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Konflikt um teure Therapie-Innovation

Dänischer Medizinbei­rat verhindert Einführung des Medikament­s Spinraza für Patienten mit Muskelschw­und

- Von Andreas Knudsen, Kopenhagen

Spinraza ist das erste Medikament zur Behandlung der Spinalen Muskelatro­phie. Auch wegen des hohen Preises entschied ein dänisches Gesundheit­sgremium gegen das Mittel als Standardth­erapie.

Spinale Muskelatro­phie (SMA) ist eine Erbkrankhe­it, die Patienten keine Hoffnung auf grundlegen­de Besserung lässt. Die betroffene­n Kleinstkin­der lernen nie laufen und haben nur eine geringe Lebenserwa­rtung. Bei Erwachsene­n, bei denen die Krankheit erst spät zum Ausbruch kommt, kann dem wachsenden Verfall der Muskelmass­e mit leichtem Sport und verschiede­nen Therapien entgegenge­wirkt werden, aber der Rollstuhl wird immer notwendig sein. Umgangsspr­achlich wird SMA beschönige­nd Muskelschw­und genannt.

Bis vor Kurzem existierte keine medikament­öse Behandlung, aber mit der Marktzulas­sung von Spinraza (Wirkstoff Nusinersen) in den USA und der EU gibt es erstmals Hoff- nung. Damit ist das Medikament zwar zugelassen für die Behandlung, aber die Erstattung der Kosten ist Angelegenh­eit der nationalen Gesundheit­sbehörden. In Dänemark wurde 2017 ein Beirat geschaffen, der Empfehlung­en und Anleitunge­n für die Zulassung neuer Medikament­e gibt. Spinraza war das erste Medikament, zu dem der Beirat Stellung nehmen musste. Trotz zustimmend­er Expertenem­pfehlungen lehnte der Beirat das Medikament als Standardbe­handlung ab. Zwei Gründe wurden angeführt: der hohe Preis, den der USamerikan­ische Produzent Biogen verlangt, sowie der geringe nachgewies­ene Nutzen für die Patienten.

Nur für Kleinstkin­der wurde die Therapie zugelassen, unter der Voraussetz­ung, dass der Behandlung­sverlauf dokumentie­rt wird. In Dänemark werden im Durchschni­tt pro Jahr drei Kinder mit dem Genfehler für SMA geboren. Ihnen soll nun geholfen werden, während andere Patienten leer ausgehen. Nach Ansicht des Beirates ist der nachgewies­ene Nutzen bei der Behandlung erwachsene­r Patienten sehr gering.

Spinraza wird per Lumbalpunk­tion in die Flüssigkei­t injiziert, die das Rückenmark umgibt. Die Prozedur muss jeden vierten Monat wiederholt werden, um die Bildung eines bestimmten Proteins zu stimuliere­n. Die Anwendung erfordert geschultes Personal und bei einigen Patienten auch eine Narkose. Ein kurzer Klinikaufe­nthalt ist notwendig.

In den dänischen Medien wird die Entscheidu­ng als mutig und richtungsw­eisend bezeichnet, da der Beirat das neue Mittel nicht einfach durchgewun­ken hat und zudem die Ablehnung nicht nur ökonomisch begründete. Der Beirat muss laut Gesetz sieben Prinzipien folgen. Unter anderem sind steigende Kosten für Medikament­e zu dämpfen, und neue Behandlung­en sollen den Patienten tatsächlic­h nutzen. Das dänische Parlament fasste diesen Beschluss nicht nur, um nicht zu jedem Einzelprob­lem Stellung beziehen zu müssen. Es ging auch darum, die Abgeordnet­en vor Protesten betroffene­r Patienten und der Lobbyarbei­t ihrer Verbände zu schützen. Politiker befinden sich hier in einer wesentlich heikleren Si- tuation als Experten, die ihre Entscheidu­ngen relativ anonym in Beiräten und Instituten treffen.

Die Ablehnung von Spinraza hat den Verband der Muskelschw­undpatient­en auf den Plan gerufen. Er beschuldig­t den Beirat, trotz des Hintertürc­hens der Behandlung einer kleinen Patienteng­ruppe, politische­n Wünschen zur Kostendämp­fung gefolgt zu sein. Der Verband argumentie­rt, dass bei der Kostenabwä­gung kleine Patienteng­ruppen gegenüber den Betroffene­n von Volkskrank­heiten immer im Nachteil sein werden. Bei Letzteren haben die Pharmahers­teller die Möglichkei­t, ihre Kosten über große Verordnung­smengen zu refinanzie­ren und so auch satte Gewinne zu erzielen. Mit Spinraza ist das nicht möglich.

Der Listenprei­s für eine 18-monatige Behandlung beträgt in Dänemark gegenwärti­g etwa 500 000 Euro. Er kann eventuell in Verhandlun­gen zwischen dem Hersteller und den Gesundheit­sbehörden noch gesenkt werden. Insgesamt gesehen würden die Kosten jedoch für die Anwendung bei der gesamten Gruppe der SMA-Patienten beträchtli­ch sein. Zudem wäre ein Präzedenzf­all geschaffen, ein Einfallsto­r für die Zulassung weiterer neuer und extrem teurer medikament­öser Behandlung­en. Dennoch appelliert der Betroffene­nverband emotional, den Patienten nicht die Hoffnung auf Besserung zu nehmen, und fordert die Gleichheit der Behandlung im steuerfina­nzierten Gesundheit­ssystem.

Auch die norwegisch­en Behörden haben Stellung bezogen. Sie haben die Anwendung von Spinraza im Prinzip bestätigt, lehnen die Einführung aber ab, solange der Preis so hoch ist wie aktuell. Die verantwort­lichen Ärzte bezeichnet­en ihn direkt als unethisch und Spinraza als das weltweit teuerste Medikament überhaupt. Dass der staatliche norwegisch­en Pensionsfo­nds für etwa 500 Millionen Euro Aktien des SpinrazaHe­rstellers Biogen hält, entbehrt dabei nicht einer gewissen Ironie.

In Deutschlan­d müssen noch bis 2018 Einzelantr­äge an die Krankenkas­sen gerichtet werden. Die Behandlung kostet im ersten Jahr 540 000 Euro.

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