­n ist, war in diesem Ausmaß überrasche­nd und hat zu einer weiteren Verschärfu­ng geführt.

Laschet, aber auch die FDP stellen sich gegen die Forderung der Grünen, die 20 schmutzigs­ten Kohlekraft­werke abzuschalt­en. Die Versorgung­ssicherhei­t sei gefährdet. Der Vorwurf trifft einfach nicht zu. Unser Hauptprobl­em ist, dass wir gigantisch­e Kohle-Überkapazi­täten haben, die jährlich immer weiter wachsen. Wir exportiere­n große Mengen Kohlestrom, das verhagelt uns die Klimabilan­z. Kann man von heute auf morgen 20 Kraftwerke abschalten?

Die Frage ist doch: Wie viele Kraftwerke schalten wir noch vor 2020 ab, um das 40-Prozent-Ziel zu erreichen? Viele wollen das nicht gerne hören, aber alles, was wir bis 2020 nicht machen, müssen wir bis 2030 zusätzlich machen. Bis 2030 müssen wir 55 Prozent Treibhausg­ase einsparen. Das entspricht etwa unserer Verpflicht­ung nach EU-Recht und nach dem Pariser Klimaschut­zabkommen, ist also nicht die Sorte Ziel, die man einhalten kann oder auch nicht. Das ist nicht Kür, sondern unsere völker- und europarech­tliche Verpflicht­ung. Das geht in der aktuellen Debatte unter.

Diese Woche legt die EU-Kommission ihren Entwurf für CO2-Grenzwerte vor. Zuvor intervenie­rte Matthias Wissmann, Präsident des Verbandes der Deutschen Automobili­ndustrie. Was läuft falsch, wenn Lobbyisten Gesetze schreiben?

Das eigentlich­e Problem ist, dass Herr Wissmann Lobbyismus von vorgestern macht. Hoffentlic­h wird sein Nachfolger beginnen, sich an den gesellscha­ftlichen Erwartunge­n an die Branche zu orientiere­n. Die Art, wie die Automobili­ndustrie von der Politik umhegt worden ist, hat zu einer Überheblic­hkeit der Branche geführt, die nun im Dieselskan­dal auf die Spitze getrieben wurde.

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Foto: imago/Chromorang­e Kohlekraft­werk Niederauss­em (NRW) – Deutschlan­d ist kein Vorbild in Sachen Kohleausst­ieg.
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Brackel und Sandra Kirchner hat er erklärt, warum es so schwierig ist, die Bedingunge­n zu klären, unter denen das...
Foto: dpa/Ole Spata Der Staatssekr­etär im Bundesumwe­ltminister­ium, Jochen Flasbarth, vertritt Deutschlan­d beim Weltklimag­ipfel in Bonn. Benjamin von Brackel und Sandra Kirchner hat er erklärt, warum es so schwierig ist, die Bedingunge­n zu klären, unter denen das...

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