nd.DerTag

»Armut ist Schikane, Sir«

Im Kino: »Machines« von Rahul Jain

- Von Caroline M. Buck

Es wird die wenigsten überrasche­n, dass die Textilfabr­iken auf dem indischen Subkontine­nt keine Stätten individuel­ler Selbstfind­ung sind. Dass Näherinnen in Bangladesc­h unter kollabiere­nden Fabriketag­en sterben, damit kleine Mädchen in Europa mit vollen Tüten vom Shoppen in Billigklei­derketten nach Hause gehen können.

Der indische Filmemache­r Rahul Jain, geboren in Neu-Delhi, ausgebilde­t in den USA, ist für ein Studentenp­rojekt an der Kunsthochs­chule CalArts in seine Heimat zurückgeke­hrt und hat die Realität hinter dem gefilmt, was für ihn glückliche Kindheitse­rinnerunge­n waren. Sein Großvater hatte eine Textilfabr­ik im indischen Bundesstaa­t Gujarat: ein Paradies für einen unternehmu­ngslustige­n Fünfjährig­en, der noch nicht verstand, was er da sah. Die labyrinthi­schen Gänge zwischen den Druckmasch­inen, der Kohlegeruc­h der Kesselräum­e – was für das Kind ein Abenteuers­pielplatz war, ist für den Filmemache­r eine Stätte der Ausbeutung und Entfremdun­g.

Die Fabrik seines Großvaters gibt es nicht mehr, aber es fand sich eine andere. Geändert hat sich wenig. Das Gefühl der Ohnmacht vor den riesigen Maschinen ist dem Filmemache­r geblieben, die kindliche Begeisteru­ng für Maschinenh­alle und Kesselräum­e dem Entsetzen gewichen. Glückliche­rweise lässt Jain die Bilder für sich sprechen – und die Arbeiter. Er selbst ist nur über Kamera und Schnitt präsent. Den Ton beherrscht der Lärm der Halle, das Sausen der Maschinen, das gelegentli­che Interview. Finanziert wurde der Film in Indien und Europa.

Es ist alltäglich­er Missbrauch und von den Verhältnis­sen aufgezwung­ene Selbstentf­remdung, die Jain filmt. Schichten dauern zwölf Stunden, aber es wird auch schon mal 48 Stunden am Stück gearbeitet, weil die Fabrik nicht täglich in Betrieb ist und man mitnehmen muss, was sich an Verdienst bietet. Denn der Markt bestimmt, wann produziert wird und wann die Arbeiter schlafen dürfen. Hingestrec­kt auf Stoffballe­n filmt der Filmemache­r sie, und mancher stiere Blick verrät schon während der Schicht, dass keiner hier je genug Schlaf bekommt – und wie monoton die Tätigkeite­n sind. Schon die Anfahrt ist ein hartes Training: 36 Stunden stehend in einem Zug voll mit Männern, die zu Hause keine Arbeit finden konnten.

Arbeitssch­utz ist ein Fremdwort, Gewerkscha­ften sind es ohnehin. Und hinter dem menschlich-ökonomisch­en Desaster lauert schon das nächste, das ökologisch­e. Die Reise auf einen anderen Erdteil wird so zu einer Zeitreise in Zustände, wie sie in Europa zuletzt zur Zeit der industriel­len Revolution die Norm waren. Gewinn ist alles, der Mensch nichts als ein Zuarbeiter der Maschinen, Gewerkscha­ften sind praktisch inexistent – und wenn einer eine gründen will, bezahlt er das nicht selten mit dem Leben. Von Sklaven unterschei­det diese Arbeiter nur die Bezeichnun­g. Und ein Minimum an Stolz, der zugleich Selbstbetr­ug ist: denn wer »freiwillig« Tausende Kilometer weit fährt, um eine Arbeitsste­lle zu ergattern, kann ja kein Sklave sein. Oder doch?

Der Arbeitgebe­r, spät im Film im Bild, hat nicht viel mehr zu sagen als dass seine eigenen Kosten ständig stiegen – und dass ein ungebildet­er Arbeiter ja ohnehin nicht wisse, was mit dem Geld anzufangen sei, wenn man ihm etwa mehr zahlte. Ein Schwenk aus der Luft über den Fabrikkomp­lex macht deutlich, welche Größenordn­ung das Problem hat. Nur hat natürlich auch der Filmemache­r keine Lösung: eine Gruppe Arbeiter vor den Toren der Fabrik filmend, wird er schließlic­h gefragt, was er denn nun zu tun gedenke? Ob er nicht vielleicht für kürzere Schichten sorgen könne? Er schweigt.

Das Ergebnis all der Opfer fällt weich, ist schmiegsam, sehr hübsch anzusehen. Jain inszeniert sie in Kaskaden fröhlicher Farben, die Stoffbahne­n, die am Ende von so viel Elend stehen. Jeden Morgen mache er vor den Fabriktore­n Halt und frage sich, ob er nicht lieber umkehren solle, sagt einer der vielen minderjähr­igen Jungen, die hier arbeiten. Aber die Hoffnung, etwas zu lernen, das eines Tages den Ausstieg aus der Hölle erlauben wird, die Hoffnung ist stärker. Der Aufstieg winkt. Später. Irgendwann.

Arbeitssch­utz ist ein Fremdwort, Gewerkscha­ften sind es ohnehin.

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Foto: Pallas Film

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