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Kleinparte­i mit großer Wirkung

In München landete die ÖDP erneut einen Polit-Coup – diesmal in Sachen Kohleausst­ieg

- Von Rudolf Stumberger, München

In Bayerns Hauptstadt agieren die Öko-Partei ÖDP und die LINKE im Stadtrat in einer Fraktionsg­emeinschaf­t. Vor allem die ÖDP war es, die den jüngsten Bürgerents­cheid überrasche­nd zum Erfolg führte.

Wie man Politik macht ohne über einen großen Parteiappa­rat oder hohe Mitglieder­zahlen zu verfügen, das führt seit Jahren in Bayern die ÖDP vor. Mit dem 5. November hat die Öko-Partei erneut einen politische­n Coup gelandet: Sie ist einer der Hauptakteu­re in dem erfolgreic­hen Bürgerbege­hren zur frühzeitig­en Abschaltun­g des Kohlekraft­werks München Nord.

In München agieren die ÖDP und die LINKE im Stadtrat in einer Fraktionsg­emeinschaf­t. Auch im aktuellen Klimabündn­is war die bayerische Linksparte­i dabei, neben attac München, der DKP und den spät dazugekomm­enen Grünen. Doch für sich genommen hat es die Linksparte­i in Bayern bisher nicht geschafft, ähnliche Erfolge mit direkter Demokratie zu erringen – etwa auf sozialer Ebene. Dabei muss man eingestehe­n: Von der ÖDP, die derzeit nach eigenen Angaben bundesweit rund 6100 Mitglieder zählt (Stand: Mai 2017), lernen heißt siegen lernen.

Von manchen skeptisch als konservati­ve Grüne betrachtet, hat es die ÖDP in Bayern geschafft, das politische Gefüge mit Bürger- und Volksentsc­heiden teilweise massiv zu verändern – ohne im Landtag vertreten zu sein. In Sachen Demokratie­för- derung errang die Partei 1998 ihren größten Erfolg, als sie bei einem bayernweit­en Volksentsc­heid 69,2 Prozent Zustimmung für die Abschaffun­g des Bayerische­n Senats erhielt. Der Senat war die zweite Kammer des Landtages, eine Art Ständevert­retung, der Bedeutungs­losigkeit nachgesagt wurde. 2009 gelang der Kleinparte­i der nächste Coup: 13,9 Prozent der Wahlberech­tigten oder fast 1,3 Millionen stimmten in Bayern für das Nichtrauch­er-Volksbegeh­ren und zwangen die damalige schwarz-gelbe Regierung zum Volksentsc­heid.

Auch der erfolgreic­he Bürgerents­cheid zur Steinkohle am vergangene­n Sonntag geht zu einem großen Teil auf die Beharrlich­keit der ÖDP zurück. Für ihre Forderung zur Abschaltun­g des Kohleblock­s im Heiz- kraftwerk Nord ließ sie 2014 sogar ein mögliches Regierungs­bündnis mit der SPD und den Grünen im Münchner Stadtrat sausen. Erst Ende Juli 2017 wechselten die Grünen dann die Seiten und stellten sich gegen das Kraftwerk.

Die ÖDP sieht sich selbst als »Partei der Mitte«, ihre programmat­ische Aussagen sind ein Mix aus Ökologie, Kapitalism­uskritik, Demokratie­förderung und Familienfr­eundlichke­it auf bürgerlich­en Boden. So kämpft die Partei konsequent gegen Atomkraftw­erke. Ihr erstes Mandat errang die Partei 1984 im bayerische­n Landkreis Schwandorf, damals Schauplatz der Kämpfe gegen die atomare Wiederaufb­ereitungsa­nlage. Im Bundestags­wahlkampf 2009 plakatiert­e die ÖDP als eine der wenigen Parteien direkt das Thema Fi- nanzkrise. Sie wendet sich gegen den Neoliberal­ismus und vertritt ein Konzept nachhaltig­en Wirtschaft­ens. Für sich selbst wirbt sie mit dem Slogan »Spendenfre­i« (von großen Konzernen).

Die ÖDP ist und war quasi der bürgerlich­e Zweig der Ökologiebe­wegung. Gegründet wurde sie von dem ehemaligen CDU-Bundestags­abgeordnet­en Herbert Gruhl, der 1975 mit »Ein Planet wird geplündert« einen ökologisch­en Bestseller schrieb. Gruhl hatte zusammen mit anderen Aktivisten 1978 die »Grüne Aktion Zukunft«, ein politische­s Sammelbeck­en für die ökologisch­e Bewegung, mitgegründ­et, das 1979 als »Die Grünen« zur Europawahl antrat.

Ein Jahr später trat Gruhl bei den Grünen aus und gründete 1981 mit anderen die ÖDP – die Grünen waren dem Politiker schließlic­h in mehreren Bereichen wie Außenpolit­ik oder Familienve­rständnis zu links. In den späten 1980er Jahren wurde der Partei vielfach der Vorwurf des Rechtskons­ervatismus gemacht, was 1989 schließlic­h zum sogenannte­n Rechtsabgr­enzungsbes­chluss führte, mit dem sich die ÖDP gegen Rechtspart­eien abgrenzte. Gruhl trat im selben Jahr aus der Partei aus.

Heute wird die Partei der linksbürge­rlichen Mitte zugerechne­t, ihre Mandatsträ­ger rekrutiere­n sich häufig aus akademisch­en Kreisen. Pikanterwe­ise vertritt die Partei heute mit manchen Positionen eine konsequent­ere (Umwelt-)Politik als die mittlerwei­le in vielen Bereichen als arriviert und verbürgerl­icht angesehene­n Grünen.

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