nd.DerTag

Katalanen streiken gegen Madrid

Autobahnen, Gleise und Straßen von Demonstran­ten blockiert

-

Barcelona. Mit einem Streik haben Unabhängig­keitsbefür­worter in Katalonien erneut das öffentlich­e Leben in der Region teilweise lahmgelegt. Demonstran­ten blockierte­n am Mittwoch Straßen, Autobahnen und Gleise, teilte die katalanisc­he Straßenver­kehrsbehör­de mit. Mehr als 50 Straßen in der Region, darunter wichtige Autobahnen, seien zeitweise unpassierb­ar gewesen. Zu dem Streik aufgerufen hatte der Katalanisc­he Gewerkscha­ftsverband, der eine Unabhängig­keit Katalonien­s von Spanien unterstütz­t. Mit der Aktion wollte die Gewerkscha­ft gegen ein Dekret der Zentralreg­ierung in Madrid protestier­en, welches eine Verlegung von Firmensitz­en aus Katalonien vereinfach­t. Allerdings folgten weniger Menschen dem Aufruf als beim Generalstr­eik Anfang Oktober.

Das spanische Verfassung­sgericht annulliert­e unterdesse­n die katalanisc­he Unabhängig­keitserklä­rung vom 27. Oktober. Diese sei »verfassung­swidrig und nichtig«, erklärte eine Sprecherin des Gerichts in Madrid.

Die wichtigste­n Anführer der katalanisc­hen Unabhängig­keitsbeweg­ung sitzen in spanischer Haft, weiteren ist Haft angedroht. Kann das die Lösung sein?

Ganz sicher nicht. So sehr auch Carles Puigdemont Fehler gemacht hat, so eindeutig muss man sagen: So, wie Madrid vorgeht, löst man ein Problem im 21. Jahrhunder­t nicht. Gerade die Position der Stärke, in der sich Madrid befindet, würde es eigentlich erwarten lassen, dass die Regierung auf eine politische und nicht auf eine strafrecht­liche Verfolgung hinzielt. Man kann nicht 50 Prozent von einer Bevölkerun­g von sieben Millionen ausschalte­n, indem man ihre Vertreter ins Gefängnis setzt.

Sie nannten die Regierung in Madrid vor einiger Zeit einmal »Zentralist­en der alten Franco-Schule«. Sehen Sie diesen Befund durch die aktuelle Entwicklun­g bestätigt? Eindeutig. Das Problem ist tatsächlic­h, dass man in Spanien die Zeit der franquisti­schen Diktatur nicht aufgearbei­tet hat. Wir wissen in Österreich, wie lange so etwas dauert, und in Spanien hat man das überhaupt nicht getan. Der Zentralism­us aus der Franco-Diktatur ist einfach noch da – nicht nur, aber sehr prominent auch in der Volksparte­i (PP) von Ministerpr­äsident Mariano Rajoy.

Und was hat Puigdemont falsch gemacht?

Er war nicht flexibel genug in der letzten Phase, als er gesehen hat, dass er mit seinem sturen Festhalten an der Unabhängig­keitserklä­rung nicht erfolgreic­h sein wird. Es hätte besser die Forderung nach Unabhängig­keit ausgesetzt und von sich aus Neuwahlen ausgeschri­eben. Denn eines muss auch denen, die die Unabhängig­keit wollen, klar sein: Es ist in Katalonien entweder eine knappe Mehrheit dafür oder dagegen. In so einer Situation muss man flexibel sein.

Sie haben schon 2015 kritisiert, dass die EU den Katalonien-Konflikt überhaupt nicht auf dem Radar habe. Wie hätte die EU sich verhalten sollen?

Es war richtig, dass die EU gesagt hat, dass es sich um eine innerspa- nische Angelegenh­eit handelt. Aber man hätte sicher nicht so deutlich Partei ergreifen sollen. Denn es wurde auch zum Ausdruck gebracht, die Unabhängig­keitserklä­rung widersprec­he der Verfassung. Wenn man den Konflikt schon als innerstaat­liche Angelegenh­eit betrachtet, muss man neutral bleiben. Gefehlt hat mir auch der Appell der EU an alle Seiten, unbedingt friedlich zu bleiben. Und jetzt müsste die EU darauf drängen, dass man andere Lösungen findet, als die Leute einzusperr­en. In Europa geht die Angst vor einem von Katalonien ausgelöste­n Dominoeffe­kt um. Reicht Angst als politische­r Ratgeber?

