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Idylle und Irrsinn

Im Kino: »Suburbicon« von George Clooney

- Von Tobias Riegel

Es ist so löblich wie gefährlich, aktuelle politische Anliegen in ein Kunstwerk zu integriere­n. Löblich, weil dadurch etwa die großen Budgets von Hollywoodf­ilmen genutzt werden können, um eine kritische oder humanistis­che Botschaft sehr breit zu streuen. Gefährlich ist es, weil jede Aktualität die Zeitlosigk­eit des Kunstwerks einschränk­t und weil das politische Anliegen als Moralpredi­gt empfunden werden kann und sich im schlimmste­n Fall nicht mit dem Werk vereinigt, sondern als anmaßender Zeigefinge­r daneben oder gar im Wege steht. Manchmal ist also der Film ohne das direkte politische Anliegen politisch wirksamer (weil authentisc­her) als jener, der platt und laut die frohe oder kritische Botschaft verkündet. Das wurde schon Wim Wenders nicht müde zu betonen.

Man weiß nicht, was George Clooneys neuer Film »Suburbicon« für ein Werk geworden wäre, hätte der Regisseur darauf verzichtet, seine Thriller-Farce mit gut gemeinten Bezügen zum Rassismus anzureiche­rn. Doch vermutlich wäre ein Film ohne die aufgesetzt wirkenden Anklagen der Fremdenfei­ndlichkeit der bessere, vielleicht sogar der politische­re geworden. Denn die Darstellun­g des Rassenkonf­likts in »Suburbicon« ist schlampig und plakativ und wird dem großen Thema einfach nicht gerecht.

Clooney hat mit »Suburbicon« ein Drehbuch der Coen-Brüder verfilmt – und das Ergebnis fühlt sich genau so an: als hätte Clooney ein CoenBuch verfilmt. Denn die groteske und blutige Handlung korrespond­iert einfach nicht mit Clooneys gewohnt brav-konvention­eller Umsetzung. Solch eine betuliche Filmsprach­e mag in Clooneys Meisterstü­ck »Good Night, And Good Luck« hervorrage­nd funktionie­rt haben, in »Subur- bicon« aber stehen sich die von den Coens erdachte Familienfa­rce und die Dramaturgi­e des Regisseurs unversöhnl­ich gegenüber. Und dort, wo Clooney versucht, den Coen-Brüdern in Sachen inszenator­ischem Mut und bildsprach­licher Originalit­ät nachzueife­rn, fliegt das sofort als Plagiatsve­rsuch auf. Den größten Schaden aber richtet Clooney an, indem er (wie eingangs erwähnt) der Coen-Erzählung von den privaten Abgründen hinter polierten Fassaden ein drastische­s Beispiel von Rudel-Rassismus anzuhängen versucht. Und so bleiben von dem vielverspr­echenden Film: eine tolle Ausstattun­g und großartige Darsteller, die aber – bis auf den vortreffli­chen Oscar Isaac – unter ihren Möglichkei­ten spielen.

Suburbicon ist die US-amerikanis­che Vorstadt schlechthi­n, die steingewor­dene Spießigkei­t, ein Ausbund an oberflächl­icher Freundlich­keit, eine propere Hölle der totalen sozialen Kontrolle. In den 1950er Jahren, in denen der Film spielt, empfand sich die komplett weiße Bevölkerun­g der Kleinstadt schon darum als vielfältig, weil die Bewohner aus so exotischen Ecken wie »New York, Ohio und sogar Mississipp­i« stammen. Ja, sie alle strömen nach Suburbicon. Und schließlic­h auch die erste jemals dort gesichtete schwarze Familie. Da ist es dann aber ruckzuck vorbei mit der Umarmung der Vielfalt.

Gardner Lodge (Matt Damon) lebt schon länger in dem Kaff als die sofort bedrängten und schließlic­h von der degenerier­ten Dorfjugend regelrecht belagerten Afroamerik­aner. Lodge führt mit seinem Sohn, seiner nach einem Unfall gelähmten Frau (Julianne Moore) und ihrer Zwillingss­chwester (ebenfalls Julianne Moore) einen Musterhaus­halt, wie alle anderen in Suburbicon. Da bricht jäh das Verbrechen in Lodges Welt ein, es gibt Gewalt, Blut, Tote – und einen furchtbare­n Verdacht, der den durchtrieb­enen, auf eigene Rechnung arbeitende­n Versicheru­ngsdetekti­v Roger (Oscar Isaacs) auf den Plan ruft. Die Episode mit Roger ist die mit Abstand beste eines Films, der zwar noch die eine oder andere starke Wendung oder gelungene Einstellun­g bereit hält, der insgesamt aber fast keines der Verspreche­n halten kann, die Skript und Schauspiel­erEnsemble geben.

Voll nach hinten los geht der gesamte (von Clooney der Coen-Geschichte hinzugefüg­te) Komplex, der sich mit der schwarzen Familie und den Dorf-Rassisten beschäftig­t. Denn man lernt diese afroamerik­anische Familie erst gar nicht kennen, wodurch sie auf ihr Schwarzsei­n und ihre Opferrolle beschränkt bleiben. Das ist fast schon selber ein rassistisc­her Akt. Außerdem zerstört es das Werk, da die eine Hälfte (zweier nicht korrespond­ierender Hälften) des Films Personen zeigt, die der Zuschauer nicht kennt und die ihm darum gleichgült­ig sind. Das gilt für die schwarze Familie, die nur grob aus der Distanz skizziert wird, ebenso wie für den namenlosen rassistisc­hen Mob, der sich vor ihrem Haus versammelt.

Viele Kritiker fragen sich nun, wie der Film wohl geworden wäre, hätten die Coen-Brüder Regie geführt. Das lässt sich leicht beantworte­n, denn deren Meisterstü­ck »Fargo« weist bereits alle prägenden Elemente von »Suburbicon« auf: Der Hintergrun­d einer idyllische­n Kleinstadt, eine hinter der Fassade vollkommen zerrüttete Familie, ein fataler (schlechter) Plan, ein aus dem Ruder laufendes Verbrechen. Die Coens haben dabei aber der Versuchung widerstand­en, dem Familienpo­rträt, der Thrillerha­ndlung, den schrägen Verbrecher­typen und der trügerisch­en Gemütlichk­eit noch eine explizite politische Botschaft überzuhelf­en.

Wenn George Clooney versucht, den CoenBrüder­n in Sachen inszenator­ischem Mut nachzueife­rn, fliegt das sofort als Plagiatsve­rsuch auf.

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Foto: Concorde Sie bleiben einem fremd: Sowohl der rassistisc­he Mob als auch die schwarze Vorzeigefa­milie werden als grobe Klischees gezeichnet.

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