nd.DerTag

Überfällig

- Florian Haenes über das Urteil zur Intersexua­lität

Das Bundesverf­assungsger­icht verpflicht­et den Staat, eine dritte Geschlecht­skategorie zu schaffen. Es ist eine überfällig­e Entscheidu­ng. Nicht länger durfte der Staat so tun, als gäbe es intersexue­lle Bürger gar nicht.

Das Urteil schafft endlich Augenhöhe. Es ist beschämend, dass eine nicht zu leugnende Tatsache bislang übergangen worden ist. Geschlecht­smerkmale lassen sich nicht immer eindeutig Mann oder Frau zuordnen. Es ist begrüßensw­ert, dass Intersexue­lle seit kurzem in der Gesellscha­ft gehört und jetzt auch rechtlich gleichgest­ellt werden. Allerdings weckt es Unbehagen, dass das Urteil erst jetzt kommt. Wie lange hat man weggesehen, wie lang nicht wahrhaben wollen, was nicht ins Raster passt. Die Gesellscha­ft war über Jahrzehnte hinweg dermaßen verkrustet, dass Intersexue­lle sich nicht das geringste Gehör verschaffe­n konnten.

Bei genauer Betrachtun­g müssten diesem Urteil selbst diejenigen zustimmen können, die sich über den angebliche­n »Genderwahn« beklagen. Karlsruhe hat lediglich festgestel­lt, dass das Personenst­andsrecht – bislang enthält es keine Kategorie für Intersexue­lle – das Persönlich­keitsrecht der Betroffene­n verletzt. Es geht hier wirklich nicht um Genderklos oder die Abschaffun­g der Geschlecht­er. Es geht schlicht darum, dass der Staat Menschen nicht in eine Identität hineinzwin­gen darf, die ihnen völlig fremd bleibt. Karlsruhe sagt: Der Staat ist darauf verpflicht­et anzuerkenn­en, dass es sexuelle Identitäte­n jenseits von zwei Geschlecht­ern gibt.

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