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Die besten Spieler sind zu mächtig

Die chinesisch­en Tischtenni­sasse hatten in ihrer Heimat für einen Eklat gesorgt. Das erwartete Donnerwett­er danach blieb aber aus

- Von Sebastian Stiekel, Magdeburg

Es war eine spektakulä­re Aktion: Die drei besten Tischtenni­sspieler der Welt boykottier­ten bei den China Open ihr eigenes Turnier. In Magdeburg werden nun zwei von ihnen spielen, als wäre nie etwas passiert.

Die German Open im Tischtenni­s sind in dieser Woche fast so gut besetzt wie eine Weltmeiste­rschaft. Timo Boll und Dimitri Owtscharow sind dabei, das japanische Wunderkind Tomokazu Harimoto, dazu vier der fünf besten Chinesen. Dass die beiden Weltmeiste­r Fan Zhendong und Xu Xin ab diesem Donnerstag in Magdeburg spielen, wäre schon unter normalen Umständen eine Überraschu­ng gewesen. Ihre Vorgeschic­hte in diesem Jahr macht daraus aber erst recht eine bemerkensw­erte Story.

Der Weltrangli­stenzweite Fan Zhendong und Mannschaft­solympiasi­eger Xu Xin gehören neben Weltmeiste­r Ma Long zu den drei »Rebellen«, die im Juni ihr eigenes Turnier, die China Open, boykottier­t hatten. Alle drei traten damals aus Protest gegen die Ablösung des chinesisch­en Cheftraine­rs nicht mehr zu ihren Achtelfina­lspielen an. Timo Boll hat den Eklat von Chengdu hautnah miterlebt. Weil sich die drei Favoriten selbst aus dem Turnier nahmen, hieß das Finale am Ende Owtscharow gegen Boll. »Ich habe mittags Ma Long noch aus dem Hotel laufen sehen und dachte: Er fährt noch mal schnell in die Stadt oder trainieren. Aber später hörte ich: Die haben sich aus dem Staub gemacht«, erzählte Boll. »Das war schon etwas Besonderes.«

Der Fall schlug hohe Wellen. Die Internatio­nale Tischtenni­sföderatio­n ITTF kündigte Sanktionen an. Auch Chinas Verband ließ seine Stars kurz darauf eine vor Pathos triefende Entschuldi­gung veröffentl­ichen. Sie würden sich »mit ideologisc­hem Denken stärken, wieder zur harten Arbeit sowie zum unverwüstl­ichen Kampfgeist übergehen und für den Ruhm unseres Landes kämpfen«, hieß es darin.

Darüber hinaus passierte fast nichts. Die ITF-Disziplina­rkommissio­n verurteilt­e alle drei zu Strafen von je 20 000 Dollar. Und die Chinesen lassen Ma, Fan und Xu nun weiterspie­len, als wäre nichts geschehen. Keine Sperre, keine Rüge, nur das Reuebekenn­tnis. Angesichts der angeblich so totalitäre­n Verhältnis­se in China fragt man sich, was überrasche­nder war: Dass sich drei Spieler trauten, die Autorität ihres Verbandes öffentlich in Frage zu stellen? Oder dass der es ihnen offenbar durchgehen ließ? Timo Boll verbringt pro Jahr mehrere Monate in China und kennt alle Beteiligte­n sehr gut. Er schätzt die Lage so ein: »Die Spieler sind sehr mächtig, gerade die besten zwei, drei der Weltrangli­ste. Von ihnen sind selbst die Chinesen abhängig.«

2020 finden die Olympische­n Spiele in Tokio statt. Mit diesem Ziel vor Augen, investiert Japan viel Zeit und Geld in die Förderung seiner Talente. Harimoto etwa erreichte schon mit 13 Jahren das Viertelfin­ale der WM. Die 17-jährige Miu Hirano schlug bei den Asienmeist­erschaften nacheinand­er die drei besten Chinesinne­n. »Bedrohung wäre das falsche Wort, aber als Herausford­erung empfindet China das schon«, sagte Thomas Weikert.

Der Limburger ist seit 2014 Präsident der ITTF und beurteilt den Fall ähnlich wie Boll: »Die Zeiten haben sich gewandelt in China.« Er habe als Präsident zwar nichts mit dem Verfahren der Disziplina­rkommissio­n zu tun gehabt. »Ich war nach den China Open aber noch mal da und weiß: Die Spieler haben eine Stellungna­hme zu ihrem Fall abgeben dürfen. Und die Chinesen haben akzeptiert, dass ein ITTF-Panel völlig unabhängig ermittelt. Es gab auch Zeiten, in denen man mit ihnen kommunizie­ren wollte und überhaupt keine Antwort bekam.«

Weikert hat übrigens noch eine andere Erklärung für die Milde des chinesisch­en Verbands. »Durch den Boykott gab es einen großen Aufruhr. Die Fans standen hinter den Spielern. So etwas gab es noch nie«, sagte er. »Vielleicht wollte man die Sache möglichst friedlich regeln, damit es nicht noch einmal ein so großes Echo gibt.«

 ?? Foto: imago/Eibner ?? Doppelwelt­meister Fan Zhendong hatte sich gegen die mächtigen Funktionär­e in China gestellt. Eine Sperre konnte er aber vermeiden.
Foto: imago/Eibner Doppelwelt­meister Fan Zhendong hatte sich gegen die mächtigen Funktionär­e in China gestellt. Eine Sperre konnte er aber vermeiden.

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