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Kulturwand­el im Lebensstil

»People's Climate Summit« diskutiert soziale Folgen des Klimawande­ls

- Von Eva Mahnke und Jörg Staude, Bonn

Der Druck, noch rechtzeiti­g zu einer global gerechten Klimapolit­ik zu kommen, ist auch auf dem Alternativ­treffen zum Weltklimag­ipfel zu spüren. Hunderte Aktivisten diskutiert­en fünf Tage in Bonn. Ein Problem hat die alternativ­e Klimapolit­ik mit der staatliche­n gemeinsam: Die Ursachen des Klimawande­ls und seine sozialen Folgen sind den Aktivisten klar – Änderungen oder gar ein Schwenk in Richtung Ökologie und Klimagerec­htigkeit sind aber nicht in Sicht. Wollen die Menschen nicht oder können sie einfach nicht anders? An der Gretchenfr­age entzünden sich beim Alternativ­gipfel »People’s Climate Summit die Debatten.

Magdalena Heuwieser von der österreich­ischen Nichtregie­rungsorgan­isation mit dem programmat­ischen Namen »System Change, not Climate Change« sieht die Wurzel des Klimakrise nicht allein im Einsatz fossiler Energien oder in der Macht der Konzerne, sondern in »unserer imperialen Lebensweis­e, unserer Art zu konsumiere­n«, wie sie bei einer Veranstalt­ung am Sonntagabe­nd sagte.

Entspreche­nd fordert Heuwieser einen Kulturwand­el in den Köpfen, im Alltag. »Wir müssen an die Flughäfen, die Autobahnen und die Supermärkt­e heran«, zählte sie die Attribute der westlichen Lebensweis­e auf. Christiane Kliemann vom Netzwerk Transition Town Bonn pflichtete Heuwieser bei: »Der Lebensstil, an den wir gewöhnt sind, muss zu Ende gehen.«

Heuwieser, Kliemann und anderen Aktivisten ist dabei klar, dass bei allem Visionären die »Entwöhnung« von der westlichen Lebensweis­e nur schrittwei­se gehen kann. Zum einem brauche man Ungeduld. Es komme gar nicht darauf an, wo und wie man sich engagiere, sagte sie, wenn es denn überhaupt in Richtung Gerechtigk­eit, Ökologie und Nachhaltig­keit gehe. Zugleich müsse sich die Bewegung aber auch in Geduld üben, so Kliemann, weil sich Menschen nicht von heute auf morgen änderten.

Eine weitere zentrale Frage: Wie kann der Widerstand gegen den Kohleausst­ieg überwunden werden? Ein Ansatz ist das Konzept der »Just Transition«, das eine sozial gerechte Transforma­tion des Kohlesekto­rs zum Ziel hat. »Wir müssen dafür sorgen, dass die Arbeiter in diesen Prozess einbezogen werden«, sagte Gewerkscha­fter Sean Sweeney von den Trade Unions for Energy Democracy (TUED) auf dem samstäglic­hen Abendpodiu­m mit dem Titel »Das fossile Zeitalter beenden«. Nicht nur in der Kohleindus­trie, sondern in allen Branchen dürften Beschäftig­te nicht länger gezwungen sein, sich zwischen einer guten und abgesicher­ten Arbeit und einer Tätigkeit ohne Umweltzers­törung und Klimawande­l zu entscheide­n, forderte Sweeney. »Auch die meisten Gewerkscha­ftsmitglie­der wollen eine saubere Umwelt.« Deutlich wurde aber auch: Solange die Perspektiv­e der Arbeiter darin besteht, im Amazon-Logistikce­nter zu arbeiten, wird es schwer für die Klimabeweg­ung, sie für ihre Sache zu gewinnen.

Kritisiert wurde auch die zunehmende Hinwendung zu »negativen Emissionen«. Das sind Großtechno­logien, die das Kohlendiox­id wieder aus der Luft holen sollen – etwa durch Anpflanzen agrarindus­trieller Baumplanta­gen, bei denen das gewachsene Holz verbrannt und das darin ge- speicherte CO2 abgeschied­en und im Untergrund gespeicher­t werden soll – die sogenannte BECCS-Technologi­e.

»Einige Szenarien des Weltklimar­ates liegen nur deshalb noch innerhalb des Zwei-Grad-Limits, weil sie diese riskante und extrem unsichere Technologi­e einbeziehe­n«, kritisiert­e Anderson. »Dafür bräuchten wir aber gigantisch­e Agrarfläch­en und würden die Vertreibun­gen, Menschenre­chtsverlet­zungen und Nahrungsmi­ttelkrisen weiter verschärfe­n.« Wenn BECCS nicht funktionie­re, führe das direkt in die Klimakatas­trophe. »Wir dürfen uns nicht auf solche magischen Technologi­en verlassen«, warnte Anderson.

Was den sozialen Wandel betrifft, so fiel bei der Veranstalt­ung am Sonntag auffallend oft der eher aus linksalter­nativen Kreisen bekannte Begriff eines »guten Lebens«. Der Abschied aus der heutigen Konsumgese­llschaft müsse nicht unbedingt als etwas »Schlechtes« gesehen werden, hieß es. Die Leute könnten dadurch auch gewinnen, zum Beispiel mehr Zeit und weniger Zwänge. Das »gute Leben« hat auch eine moralische Komponente, worauf Magdalena Heuwieser aufmerksam machte: Könne man überhaupt von einem guten Leben für alle sprechen, solange dieses auf Kosten anderer Menschen gehe?

Erfrischen­d jedenfalls wirkte das Bestreben, die Praxis über fruchtlose Zukunftsde­batten zu stellen. Heuwiesers Organisati­on will beispielsw­eise den 15. September künftig zum autofreien Sonntag für Wien erklären, damit die Leute wieder erfahren könnten, wie sich eine Stadt ohne Autolärm und Abgase anfühlt. Man wolle, sagte die Aktivistin, dass Kinder wieder auf der Straße spielen und man mit offenen Fenstern schlafen könne – also ein positives Lebensgefü­hl schaffen. Und an einem solchen Tag, so ist hinzuzufüg­en, werden auch jede Menge Emissionen gespart.

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Foto: imago stock&people Wien ohne Autos – gut für die Nerven und fürs Klima

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