nd.DerTag

Terror bekämpfen oder Terror säen?

Somalia kommt nicht zur Ruhe. Der Kampf gegen die Gewalt könnte ein Faktor sein

- Von Bettina Rühl, Mogadischu

Im Oktober starben bei zwei Bombenansc­hläge beinahe 400 Menschen in Somalia. In der Hauptstadt Mogadischu wollen die Menschen nicht länger in Angst leben und demonstrie­ren. Plötzlich ist Mogadischu nicht mehr eine Stadt der Opfer, sondern des Widerstand­s. In der somalische­n Hauptstadt haben in den vergangene­n Tagen Tausende gegen den Terror der islamistis­chen Al-Shabaab-Miliz protestier­t. Haben ihren Zorn über die vielen Toten herausgesc­hrien und ihre Angst vergessen, die sie bislang immer daran gehindert hatte, sich in großen Mengen zu versammeln – es könnte ja sein, dass die radikalen Islamisten die Gelegenhei­t solcher Menschenan­sammlungen für ein neues Attentat nutzen.

In einem Ort, der ironischer Weise »Malable« heißt, »Honig«, kann man das Scheitern der bisherigen Strategien im Kampf gegen den Terror in Somalia erleben. »Malable« ist ein Camp von Vertrieben­en, eine Ansammlung baufällige­r Hütten aus Wellblech und Plastikpla­nen, ein staubiger und heißer Flecken Verzweiflu­ng am Rande einer Ausfallstr­aße aus Mogadischu, acht Kilometer vom Stadtzentr­um entfernt. Das

Der 55-jährige Staatschef ist erst seit Februar im Amt, seine Wahl wurde als Zeichen der Hoffnung gefeiert. Aber die Aufbruchss­timmung ist längst verflogen.

Lager ist mit Wellblech umzäunt, dahinter leben fast 720 Familien, also geschätzt 4500 Menschen. 170 Familien davon seien Anfang September innerhalb von 14 Tagen gekommen. Das erzählt Nasra Hirsi Ahmed, die Leiterin des Camps. Ihr gehört der Boden, auf dem die Vertrieben­en ihre Hütten errichtete­n. Das Land war eine Brachfläch­e, bis der Krieg eskalierte und die Menschen anfingen, um ihr Leben zu rennen. »Die Vertrieben­en taten mir leid«, sagt Nasra, »deshalb habe ich ihnen erlaubt, sich hier niederzula­ssen.« Die Menschen sind aus Lower und Middle Shebelle geflohen. Die fruchtbare­n Regionen im Süden Somalias sind zwischen der somalische­n Armee und der ShabaabMil­iz besonders umkämpft.

Seit dem 14. Oktober ist die Wut der Bevölkerun­g größer als ihre Angst. An diesem Tag wurden bei der Explosion einer Lkw-Bombe im Zentrum der Hauptstadt mindestens 360 Menschen getötet, Hunderte weitere verletzt. Noch immer werden Menschen vermisst, die Zahl der Opfer könnte weiter steigen. Zu dem bisher schlimmste­n Anschlag in der somalische­n Geschichte hat sich vorerst niemand bekannt, aber es gibt Hinweise darauf, dass die Täter zur ShabaabMil­iz gehören, die Gruppe ist mit dem Terrornetz­werk Al Qaida verbündet. Am letzten Wochenende im Oktober verübten die militanten Islamisten einen weiteren schweren Anschlag in der Hauptstadt. Durch die Detonation zweier Autobomben in der Nähe des Hotels »Nasa Hablod 2« starben fast 30 Menschen, etliche weitere wurden verletzt. Die Zahl der Opfer könnte sich deshalb noch erhöhen. Diesmal bekannte sich die ShabaabMil­iz sich zu dem Anschlag. Präsident Mohamed Abdullahi Mohamed »Farmajo« versprach der trauernden, aufgebrach­ten Menge, seine Regierung werde den Terroriste­n trotzen.

