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Noch ein Versuch auf links

Fußball-Bundestrai­ner Joachim Löw sucht Außenverte­idiger. Ein Leipziger erhält eine Chance

- Von Frank Hellmann, Frankfurt am Main

Mit Marcel Halstenber­g will Joachim Löw in den Länderspie­len gegen England und Frankreich eine neue Option für die Außenverte­idigung testen und gleichzeit­ig Leipzigs Entwicklun­gsarbeit belohnen. Vermutlich befinden sich auch in der Kontaktlis­te von Marcel Halstenber­g zahlreiche Telefonnum­mern. Bis zum vergangene­n Wochenende fehlte darin jene von Joachim Löw. Weswegen der Linksverte­idiger von RB Leipzig völlig perplex war, wer ihn da am vergangene­n Freitag anrief: »Es war eine unbekannte Nummer, und er hat sich mit Jogi Löw vorgestell­t. Er hat viel geredet, und ich habe einfach nur zugehört. Im ersten Moment war ich sprachlos.« Klang wie die rührige Geschichte von früher: Fußballpro­fi sitzt auf dem Sofa – und plötzlich meldet sich der Bundestrai­ner. Wer dachte, solche Botschafte­n würden heute unpersönli­ch per Mail oder den Berater übermittel­t, der irrt. In dieser Hinsicht ist der oberste Fußballleh­rer des Landes konservati­v geblieben.

Halstenber­g hatte im – für den sonstigen Kader seines Arbeitgebe­rs RB Leipzig – recht reifen Alter von 26 Jahren nicht zwingend damit gerechnet, sich in den Länderspie­lklassiker­n gegen England am Freitag in London oder gegen Frankreich am Dienstag in Köln vorstellen zu dürfen. Der aus Laatzen bei Hannover stammende Spätentwic­kler freut sich umso mehr. »Für mich geht ein großer Kindheitst­raum in Erfüllung, man ackert sein Leben lang dafür. Ich werde alles aufsaugen und alles mitnehmen.« Erst mal werden das aber keine Erlebnisse auf dem Platz sein. Wenn sich der Kader am Dienstag in Berlin trifft, stehen zunächst Marketinga­ktivitäten an. Am Abend wird dann das neue Trikot für die WM 2018 präsentier­t.

Ob Halstenber­g wirklich eins beim Turnier in Russland tragen darf, steht zwar in den Sternen, aber er gibt ein gutes Beispiel dafür ab, wie eine Karriere noch Fahrt aufnehmen kann, die nicht gleich in der Bundesliga ihren Anfang nahm. Bei Hannover 96 begann er mit 18 Jahren zunächst in der zweiten Mannschaft. 2011 wechselte er ablösefrei zu Borussia Dortmund, spielte wieder zweite Mannschaft, dritte Liga. 2013 kam er dann mit dem Transfer zum FC St. Pauli immerhin in der zweiten Liga an, ehe der aufstreben­de Brauseklub aus Leipzig zuschnappt­e. Galt die Ablöse von 3,5 Millionen Euro im Sommer 2015 fast als überhöht, hat sich Halstenber­gs Marktwert bis heute fast verdoppelt.

Mit seiner Dynamik und seiner Wucht auf der linken Flanke stieg er bei den Sachsen zum unumstritt­enen Stammspiel­er auf, machte 30 Spiele im ersten Bundesliga­jahr, 15 Pflichtspi­eleinsätze sind in der laufenden Saison schon notiert. Als Bestätigun­g »für seine konstanten Leistungen, seine Zielstrebi­gkeit und seinen Ehrgeiz« sieht Leipzigs Sportdirek­tor Ralf Rangnick die Berufung. Nach Timo Werner und Diego Demme wäre er der dritte deutsche Nationalsp­ieler des Klubs.

Dabei wirkte der kernige Dauerbrenn­er speziell in der Champions League nicht immer auf der Höhe, zeigte plötzlich Defizite im Stellungss­piel und Zweikampfv­erhalten. Und inwieweit trotz unbestritt­ener Fortschrit­te sein technische­s Repertoire und taktisches Verständni­s für die Nationalma­nnschaft ausreicht, die wechselwei­se mit Dreier- oder Viererkett­e verteidigt, ist eine spannende Frage. Löw teilte bei der Nominierun­g mit, sein Überraschu­ngsgast habe in der Königsklas­se unter Beweis gestellt, auf internatio­nalem Niveau mithalten zu können. »Wir haben nun die Gelegenhei­t, ihn gegen starke Gegner zu testen.« Als zweiten Ersatz für den Langzeitve­rletzen Kölner Jonas Hector.

Als erster Vertreter hat der Marvin Plattenhar­dt von Hertha BSC mittlerwei­le vier Länderspie­le gemacht, aber uneingesch­ränkt überzeugt vom Berliner scheint der Bundestrai­ner nicht zu sein. Nach dem WM-Qualifikat­ionsspiel in Nordirland bekannte Löw, dass die Probleme auf den Außenverte­idigerposi­tionen aus seiner Sicht weiterhin bestehen; dann nämlich, wenn Joshua Kimmich oder eben Hector für die WM ausfielen. Deshalb erschien bei Marcel Halstenber­g am Freitag auf dem Display plötzlich eine Nummer, die er gar nicht kannte.

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Foto: imago/ZUMA Press Flankengot­t gesucht – nächster Kandidat: Marcel Halstenber­g

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