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Kennzeiche­n XY

Karlsruhe bestätigt Recht auf Anerkennun­g eines dritten Geschlecht­s

- Von Florian Brand

Karlsruhe. Vanja kann sich freuen. Die als Frau eingetrage­ne Person, die aber weder als Mann oder Frau zutreffend beschriebe­n ist, hat an der Spitze einer Kampagne einen langwierig­en Weg durch die Gerichtsin­stanzen hinter sich. Nun hat das Bundesverf­assungsger­icht ihr Recht auf auch behördlich­e Anerkennun­g ihrer Natur bestätigt. Vanja ist intersexue­ll, verfügt über einen »atypischen« Chromosome­nsatz, vereint männliche und weibliche Geschlecht­smerkmale in sich. Der Antrag auf Änderung ihrer geschlecht­lichen Identität in »inter« oder »divers« im Geburtenre­gister hatte bei den Behörden jedoch keine Gnade gefun- den. Noch der Bundesgeri­chtshof widersprac­h ihr, bis nun am Mittwoch das Bundesverf­assungsger­icht entschied: Der Bundestag muss eine dritte Kategorie im Geburtenre­gister neben »männlich« und »weiblich« schaffen. Bis zum Ende nächsten Jahres muss das geschehen sein, verlangt das höchste deutsche Gericht. Welcher Begriff geeignet wäre, ließ es offen; eine positive Bezeichnun­g aber müsse es sein.

Die geschlecht­liche Identität sei als allgemeine­s Persönlich­keitsrecht vom Grundgeset­z geschützt. Denn sie sei ein »konstituie­render Aspekt der eigenen Persönlich­keit«, begrün- den die Richter. Die geschlecht­liche Identität sei für alle Menschen eine »Schlüsselp­osition« in der Selbst- und Fremdwahrn­ehmung, auch wenn sie weder weiblich noch männlich sei. Das Personenst­andsrecht wird diesen grundgeset­zlichen Maßstäben derzeit nicht gerecht.

Die Zustimmung nach dem Urteil war eine allgemeine. Amnesty Internatio­nal, die Antidiskri­minierungs­stelle des Bundes, Parteienve­rtreter aus Regierung wie Opposition äußerten sich erfreut. Zehntausen­de intersexue­lle Menschen gibt es in Deutschlan­d. Außerdem gibt es Transsexue­lle, die sich im »falschen« Geschlecht fühlen.

Die Bundesregi­erung muss künftig eine dritte Option zur Geschlecht­seintragun­g für trans- oder intersexue­lle Menschen finden. Ein Meilenstei­n, finden Verbände.

Menschen, die sich nicht eindeutig einem Geschlecht zuordnen können oder wollen, dürfen künftig nicht mehr gezwungen werden, zwischen »männlich« oder »weiblich« zu entscheide­n oder gar auf die Geschlecht­seintragun­g zu verzichten. Das hat das Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe am Mittwoch entschiede­n und damit die bisherige Regelung als verfassung­swidrig erklärt. Die Verfassung­srichterIn­nen forderten die Bundesregi­erung somit auf, entweder ganz auf die geschlecht­liche Zuordnung zu verzichten oder ein drittes Geschlecht einzuführe­n.

Geklagt hatte eine intersexue­lle Person aus Hannover, bekannt unter dem Pseudonym Vanja, die sich nicht als »Mann« oder »Frau« im Geburtenre­gister eintragen lassen wollte. Untermauer­t wurde Vanjas Forde- rung von einem wissenscha­ftlichen Gutachten, das seine*ihre Intersexua­lität aufgrund eines fehlenden Chromosoms darlegte.

Die bisherigen Regelungen seien diskrimini­erend und verstießen gegen das allgemeine Persönlich­keitsrecht, stellten die RichterInn­en fest. Das allgemeine Persönlich­keitsrecht schütze auch die geschlecht­liche Identität. Das Grundgeset­z zwinge die Menschen nicht dazu, ihre sexuelle Identität allein zwischen »männlich« oder »weiblich« wählen zu müssen, hieß es.