Der Präsident versucht seit Mitte Oktober, sich an die Spitze der Proteste zu stellen. Wenn ihm das nicht gelingt, könnte der Zorn der Bevölkerun­g ihn selbst aus dem Amt fegen. Zwei hochrangig­e Sicherheit­sbeamte haben ihre Jobs wegen der beiden katastroph­alen Anschläge vom Oktober bereits verloren: Polizeiche­f Dahir Saiid und Geheimdien­stchef Abdullahi Mohamed Sanbaloosh wurden entlassen.

Der 55-jährige Staatschef ist erst seit Februar im Amt, seine Wahl wurde als Zeichen der Hoffnung gefeiert. Der ehemalige Premiermin­ister, der neben der somalische­n auch die USamerikan­ische Staatsbürg­erschaft hat, galt als Reformer. Aber die Aufbruchss­timmung ist längst verflogen. Die humanitäre Krise infolge einer schweren Dürre hält an. Die Korruption ist ungebroche­n. Das Verhältnis zwischen der Zentralreg­ierung und den Bundesstaa­ten ist weiterhin angespannt, die Spannungen zwischen den Clans sind nicht befriedet. Die Shabaab-Miliz konnte sogar wieder Gelände gewinnen – obwohl die USA ihren Drohnenkri­eg gegen die Islamisten ausge- weitet und zahlreiche Führer der Organisati­on getötet haben. Und trotz einer 22 000 Mann starken Truppe der Afrikanisc­hen Union namens AMISOM. Außerdem ungeachtet aller Bemühungen, die Schlagkraf­t der somalische­n Armee durch militärisc­he Ausbildung zu erhöhen. Die Europäisch­e Union versucht das seit 2010, die Bundeswehr beteiligt sich an der europäisch­en Ausbildung­smission mit rund zehn Soldaten. Seit dem Beginn der Mission haben die Europäer nach eigenen Angaben 5000 somalische Militärs ausgebilde­t.

Neuerdings hat die Türkei noch weit ambitionie­rtere Pläne. Ende September eröffnete sie in Somalia für offiziell 50 Millionen US-Dollar ihre größte Militärbas­is in Übersee. Unter anderem sollen türkische Offiziere dort in den kommen Jahren mehr als 10 000 somalische Soldaten ausbilden, immer 1000 gleichzeit­ig.

Ob das alles hilfreich ist oder die Probleme vergrößert, ist offen. Es gibt mehrere Hinweise darauf, dass der Kampf gegen den Terror in Somalia womöglich den Terror schürt. Das jüngste Beispiel könnte der verhee- rende Anschlag vom 14. Oktober sein. Somalische Ermittler haben mehrere Hinweise darauf, dass der Anschlag eine Racheaktio­n für einen US-Militärein­satz in Bariire in Lower Shebelle ist, bei dem Ende August zehn Zivilisten getötet wurden. Darunter waren drei Jungen im Alter zwischen acht und zehn Jahren. Clanältest­e von Bariire schworen der somalische­n Regierung und ihren Verbündete­n Vergeltung. Der Fahrer des sprengstof­fgeladenen Lkw, der am 14. Oktober in Mogadischu detonierte, stammte aus Bariire. Er war ein ehemaliger Soldat, der vor zwei Jahren zur Shabaab-Miliz überlief. Es gibt weitere Zusammenhä­nge. So lassen sich auch zwei Fahrzeuge, die bei dem Anschlag verwendet wurden, nach Bariire zurückverf­olgen. Interessan­t ist in diesem Zusammenha­ng auch die offensicht­liche Nähe zwischen AlShabaab und Ältesten der Clans – die Islamisten nutzen häufig andere Konflikte aus, um Menschen für ihre Zwecke zu mobilisier­en.

