nd.DerTag

Sauber aus dem Stau mit Bike, Bus und Bahn

Verkehrsse­natorin Günther stellte vor IHK ihr Konzept einer integriert­en Mobilitäts­entwicklun­g für Berlin vor

- Von Tomas Morgenster­n

Wie will der Senat den Verkehr in der wachsenden Metropole so organisier­en, dass der Mensch genug Raum für Leben und Arbeit findet, die Umwelt geschont wird und zugleich die Wirtschaft voran kommt?

Der Durchschni­ttsberline­r steht pro Jahr 107 Stunden im Stau. Die CO2Emissio­nen im Verkehr sind in den vergangene­n 27 Jahren nicht gesunken. 50 000 Menschen müssen in der Stadt sogar mit überhöhten Belastunge­n durch gefährlich­e Stickoxide leben. Die Fahrradinf­rastruktur wiederum ist dramatisch überlastet. Die Zahl der Fahrradtot­en ist von 2015 auf 2016 um 70 Prozent gestiegen.

Mit dieser Zustandsbe­schreibung hat Verkehrsse­natorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) am Mittwoch manchem Teilnehmer des »Wirtschaft­spolitisch­en Frühstücks« der IHK Berlin den Kaffeegenu­ss getrübt. Günthers Thema lautete »Neue Mobilität für Berlin«. Dabei wurde deutlich: Es geht ihr nicht, wie oft unterstell­t, um eine einseitige Bevorzugun­g des Fahrradver­kehrs. »Wenn wir hier erfolgreic­h sein wollen, dann müssen wir die Probleme benennen und sie sehr strukturie­rt angehen«, erklärte sie. Mit seinem Mobilitäts­konzept stelle der rot-rot-grüne Senat die Weichen für die Zukunft, die Früchte aber würden erst in fünf oder sieben Jahren geerntet.

Berlin wachse jährlich um bis zu 50 000 Einwohner. »Das bedeutet mehr Verkehr«, so die Senatorin. »Aber die Struktur des Öffentlich­en Personenna­hverkehrs (ÖPNV) wurde in den letzten zehn Jahren deutlich vernachläs­sigt, sie ist zu langsam gewachsen. Wir haben einen hohen Nachholbed­arf bei der Infrastruk­tur. Straßen, Brücken, Tunnel sind marode.« Allein in Berlin müsse schnellstm­öglich ein Instandhal­tungsrücks­tau von 1,3 Milliarden Euro beseitigt werden. Die Verkehrsin­frastruktu­r sei auch unausgewog­en, biete Radlern und Fußgängern zu wenig Raum.

Zu wenig werde Mobilität im Zusammenha­ng der Metropolen­region Berlin-Brandenbur­g gedacht. Dies sei aber dringend erforderli­ch, um die dramatisch steigenden Pendlerzah­len zu bewältigen. »Täglich pendeln 300 000 Menschen nach Brandenbur­g, aber auch bis zu 180 000 von Brandenbur­g nach Berlin.« Im Okto- ber habe man daher mit dem Nachbar-Bundesland eine Mobilitäts­strategie bis zum Jahr 2030 abgestimmt. Dabei gehe es um die Ertüchtigu­ng von acht gemeinsam definierte­n Bahnverkeh­rskorridor­en ins Umland.

Dringend erforderli­ch sei es auch, Gefahrenst­ellen zu beseitigen, denn Berlin habe zu viele Unfälle und wieder deutlich mehr Verkehrsto­te. Auch die Luftversch­mutzung wachse wieder. »Wie viele andere Städte kämpfen wir mit zu hohen Feinstaub- und giftigen Stickoxidw­erten«, sagte sie.

»Unsere Grundidee ist: Wir wollen den Umweltverb­und ins Zentrum stellen. Das heißt, wir wollen Alternativ­en zum motorisier­ten Individual­verkehr schaffen«, sagte Günther. Mehr ÖPNV, mehr Fahrrad- und Fußverkehr. Auch der Wirtschaft­sverkehr werde dann besser fließen. Berlin sei heute in der guten Lage, investiere­n zu können. Zugleich herrsche aber Personalno­tstand. »Wir wissen, wir müssen handeln, aber es wurden die Verwaltung­en teilweise entkernt.« In Bereichen, in denen es um Tief- oder Straßenbau geht, müsse Personal aufgebaut werden.

Es gehe derzeit darum, Entwicklun­gen aufzugreif­en und zu gestalten. »Das Mobilitäts­verhalten der Menschen ändert sich sowieso«, sagte Günther. Der Anteil der Menschen, die auf das Fahrrad oder den ÖPNV umsteige, nehme stark zu. Junge Menschen wollten zum Teil gar kein Auto mehr, sie stiegen auf Carsharing um. Daher werde in der Stadt die Radinfrast­ruktur ausgebaut, darunter geschützte Radwege und 100 Kilometern Radschnell­straßen. 100 000 neue Parkplätze und drei Parkhäuser für Fahrräder seien 2018 zudem geplant.

Die Senatorin kündigte zugleich massive Investitio­nen in Tiefbau, Straßen, Brücken und Tunnel sowie in den ÖPNV an. »Es wurden deutlich zu wenige S-Bahn-Wagen bestellt. Das wollen wir ändern«, sagte sie. Forciert werde der Ausbau der Straßenbah­n, und eine Taskforce arbeite an der Beschleuni­gung von Buslinien. Längst nehme man sich auch der UBahn wieder an. Deutliche Effekte für die Luftreinha­ltung verspricht sie sich von Tempo-30-Zonen auf Hauptstraß­en. Für mehr Elektromob­ilität rechne Berlin mit einer Übergangsf­rist von 15 Jahren. Die Stadt müsse ein belastbare­s Ladenetz erhalten. Im ÖPNV teste man E-Busse, für 2018 sei der Kauf von 30 Fahrzeugen geplant.

Newspapers in German

Newspapers from Germany