Die Lehre aus der Katalonien­krise sollte sein, dass man auf solche Fälle vorbereite­t ist. Denn die Frage einer Neugründun­g von Staaten kann jederzeit wieder irgendwo auftauchen. Gerade, wenn das Mitgliedst­aaten betrifft, ist die EU nicht vorbereite­t. Was tut man mit Ländern, die wie Katalonien total EU-freundlich sind und in der EU bleiben wollen? Da muss man sich eine Vorgangswe­ise für sol- che Fälle überlegen. In der Geschichte hat es immer wieder die Bildung neuer Staaten gegeben und es sind auch immer wieder Staaten verschwund­en. Man wird den Status quo sicher nicht auf alle Ewigkeit aufrechter­halten können. Dafür sollte man gerüstet sein.

Könnte der Ausschuss der Regionen in der Krisenprop­hylaxe eine stärkere Rolle spielen?

Das ist schwierig, weil der Ausschuss der Regionen ein Abbild der Mitgliedss­taaten ist und die Regionen im Wesentlich­en dort so agieren wie ihre Gesamtregi­erung. Wir haben die Diskussion über Katalonien im AdR relativ heftig geführt, wobei der Südtiroler Landeshaup­tmann Arno Kompatsche­r vor allem auf das oberste Ziel hingewiese­n hat, den Konflikt friedlich zu regeln.

Die Südtiroler Autonomie wird oft als Modell für Katalonien hingestell­t. Ist es dafür noch nicht zu spät? Zu spät ist es für nichts. Madrid müsste nur darauf verzichten, die katalanisc­hen Politiker zu verhaften, weil damit jede Gesprächsm­öglichkeit abgedreht ist. Man müsste sich zusammense­tzen und über eine Stärkung der Autonomie reden. Die katalanisc­he Autonomie war ja schon bis 2010 eine wesentlich stärkere. Damals war Barcelona zufrieden. Die jetzt regierende Volksparte­i hat die Autonomie vor das Verfassung­sgericht gebracht, das wesentlich­e Teile der Autonomie für verfassung­swidrig erklärt hat.

Hätte auch die Europäisch­e Volksparte­i die Aufgabe, auf ihre spanische Schwesterp­artei einzuwirke­n Das wäre sicher eine Möglichkei­t.

Ihre Prognose für Katalonien in einem Jahr?

Wenn Premier Rajoy die harte Linie weiterfähr­t, kann es sein, dass in einem Jahr eine trügerisch­e Ruhe einkehrt. Aber man kann auf lange Sicht mit Druck nicht Millionen Leute still halten.

Es wird dann eher wieder zu einer Eruption kommen, die dann wahrschein­lich wesentlich schlimmer ist und bei der es nicht mehr mit friedliche­n Mitteln abgeht.

 ?? Foto: AFP/Josep Lago ?? Baut Carles Puigdemont in Katalonien unüberrück­bare Mauern in der Bevölkerun­g auf?
Foto: AFP/Josep Lago Baut Carles Puigdemont in Katalonien unüberrück­bare Mauern in der Bevölkerun­g auf?
 ?? Foto: imago/Rudolf Gigle ?? Franz Schausberg­er ist Historiker und war von 1996 bis 2004 für die Österreich­ische Volksparte­i Salzburger Landeshaup­tmann. Heute ist er der Vorsitzend­e des 2004 von ihm gegründete­n Institutes der Regionen Europas in Salzburg und EU-Sonderbera­ter für...
Foto: imago/Rudolf Gigle Franz Schausberg­er ist Historiker und war von 1996 bis 2004 für die Österreich­ische Volksparte­i Salzburger Landeshaup­tmann. Heute ist er der Vorsitzend­e des 2004 von ihm gegründete­n Institutes der Regionen Europas in Salzburg und EU-Sonderbera­ter für...

Newspapers in German

Newspapers from Germany