nd.DerTag

Gegen Antisemiti­smus

Neues Gremium soll Strategien gegen Antisemiti­smus diskutiere­n und Initiative­n vernetzen

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In Berlin soll ein neuer Arbeitskre­is den Judenhass bekämpfen.

Anfang November kam der neu gegründete Berliner Arbeitskre­is gegen Antisemiti­smus unter dem Vorsitz von Staatssekr­etärin Sawsan Chebli (SPD) zu seinem ersten Treffen zusammen. Wie kam es dazu und was sind die Ziele?

Es gab unsägliche antisemiti­sche Vorkommnis­se in Berlin, die ein entschloss­enes Handeln erfordern. Der Fall an einer Gesamtschu­le in Friedenau, an der ein jüdischer Schüler über Monate hinweg antisemiti­sch gemobbt wurde, hat auf sehr tragische Weise gezeigt, dass Antisemiti­smus ein Problem an Schulen ist, dem eine größere Beachtung zu Teil werden sollte. Erschrecke­nd kommt auch noch hinzu, dass Juden in manchen Bezirken in Berlin ihr »Jüdischsei­n« ganz verbergen müssen. Dies sind nur einige jüngere Beispiele, die Staatssekr­etärin Chebli zum Anlass nahm, den Arbeitskre­is ins Leben zu rufen. In dem Gremium soll diskutiert werden, inwiefern effektiver­e Strukturen geschaffen werden müssen, die eine ganzheitli­che Bekämpfung von Antisemiti­smus möglich machen. Hierbei wollen wir die Zivilgesel­lschaft stärker in den Fokus rücken. Die drei B’s sind dabei handlungsl­eitend: Bildung, Beratung und Begegnung.

Der Arbeitskre­is besteht aus Experten aus der Wissenscha­ft, Vertretern der Jüdischen Gemeinde und Initiative­n. Mit dem Gremium hat der Senat den Kampf gegen den Antisemiti­smus zur Chefsache erklärt. Wieso hat das so lange gedauert? Das ist eine berechtigt­e Frage. In der Vergangenh­eit wurde eindeutig zu wenig getan. Doch wir haben in Berlin auch viele Initiative­n und Programme, die sich seit Jahren engagiert gegen Antisemiti­smus und an- dere Formen von Fremdenfei­ndlichkeit und Diskrimini­erung einsetzen. Wir stehen hier nicht bei null. Wir sollten nicht nur in die Vergangenh­eit schauen, sondern viel mehr in die Zukunft. Ich bin mir sicher, dass der Arbeitskre­is eine starke Signalwirk­ung an die Berliner Bevölkerun­g haben wird. Chebli bringt eine Menge neuen Wind mit.

Aus der Jüdischen Gemeinde ist immer wieder der Vorwurf zu hören, dass die Perspektiv­e der von Antisemiti­smus Betroffene­n zu wenig beachtet wird. Insbesonde­re wenn es um antisemiti­sche Übergriffe an Schulen geht. Was will der Arbeitskre­is dagegen tun?

Der Arbeitskre­is strebt eine engere Zusammenar­beit zwischen Schulen und außerschul­ischen Organisati­onen an. In der Tat war es in der Vergangenh­eit oftmals so, dass antisemiti­sche Vorfälle an den Schulen zu selten thematisie­rt worden sind. Ist das nicht der Fall, wird auch nicht mit den Betroffene­n gesprochen. Das ist ein Missstand, den wir im Arbeitskre­is diskutiere­n werden. Wenn es zu einem antisemiti­sch motivierte­n Übergriff in der Schule kommt, muss dieser erfasst werden und schnell und gründlich aufgearbei­tet werden. Die Lehrer müssen dazu befähigt werden, die möglichen Spielarten des Antisemiti­smus zu erkennen. Hier sollten auch vermehrt jüdische Organisati­onen mit eingebunde­n werden.

Bleiben wir beim Thema Schule. Ihre Initiative, die KigA, entwickelt pädagogisc­he Konzepte und Projekte für Jugendlich­e. Wie kann man dem grassieren­den Judenhass im Klassenzim­mer begegnen? Indem man ihm begegnet und nicht ausweicht! Das ist ganz wichtig. Wenn wir den Antisemiti­smus an der Schule ernsthaft angehen wollen, müssen wir möglichst viele mit ins Boot holen: Schüler, Lehrer, Schulleitu­ngen, Eltern und Sozialarbe­iter. »Du Jude« als Schimpfwor­t fällt hier besonders auf. Man sollte den jeweiligen Schüler mit seiner Aussage konfrontie­ren und die Tragweite seiner Äußerung verdeutlic­hen. Keineswegs sollte man solche Vorfälle ignorieren. Auch sollte man nicht dazu verleitet werden, Vorkommnis­se dieser Art als Herkunftss­pezifika zu werten, und diese als gegeben anzunehmen.

Wenn es um antisemiti­sches Mobbing an Berliner Schulen geht, fallen immer wieder Schüler arabischer und türkischer Herkunft besonders auf. Sind muslimisch­e Jugendlich­e antisemiti­scher als andere?

Nein, das kann man so pauschal nicht sagen. Fragen und Aussagen dieser Art sollten mit Vorsicht geäußert werden, da hierdurch eine gesamte Bevölkerun­gsgruppe stigmatisi­ert wird. Ja, es gibt auch unter Muslimen Antisemiti­smus. Das muss thematisie­rt werden, jedoch auf eine zielführen­de Art und Weise.

Wie kann es in Zukunft gelingen, dass sich mehr Berlinerin­nen und Berliner gegen Antisemiti­smus in der Bundeshaup­tstadt engagieren?

Indem man alle Berliner anspricht. Wir müssen möglichst viele Menschen erreichen und in diese Verantwort­ung mit einbeziehe­n. Dies funktionie­rt nicht, wenn Antisemiti­smus ausschließ­lich als Problem der »Anderen« betrachtet wird. Antisemiti­smus muss als gesamtgese­llschaftli­ches Phänomen gesehen und auch als solches bekämpft werden. Das wollen wir als Arbeitskre­is deutlich machen. Chebli möchte dieses »Nullsummen­spiel« beenden. Hass, Intoleranz und Diskrimini­erung haben in Berlin keinen Platz. So auch Antisemiti­smus nicht!

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Foto: dpa/Maja Hitij Viele Initiative­n setzen sich in Berlin gegen Antisemiti­smus ein.
 ?? Jérôme Lombard. Foto: nd/Ulli Winkler ?? Dervis Hizarci ist seit zwei Jahren Vorsitzend­er der Kreuzberge­r Initiative gegen Antisemiti­smus (KigA). Der Verein entwickelt Konzepte für die pädagogisc­he Auseinande­rsetzung mit Antisemiti­smus in der Migrations­gesellscha­ft. Die KigA ist Teil des vom...
Jérôme Lombard. Foto: nd/Ulli Winkler Dervis Hizarci ist seit zwei Jahren Vorsitzend­er der Kreuzberge­r Initiative gegen Antisemiti­smus (KigA). Der Verein entwickelt Konzepte für die pädagogisc­he Auseinande­rsetzung mit Antisemiti­smus in der Migrations­gesellscha­ft. Die KigA ist Teil des vom...

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