Hungern für die Familienzusammenführung
Seit rund einer Woche verweigern Geflüchtete in Griechenlands Hauptstadt die Nahrungsaufnahme
Viele Angehörige von in Deutschland anerkannten Flüchtlingen warten seit langem in Griechenland auf Familienzusammenführung. 14 Geflüchtete aus Syrien – sieben Frauen und sieben Männer – setzen ihren Hungerstreik vor dem Parlament in Athen fort. Unter ihnen sind elf Kinder. Seit dem 1. November protestieren sie auf dem Syntagma-Platz vor dem griechischen Parlament und fordern, zu ihren Familien nach Deutschland reisen zu dürfen. Bis dahin wollen sie die Nahrungsaufnahme verweigern.
Die Protestierenden gehören nach eigenen Angaben zu einer Gruppe von mehr als 4000 Geflüchteten, die in Griechenland auf ihre rechtmäßige Überstellung nach Deutschland warten. Sobald eine solche Familienzusammenführung bewilligt ist, bleiben den griechischen Behörden üblicherweise sechs Monate, um diese durchzuführen. Viele der Menschen warten nach eigener Einschätzung jedoch bereits seit mehr als 18 Monaten unter unwürdigen Bedingungen. Seit sechs Monaten organisieren sie Proteste, die sich gegen die Verzögerung der Zusammenführung richten. »Wir sind müde zuzuhören, müde zu warten, müde zu hoffen. Wir wollen nur wissen, wann wir zu unseren Familien gehen können«, heißt es in einer Stellungnahme der Hungerstreikenden.
Der Dublin-Verordnung zufolge haben anerkannte Flüchtlinge in Deutschland Anspruch darauf, innerhalb von sechs Monaten jene Angehörigen nachzuholen, die in einem anderen Dublin-Land – zumeist Griechenland – untergekommen sind. Asylsuchende, die in Deutschland Schutz bekommen, dürfen Ehepartner und minderjährige Kinder zum Teil nachholen, anerkannte minderjährige Flüchtlinge ihre Eltern zu sich reisen lassen. Bei dieser Art von Familienzusammenführung geht es nicht um den Familiennachzug aus den Herkunftsländern, der für Flüchtlinge mit eingeschränktem (subsidiärem) Schutz bis März 2018 ausgesetzt ist.
Trotz einer Zusage zur Aufnahme durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) kommen die Geflüchteten in Griechenland aber nicht weiter. Aus einem Brief des griechischen Ministers für Migration, Ioannis Mouzalas, von Mai geht hervor, dass Bundesinnenminister Thomas de Maizière die griechische Regierung dazu angehalten habe, die Ausreise der Angehörigen von in Deutschland lebenden Flüchtlingen aus Griechenland »vorübergehend zu verlangsamen«. Den Brief hatte damals die regierungsnahe Zeitung »Efimerida ton Syntakton« veröffentlicht. Mouzalas hat bereits wiederholt bestätigt, dass der Brief echt sei. Die Bundesregierung hat den Vorwurf allerdings zurückgewiesen, sie verzögere den Familiennachzug. Berichte über eine entsprechende Verabredung zwischen Berlin und Athen seien falsch, sagte der Sprecher des Bundesinnenministeriums, Johannes Dimroth, am Montag in Berlin.
Wie das Bundesinnenministerium auf Anfrage des »nd« am Dienstag mitteilte, brauchten die Familienzusammenführungen angesichts des »enormen Koordinierungsaufwandes und der teilweise begrenzten Unterbringungs- und Beförderungskapazitäten« einen längeren Vorlauf. In den ersten zehn Monaten dieses Jahres seien 2176 Menschen aus Griechenland nach Deutschland gekommen. Der Spitzenwert wurde im März mit 494 Familienangehörigen erreicht, im Mai wurden dagegen nur 83 Menschen mit ihren Familien vereint. Seit Juni steigt die Zahl der Überführungen wieder an: Im Oktober kamen 268 Menschen zu ihren Familien. Für die schwankenden Überstellungszahlen seien Umstände verantwortlich, auf die die Bundesregierung keinen Einfluss habe. So führten von Touristen ausgebuchte Flieger während der Feriensaison oder rückläufige Mitarbeiterzahlen im Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) während der Sommermonate laut dem Ministerium zeitweise zu geringeren Überstellungszahlen. Das BAMF akzeptiere laut der Bundesregierung zudem aktuell auch Überstellungen aus Griechenland, die sich außerhalb der sechsmonatigen Überstellungsfrist befänden, um »aus humanitären Gründen zur Entspannung der Situation in Griechenland beizutragen«, wie eine Sprecherin des Ministeriums dem »nd« mitteilte.
Das BAMF hatte von Januar bis August dieses Jahres 4560 Zustimmungen zur Überstellung von Griechenland nach Deutschland erteilt, wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der LINKEN hervorgeht. Allerdings trafen von denjenigen, die 2017 eine Erlaubnis erhalten hatten, nur 221 Angehörige in Deutschland ein. Überstellt wurden laut Bundesinnenministerium allerdings auch Menschen, für die das BAMF bereits 2016 seine Zustimmung erteilt hatte. Die Familienzusammenführungen werden nach Antragsdatum abgearbeitet. Eine Ausnahme bildeten besonders schutzbedürftige, vulnerable Personen.
Die protestierenden Geflüchteten kritisieren derweil das Vorgehen der Bundesregierung: Die zuständigen Behörden hätten ihnen zu keiner Zeit mitgeteilt, wie viele Menschen im Monat ausreisen dürften oder wer als besonders schutzbedürftig gilt und deshalb schneller zur Familie dürfe. Sie fordern hier einen transparenteren Entscheidungsprozess.