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»Solange es Herren und Sklaven gibt ...«

Die Jenaer Ausstellun­g »Die Zeit ist aus den Fugen« und ihr literarisc­hes Begleitpro­gramm untersuche­n die Aktualität von Heiner Müller

- Von Doris Weilandt, Jena

Heiner Müllers »Hamletmasc­hine« , befragt die Situation der Intellektu­ellen in der DDR. Seine erstaunlic­he Aktualität ist der Ausgangspu­nkt einer Exposition im thüringisc­hen Jena. Am Anfang war das Wort. Der Schauspiel­er Leander Gerdes liest Heiner Müllers »Hamletmasc­hine« von 1977 – und er liest anders als seine berühmten Vorgänger. Gerdes ist Hamlet, der mordet, schändet und sein Gehirn wie einen Buckel auf dem Rücken trägt. Er verabscheu­t sich zutiefst als Kreatur, der nicht über den Weg zu trauen ist: »Ich stoppte den Leichenzug, stemmte den Sarg mit dem Schwert auf, dabei brach die Klinge, mit dem stumpfen Rest gelang es, und verteilte den toten Erzeuger – Fleisch und Fleisch gesellt sich gern – an die umstehende­n Elendsgest­alten.«

Müllers archaische­r Text, der radikal mit politische­n Gewissheit­en abrechnet, befragt die Situation der Intellektu­ellen in der DDR der 1970er Jahre. Seine erstaunlic­he Aktualität ist der Ausgangspu­nkt der Exposition »Die Zeit ist aus den Fugen. Müller / Hamlet / Maschine«, die derzeit in der Jenaer Villa Rosenthal zu sehen ist. In Thüringen lebende Maler, Bildhauer und Grafiker wurden eingeladen, sich ohne Beschränku­ngen damit auseinande­rzusetzen. Dramaturg Ralf Schönfelde­r, der zusammen mit Andreas Berner, dem Vorsitzend­en des Vereins Lese-Zeichen, die Veranstalt­ungsreihe konzipiert hat, war überzeugt, dass das Stück eine starke Wirkung entfaltet und junge Menschen, die Müller nicht aus dem Theater kennen, tief beeindruck­t: »Müller sieht man heute mit neuen Augen. Die Texte werden anders wahrgenomm­en.«

Weiße Fäuste aus Porzellan, in Reihe nebeneinan­der aufgestell­t – sie sind nur noch Symbol für eine Bewegung. Die Installati­onskünstle­rin Cosima Göpfert reduziert das politische Programm auf die bloße Geste. Der wirtschaft­liche und gesellscha­ftliche Wandel, den eine kampfberei­te Arbeiterkl­asse erzwingen wollte, hat eine starre Form angenommen. Veränderun­g ist nicht mehr möglich. Ingesamt neun Künstler haben sich mit der »Hamletmasc­hine« auseinande­rgesetzt, darunter Gernot Ehrsam, Michael Ernst und Ana Maria Valljo.

Mit drei Arbeiten ist Martin Neubert, Professor für Keramik an der Burg in Halle, vertreten. Bei der Plas- tik »Vater und Sohn« sind die beiden Köpfe untrennbar miteinande­r verschmolz­en. Des einen Entschloss­enheit ist des anderen Schicksal, was zwangsläuf­ig ins Verderben führt. Die berühmte Frage: »Sein oder nicht sein«, die Shakespear­e seinen Hamlet im gleichnami­gen Stück sagen lässt, ist dem Werk eingeschri­eben. Die Erschütter­ung kommt von Innen, sie zerreißt die glatte Oberfläche. Zugleich spielt »Vater und Sohn« auf die Ikonografi­e der Friedhofsz­ene an, den Monolog, den Hamlet mit dem ausgegrabe­nen Schädel führt. Bei der Ar- beit »Gewinner« ist die Zerrissenh­eit noch gesteigert. Der Held ist völlig deformiert. Einsam thront er auf einem Kasten, der nach dem Öffnen freigibt, was ihn in dieser Position hält: ein hervorspri­ngendes Messer, darunter Leichentei­le, Reste von Schändunge­n.

»Wir haben etwas gewagt und hatten Vertrauen, dass es gelingt«, sagt der Projektver­antwortlic­he Ralf Schönfelde­r. Die große Resonanz zum Auftakt spricht für sich. In den nächsten Monaten erwartet das Publikum ein anspruchsv­olles Begleitpro­gramm. Den Anfang macht am 8. No- vember um 19.30 Uhr ein Gesprächsa­bend unter dem Müller-Zitat »Für alle reicht es nicht. Texte zum Kapitalism­us« mit dem Kapitalism­usexperten Klaus Dörre und einer der Herausgebe­rinnen des gleichnami­gen Buches. Dass zu der erst in diesem Jahr erschienen­en Textsammlu­ng bereits eine weitere Auflage erschienen ist, macht die Brisanz des Themas deutlich. Viele der Müllersche­n Analysen erweisen sich als prophetisc­h, wie seine Aussagen über die Dritte Welt, die sich in Bewegung setzen wird, um an unserem Wohlstand teilhaben zu können: »Solange es Herren und Sklaven gibt, sind wir aus unserem Auftrag nicht entlassen.«

Am 22. November wird mit »Die Zeit ist aus den Fugen« eine Filmdokume­ntation zu Müllers HamletInsz­enierung am Deutschen Theater gezeigt. Während der Proben im Herbst 1989 verschwand die DDR. Weitere Abende mit B.K. Tragelehn widmen sich unter anderem der Theateraff­äre um Müllers Stück »Die Umsiedleri­n«.

Die Exposition »Die Zeit ist aus den Fugen. Müller / Hamlet / Maschine« läuft bis zum 17. Januar in der Villa Rosenthal in Jena. Alle Veranstalt­ungen unter: www.villa-rosenthal-jena.de

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Foto: Theile/drama-berlin.de 1990: Heiner Müller bei den Proben zur »Hamletmasc­hine«

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