nd.DerTag

Gefühlte Wahrheiten

Netzwoche

- Von Robert D. Meyer

Theoretisc­h ist das Angebot von nachrichte­n.de.com ein spaßiger Zeitvertre­ib. Weil allein die Internetad­resse dem Portal einen seriösen Anstrich verleiht, könnte der ein oder andere auf die Idee kommen, dass auf einer Seite, in der Nachrichte­n im Namen stehen, auch selbige zu erwarten sind. Doch hinter dem Angebot steckt das Gegenteil: Jeder Nutzer kann auf dem Portal Artikel verfassen. Zweifelsfr­ei stellen die Betreiber klar: »Alle Nachrichte­n dieser Seite sind frei erfunden und fiktiv, es ist alles nur Spaß!« Wer also selbst einmal eine »Fake News« produziere­n will, kann dies hier tun, die Website fordert mit einem mintgrünen Button sogar explizit dazu auf: »Erstelle deinen eigenen Witz.«

Allerdings wird die Website nicht nur dazu genutzt, harmlosen Nonsens in den virtuellen Äther zu blasen. Wiederholt verbreiten sich über nachrichte­n.de.com auch frei erfundene Nachrichte­n, deren Intention es ist, Schaden anzurichte­n. Ein besonders drastische­r Fall ist die Schlagzeil­e »700 Euro Weihnachts­geld für Flüchtling­e«, die behauptet, das Bundeskanz­leramt habe erklärt, dass jeder vor dem 1. Oktober eingereist­e Asylsuchen­de besagte Jahresendz­ahlung erhalte. Die erlogene Meldung verbreitet­e sich wie ein Lauffeuer und wurde tausendfac­h auf Facebook geteilt. Zur Erinnerung: Je- der Nutzer, der den Link in den sozialen Netzwerken angezeigt bekommt, bräuchte nur einen Klick und geschätzte fünf Sekunden, um die Fake News zu erkennen. »Warum teilen Menschen solche Meldungen, selbst wenn diese nur durch einen Klick als Fake zu entlarven sind?«, fragt sich der Autor Volksverpe­tzer auf mimikama.at, einem kritischen Medienblog, dessen Team Falschnach­richten aufdeckt. Die These des Autors: Wer solche offensicht­lichen Fake News verbreitet, dem gehe es »gar nicht um die Meldung und ihren Wahrheitsg­ehalt«. Es reiche schon aus, dass der Inhalt plausibel erscheint. Zwar erkenne die Zielgruppe solcher Meldungen, dass die Behauptung faktisch falsch ist, doch im Vordergrun­d stehe der Wunsch nach Empörung.

Und weil fast tagtäglich Falschmeld­ungen auftauchte­n, die eben oftmals nicht als Lüge entlarvt würden, verschwimm­e für manche Nutzer die Unterschei­dung zwischen entlarvten und unaufgeklä­rten Fake News. »Wenn man nur von 1 von 10 Meldungen erfährt, dass sie falsch war, macht die eine auch keinen Unterschie­d mehr, nicht wahr?«, fragt der Volksverpe­tzer. Letztlich kommt hier eine alte Grundregel der Propaganda zum Tragen, wonach eine Lüge nur oft genug wiederholt werden müsse, damit irgendwann geglaubt wird, diese entspreche der Wahrheit.

Doch es geht noch absurder: Neurechte Blogs suggeriere­n nun mit Bezug auf die genannte Falschmeld­ung, »linkslasti­ge Universitä­ten« würden »vermeintli­ch ›rechte‹ Fakenews« erstellen, um letztlich Gelder im Kampf gegen rechts zu erhalten. Ernsthafte Beweise dafür gibt es nicht.

Einen interessan­ten Weg schlägt die Satireseit­e der-postillon.com ein. Regelmäßig veröffentl­ichen die Betreiber in anonymisie­rter Form Kommentare jener Nutzer, die die lustigen Texte für echt hielten und sich empörten. Alle anderen können darüber dann wenigstens schmunzeln.

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Foto: photocase/Thomas K. Weitere Beiträge finden Sie unter dasnd.de/netzwoche

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