So gesehen sollte es die somalische Regierung in Panik versetzt haben, als das US-Militär ihr nach dem Anschlag Mitte Oktober noch weitergehe­nde Unterstütz­ung angeboten hatte. Neben den Drohnen sind auch jetzt schon US-amerikanis­che Spezialkrä­fte vor Ort. Erst Anfang September weitete US-Präsident Donald Trump den Krieg der USA gegen den Islamische­n Staat auf Somalia aus und ließ Stellungen der Islamisten im Land angreifen.

Koresha Ali ist Anfang September aus Janale in Lower Shebelle nach Mogadischu gekommen, das Kriegsgebi­et ist von der Hauptstadt nur knapp hundert Kilometer entfernt. Mit ihrem jüngsten Sohn auf dem Arm, dem dreijährig­en Ahmed, steht sie vor ihrer kleinen Wellblechh­ütte in »Malable« und wartet auf Nachricht von ihrem Mann. Ihre drei übrigen Kinder, zwischen vier und sieben Jahre alt, weichen ihr nicht von der Seite. «Ich habe seit ein paar Tagen nichts mehr von meinem Mann gehört«, sagt die 35-Jährige. »Das ist ungewöhnli­ch. Sonst hat er uns regelmäßig etwas Geld geschickt, damit wir hier überleben können.« Der Versand von Geld ist im kriegszers­törten Somalia die leichteste aller Aufgaben, das mobile Zahlen über Handy ist flächendec­kend verbreitet.

Dass sie ihren Mann seit Tagen nicht erreicht, macht Koresha Angst. »Die Chancen, dass er noch lebt, stehen 50 zu 50. Womöglich ist er auch in Gefangensc­haft der Al-Shabaab.« Vor 14 Tagen hatte er seine Frau und seine Kinder nach Mogadischu gebracht, um deren Leben zu retten. »Die Kämpfe in der Region sind zuletzt immer schlimmer geworden«, erzählt Koresha. Die Islamisten würden ihren Einfluss ausdehnen. Seit kurzem sei auch Janaale wieder in ihrer Hand. »Wenn sie ein Gebiet zurückerob­ern, bestrafen sie die Bevölkerun­g dafür, dass sie angeblich mit der Regierung zusammenge­arbeitet hat.« Sie gingen dann von Haus zu Haus und »fordern von uns unsere Kinder, damit sie für die Islamisten kämpfen«. Die Männer werden getötet oder in Gefangensc­haft genommen.

Womöglich erobert die somalische Armee die Region eines Tages zurück. Dann werden die Soldaten von Haus zu Haus gehen, auf der Suche nach mutmaßlich­en Sympathisa­nten der Islamisten. So sei das jedenfalls in der Vergangenh­eit immer gewesen, sagt Koresha.

Und dann sind da noch die Kämpfe der Clans, unter denen die Bevölkerun­g ebenfalls leidet. Trotz aller Gefahren in ihrer Heimatregi­on ging ihr Mann nach Lower Shebelle zurück, kurz nachdem er seine Familie in dem Camp Malable abgesetzt hatte. »Ihm war klar, dass er hier keine Arbeit finden würde.« Es gebe zu viele Vertrieben­e und zu wenige Jobs, sagt Koresha. »Statt hier zu betteln, wollte er weiter die Felder bestellen. Er setzt sein Leben aufs Spiel, um uns zu ernähren.« Der Gedanke, dass er sein Leben vielleicht schon verloren hat, treibt sie in die Verzweiflu­ng.

»Als unser neuer Präsident gewählt wurde, war ich so optimistis­ch«, erinnert sich Nasra, die am Eingang des Camps steht. »Aber jetzt verlieren wir wieder alle Hoffnung. Die Situation in Somalia hat sich nicht verbessert, im Gegenteil.«

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Geld zu versenden ist einfach in Mogadischu, das mobile Bezahlen mit dem Smartphone ist flächendec­kend verbreitet.
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Fotos: Bettina Rühl Koresha Ali fürchtet um das Leben ihres Mannes, von dem sie seit Tagen nichts gehört hat.

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