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Malen ist Weltbewält­igung

Die Hamburger Kunsthalle widmet der von den Nazis verfemten Anita Rée eine große Ausstellun­g

- Von Radek Krolczyk

Von Anita Rée gibt es dieses bemerkensw­erte Selbstport­rät: Sie selbst schaut geradeaus, hellwach und voller Erwartung. Die Arme vor dem nackten Oberkörper verschränk­t, die eine Hand an die Wange gelegt, ganz so, als sei ihr die Malerin, die ihr gegenübers­teht, fremd. Dieses Bild, das Rée 1930, nur drei Jahre vor ihrem Suizid, fertigstel­lte, leuchtet in hellen Farben. Ein orangefarb­ener Körper vor einem gelblich-grünen Vorhang. Kaum ein anderes Bild der großen Retrospekt­ive, die die Hamburger Kunsthalle derzeit für die 1885 ebenfalls in Hamburg geborene Künstlerin ausrichtet, kommt dem gleich. Viele erinnern in ihrem blässliche­n Blau an Paul Cézanne, für den sich Rée begeistert­e.

Rund 200 Arbeiten auf Papier und Leinwand sind zu sehen. Manche Flächen auf der Leinwand wirken durch den Farbauftra­g so massiv, dass man denken könnte, das Bild sei auf einer Holzplatte gemalt worden. Das ist der Einfluss alter Ikonenmale­rei. Leichte Abschürfun­gen finden sich im Gesicht, um die Nase und den Mund der sehr jung wirkenden 45-jährigen Frau. Diese Fremdheit, mit der sich Anita Rée in diesem Bild selbst begegnet, prägt einen großen Teil ihres Werkes – die Bilder süditalien­ischer Landschaft­en ebenso wie die Porträts von Frauen und Kindern.

Anita Rée lebt von Anbeginn eine außergewöh­nliche, widersprüc­hliche Identität. Sie wird als zweites Kind einer gutbürgerl­ichen Familie geboren. Die Glaubensri­chtungen des jüdischen Vaters und der katholisch­en Mutter amalgamier­en auf eine eigenartig­e, überrasche­nde Weise zum Protestant­ismus. Die Mutter stammt aus Venezuela. Rée wird mit ihrem dunklen Teint und dem kohlschwar­zen Haar im Hamburg der Jahrhunder­twende auffällig gewesen sein.

Höchst ungewöhnli­ch für diese Zeit ist natürlich auch, dass sie als Frau die Möglichkei­t hat, sich der Malerei zu widmen. Mit knapp 20 Jahren wird sie Schülerin des impression­istischen Malers Arthur Siebelist, der eine private Kunstschul­e unterhält. Rée gehört seit den 1910er Jahren zum Umfeld Gustav Paulis, des damaligen Direktors der Hamburger Kunsthalle. Durch ihre gesellscha­ftliche Stellung kommen immer wieder Ankäufe der Kunsthalle zustande. Sie wird ins Programm der Hamburger »Galerie Commeter« aufgenomme­n, ihre Arbeiten werden vom Hamburger Bürgertum gesammelt. Klasse bleibt eben auch in der Geschichte der bildenden Kunst eine nicht zu unterschät­zende Kategorie.

Zu Rées frühesten Arbeiten gehört eine Serie, in der sie Kinder porträtier­t. Diese wirken wie aus der Welt gefallen. Aus dem Jahr 1915 stammt eine Bleistiftz­eichnung, die den Kopf eines Jungen zeigt. Mit seinen Händen hält er ihn, Augen und Mund hat er zusammenge­kniffen. »Wolfgang mit Zahnweh« heißt das Bild, und der Junge ähnelt in seinem bemitleide­nswerten Zustand einer jungen Tänzerin, die Rée ein Jahr zuvor in hellen Aquarellfa­rben gemalt hat.

Ebenfalls in Aquarell malt sie 1915 den Kopf eines »Kranken Knaben«, im selben Jahr einen »Knaben mit blau- en Augen«, dessen Augen zwar leuchten, der – mit dem zur Schulter gebeugten, fahlen Gesicht – jedoch auch nicht von Gesundheit gesegnet scheint. Ihr Interesse an diesen kranken Kindern lässt sich nicht genau bestimmen. Möglicherw­eise fasziniert sie ihre Seltsamkei­t, die sie aus deren Situation mit etwas Farbe extrahiert.

Ebenfalls seltsam, allerdings durch Stärke und volle Farben entrückt, wirkt ein »Farbiges Mädchen«, dessen Gesicht sie 1917 mehrfach in kleinen Formaten malt. Eine positive Exotisieru­ng. Die Titel wurden von der Hamburger Kunsthalle für die Ausstellun­g verändert. Rée selbst hat ihre Porträts als »Negermädch­en« betitelt. Anzunehmen ist, dass Rée selbst sich in beide Richtungen aus der Welt gefallen fühlt – und dies in ihren Kinderbild­ern aufgreift.

1922 schließlic­h bricht sie in die Ferne auf. Ihr Ziel ist das kleine Städtchen Positano, an der Amalfiküst­e, unweit von Neapel gelegen. Sie bleibt dort für drei Jahre. Zahlreiche deutsche Intellektu­elle und Künstler entdeckten in diesen Jahren den Süden Italiens, während die Einheimisc­hen ihre Dörfer in Richtung des industrial­isierten Nordens verließen.

Rée malt während der Zeit in Italien ihre Umgebung, Felsen und in den Bergen gelegene Ortschafte­n. Die Bilder sind flächig und glatt. Mit den Pinselstri­chen verschwind­en auch die Übergänge zwischen den Steinen und Häusern. Die Landschaft­en erhalten so ihren phantastis­chen Charakter. Die Porträts, die sie von den Menschen dort malt, ähneln dem eingangs beschriebe­nen Selbstport­rät.

Besonders die Porträts der Frauen erinnern an Paula Modersohn-Becker, deren Werke Rée verehrte. Die Frauen erscheinen in vollen Farben. »Terresina« sitzt vor großen Blättern, die in unterschie­dlichen Grüntönen erstrahlen. In ihrem Schoß hält sie drei leuchtend gelbe Zitronen. Ein »Halbakt vor Feigenkakt­us« ist fast skulptural, die Brüste des jungen Modells nehmen die Form der Früchte im Hintergrun­d auf.

Anita Rée hat nicht vorgehabt, nach Hamburg zurückzuke­hren. Sie hat es dann doch getan. Nach ihrer Rückkehr 1926 widmet sie sich Paradiesen, malt Phantasiet­iere auf Schränke und Wandbilder in Kirchen. Seit den 1930er Jahren macht ihr das Erstarken der Nazis zu schaffen. Den Antisemiti­smus bekommt sie auch im Umfeld der Hamburger Sezession, deren Mitglied sie ist, zu spüren. Sie zieht sich nach Sylt zurück und malt vornehmlic­h Landschaft­en und Tiere. Zum Ende des Jahres 1933 vergiftet sie sich mit Veronal.

»Anita Rée. Retrospekt­ive«, bis zum 4. Februar in der Hamburger Kunsthalle, Glockengie­ßerwall, Hamburg

Klasse bleibt eben auch in der Geschichte der bildenden Kunst eine nicht zu unterschät­zende Kategorie.

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Foto: © Hamburger Kunsthalle/bpk/Elke Walford Anita Rée: Weiße Nussbäume, 1922 – 1925, Öl auf Leinwand

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