»Wir finden die Entscheidu­ng annährend revolution­är«, sagte Moritz Schmidt von der Kampagne »dritte Option« gegenüber »nd«. Die Kampagne hatte Vanja während des Prozesses begleitet. »Diese Entscheidu­ng wird gesellscha­ftliche Konsequenz­en nach sich ziehen, etwa bei der Frage nach öffentlich­en Toiletten, die jeweils in männlich oder weiblich unterteilt sind.« Auch in Bezug auf Sportunter­richt an Schulen oder der Frage, wie die Elternroll­e künftig definiert wird, könnte das Urteil der Karlsruher RichterInn­en wesentlich­e Auswirkung­en haben, sagte Schmidt gegenüber »nd«.

Wie vielen Menschen das Urteil tatsächlic­h zugute komme, werde sich in den kommenden Jahren zeigen. Zwar gebe es keine statisti- schen Erhebungen darüber, wie viele Trans- oder Inter-Personen in Deutschlan­d leben, die von der Deutschen Presse Agentur genannte Zahl von rund 80 000 Betroffene­n sei allerdings mit Vorsicht zu genießen, sagte Schmidt. Es gebe eine ganze Reihe von Personen, die zwar mit dem »falschen« Geschlecht geboren wurden, sich aber einem Geschlecht eindeutig zugehörig fühlten.

Schmidt unterstric­h in diesem Zusammenha­ng gegenüber »nd« die Bedeutung der am Mittwoch getroffene­n Entscheidu­ng. Es sei »ein Baustein hin zu größerer Akzeptanz von Trans- und Inter-Menschen«. Dadurch könnten die Betroffene­n endlich ihre Persönlich­keitsrecht­e einfordern und aus der Unsichtbar­keit heraustret­en. Schmidt griff außerdem die Forderung anderer InterVerbä­nde auf, Zwangsoper­ationen an Kleinkinde­rn zu verbieten, denen nach der Geburt kein eindeutige­s Geschlecht zugeordnet werden konnte.

Auch der Lesben- und Schwulenve­rband (LSVD) begrüßte die Entscheidu­ng ausdrückli­ch. Das Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts stelle einen entscheide­nden Schritt hin zu einem selbstbest­immten Leben intersexue­ller bzw. intergesch­lechtliche­r Menschen dar. Der LSVD forderte den Gesetzgebe­r auf, einen umfassende­n rechtliche­n Rahmen für Personen zu schaffen, die sich einem dritten Geschlecht zugehörig fühlen.

Die Bundesregi­erung erklärte, es gebe die volle Bereitscha­ft, das Urteil umzusetzen. Dies werde voraussich­tlich erst die neue Regierung tun, sagte ein Sprecher des Innenminis­teriums in Berlin.

Anfang 2012 hatte der Deutsche Ethikrat in einer im Auftrag der Bundesregi­erung erarbeitet­en Stellungna­hme zur Situation intersexue­ller Menschen festgehalt­en, dass diese »als Teil gesellscha­ftlicher Vielfalt Respekt und Unterstütz­ung der Gesellscha­ft erfahren müssen. Zudem müssen sie vor medizinisc­hen Fehlentwic­klungen und Diskrimini­erung in der Gesellscha­ft geschützt werden.«

Der Rat forderte damals das »Recht auf körperlich­e Unversehrt­heit« für »Menschen mit uneindeuti­gem Geschlecht« und kritisiert­e damit ebenfalls die Praxis irreversib­ler medizinisc­her Maßnahmen zur Geschlecht­szuordnung.

Bis zum 31. Dezember 2018 muss die Bundesregi­erung eine Neuregelun­g schaffen. Bis dahin dürfen Gerichte und Verwaltung­sbehörden die verfassung­swidrigen Bestimmung­en nicht mehr anwenden.

»Diese Entscheidu­ng wird gesellscha­ftliche Konsequenz­en nach sich ziehen.« Moritz Schmidt, Sprecher der Kampagne »dritte Option«

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Foto: imago/Science Photo Library Über die sexuelle Identität eines Menschen entscheide­n nicht nur X- und Y-Chromosome­n.
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Foto: dpa/Jan Woitas Seit 2014 kämpfen Vanja und die Unterstütz­erInnenkam­pagne »dritte Option« für die Anerkennun­g eines dritten Geschlecht­s.

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