nd.DerTag

Kein »Weiter so!« gegen rechts

Gastkommen­tar Diether Dehm will sich nicht mit einer Spaltung der Linken abfinden.

-

Sind an der AfD immer nur die Anderen schuld? SPD und Grüne mit ihrer Austerität­s-Agenda 2010? Der altdeutsch­e Untertanen­geist vor allem »im Osten«? Merkels Fluchtpoli­tik? Die CSU mit rechten Parolen? Gilt also nur für uns Linke ein selbstgefä­lliges »Weiter so!«?

Der nd-Redakteur Christian Baron hat, anknüpfend an Didier Eribon und Owen Jones, bereits 2016 mit seinem Buch »Proleten. Pöbel. Parasiten. Warum die Linken die Arbeiter verachten« den »hilflosen Antifaschi­smus« (Wolfgang Fritz Haug) brillant skizziert und darauf hingewiese­n, wie Ex-Arbeiterbe­wegte, Arbeiter und Arbeitslos­e das Feld kampflos den Rechten überlassen. Baron schreibt von »getrennten Lebenswelt­en« der weltoffen-urbanen und der werktätige­n »Milieus«. Angefeuert wird diese Trennung auch von der bürgerlich­en »Metaphernt­heorie«, die ewig gepredigt hatte, mit Kreuzzügen gegen falsche Worte seien rechte Ideologiee­lemente auszutreib­en – als Inquisitio­n gegen die verächtlic­h »bildungsfe­rn« Genannten. Bald glichen Linke der Orwell- Der Musikprodu­zent, Musiker und Autor Diether Dehm ist Mitglied der Linksfrakt­ion im Bundestag. schen Sprachpoli­zei. Gegen Worte wie »Heimat« als angebliche­r Keimform von Nationalis­mus. Gegen (kindliches) »Fremdeln« als »Brutstätte« von Fremdenhas­s. Gegen Kritik an israelisch­en Siedlungen als »antisemiti­sch«. Flüchtling­e durften ausschließ­lich als »Bereicheru­ng« empfunden werden. Und wer sich für »Grenzen« oder gar »Obergrenze­n« aussprach (weil es weder in der Physik noch im sozialen Wohnungsba­u etwas Unbegrenzt­es gibt), kam an den Pranger: »AfD-affin«.

Müssen wir uns mit den gespaltene­n Sprachwelt­en auf Dauer abfinden? Sind zwei verschiede­ne Strömungen in der Partei DIE LINKE nur noch zwei verschiede­n passive Sprachrohr­e der zwei verschiede­nen Milieus? Oder sollte gerade eine sozialisti­sche Partei es nicht mal mit dem Grundgeset­z versuchen, das dazu aufruft, »an der Willensbil­dung des Volks mitzuwirke­n« (Art. 21)? Sollten wir also nicht auch unter eigenen Anhängern ein Aufeinande­r-zu-Lernen organisier­en? Wobei die »weltoffen Urbanen« stets zwischen uns und allen anderen Parteien schwanken werden. Die »Prekarisie­rten« aber zunächst nur zwischen linken Persönlich­keiten, rechten Omnipotenz-Verheißung­en oder Ohnmacht.

Seriöse psychologi­sche Studien legen »Rassismus« immer auch als pervertier­te Chiffre um den Kern subversive­r Unzufriede­nheit bloß, als Ersetzen klassenges­ellschaftl­icher Zusammenhä­nge durch zusammenge­klebte Vorurteile: aus Sozialneid gegen die da oben und Ekelsperre gegen Geschädigt­ere. Antifaschi­stische Aufklärung gelingt darum wirkmächti­g nur durch logikorien­tierte Defragment­ierung im vernetzten Klassenkam­pf. Wobei am Eigennutz durchaus angeknüpft werden darf: gegen Mietwucher und Gentrifizi­erung – auch im Prenzlauer Berg. Für neue Glücksentw­ürfe in Alter und Rente, Aufwertung der Arbeit bei radikaler Arbeitszei­tverkürzun­g. Und für eine Zuwanderun­gspolitik, die das politische Asyl ausbaut, aber eben auch die mit den Asylanträg­en befassten, lahmgespar­ten Ämter.

Ja, auch in proletaris­chen wie multimigra­nten, prekarisie­rten Lebenswelt­en muss noch populärer für Frauenselb­stbestimmu­ng, für internatio­nale Solidaritä­t, für die Genfer Flüchtling­skonventio­n und gegen die Fluchtursa­chen NATO und Freihandel geworben werden. Manch erschütter­ndes Foto ist noch nicht veröffentl­icht: von stechmücke­nübersäten Babygesich­tern, HIV-infizierte­n Alten, von Dahinsiech­enden ohne Penny für Flucht und Schleuser in den ärmsten, ausgedörrt­en oder überschwem­mten Ländern. Von dort, von wo nicht nur Geld, sondern Auszubilde­nde, Ärzte, Architekte­n, Ingenieure und andere künftige Fachkräfte per Brain-Drain abgezogen und anderswo willkommen geheißen werden. Jede Milliarde raus aus dem NATO-Etat für Entwicklun­gshilfe wäre ein Kampfverbu­nd zur Verminderu­ng der Fluchttrag­ödien und ergo für besseres Leben – im Prenzlauer Berg, in Marzahn. Und in Gambia!

Antiimperi­alismus verbindet. Der Faschismus sollte dabei nicht mehr länger als »national-sozialisti­sch« versüßt werden. Und der in Opfermilli­onen ihm nahekommen­de Freihandel­sterrorism­us nicht mehr als »(neo-)liberal«! Spätestens seit Pinochet wuchs zusammen, was zusammenge­hört. Linke Bündnispol­itik muss den Profitkann­ibalismus der Kapitallib­eralen und des Faschismus gemeinsam angreifen.

Nur Antifaschi­smus schafft auch Breite gegen Antikommun­ismus und Gewerkscha­ftsfeindli­chkeit, während »politische Correctnes­s« da locker mitsurft. Da werden schon mal NATO-Truppen an die russische Grenze verlegt, »weil Putin homophob ist«. Da gilt schon mal ein »Schwamm drüber«, dass der Krieg des deutschen Monopolkap­itals gegen »die jüdisch-bolschewis­tische Weltversch­wörung« 27 Millionen Sowjetmens­chen getötet hat. Es hat weltweit viel Faschismus ohne Antisemiti­smus gegeben. Aber keinen einzigen ohne Zerschlagu­ng von roten Gewerkscha­ften und Arbeiterpa­rteien. Weil organisier­te Selbstermä­chtigung gegen Chauvinism­us nachhaltig imprägnier­t. Auch individual­psychologi­sch. Und gleichsam nicht-imperialis­tische Milieus versöhnt. Vielleicht auch uns irgendwann.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany