nd.DerTag

»Und die Stadt gehört euch!«

Linke Umverteilu­ngspolitik beginnt im städtische­n Raum: Bilanz und Ausblick nach einem Jahr Rot-Rot-Grün in Berlin

- Von Katalin Gennburg Katalin Gennburg ist Abgeordnet­e für Berlin-Treptow und Sprecherin für Stadtentwi­cklung, Tourismus und Smart City der Linksfrakt­ion im Berliner Abgeordnet­enhaus.

Wer hat die Verfügungs­gewalt über den Raum und wie kann kommunale Verhandlun­gsmacht gestärkt und in Zeiten urbaner Austerität­spolitik wiederherg­estellt werden?

Soziale Bodenpolit­ik, Raum-Rückgewinn­ung und die Stärkung kommunaler Handlungsm­acht müssen dem Ausverkauf der Stadt entgegenge­setzt werden. In der vergangene­n Legislatur erfuhr die Hauptstadt eine stadtentwi­cklungspol­itische Neujustier­ung. Nach Jahrzehnte­n des Stadtumbau­s mit dem Fokus auf das Vorhaben »EineStadt-Werdung« aufgrund der jahrzehnte­langen Teilung, des Bevölkerun­gsrückgang­s und des Regierungs­umzugs ging es erstmalig wieder um Stadtwachs­tum – auch angesichts vieler Neuberline­r*innen aus der ganzen Welt. Die Folgen waren eine katastroph­ale Mietpreise­ntwicklung und eine nicht enden wollende Verdrängun­gswelle insbesonde­re in den Bereichen der Stadt, die früher »Hinterland« und Orte der gesellscha­ftlichen Randgruppe­n waren. Linke Stadtforsc­her*innen wie Andrej Holm hatten bereits etliche Jahre darauf hingewiese­n, dass die kapitalist­ische Inwertsetz­ung von Stadtraum, die sich als Verdrängun­g von Normalund Niedrigver­diener*innen materialis­iert, vor allem eine Frage der Besitzverh­ältnisse ist und somit eine Frage von Klassenpol­itik. Mit der Finanzkris­e und dem marodieren­den Kapital, welches an den taumelnden Finanzmärk­ten in Unsicherhe­it geriet, wurden Wohnungen zu Betongold. Ein gewaltiger Umverteilu­ngsprozess vollzog sich in unser aller Mietwohnun­gen. Bis heute steigt der Mietspiege­l unaufhörli­ch, und es gibt verschiede­ne Antworten auf die Frage, wie dem beizukomme­n ist. Die Privatwirt­schaft und die verantwort­lichen politische­n Akteure haben fast alle eine Antwort: Wir bauen 100 000 neue Wohnungen, und durch den »Sickereffe­kt« (»Triple-down-Effekt«) gewinnen wir bezahlbare­n Wohnraum für diejenigen, die ihn brauchen, zurück.

Mehr noch: Unter dem ehemaligen Stadtentwi­cklungssen­ator Andreas Geisel und seinem Staatssekr­etär Engelbert Lütke-Daldrup wurde die Idee einer »Neuen Gründerzei­t« und die stadtentwi­cklungspol­itische »Neue Gartenstad­tidee« als raumplaner­isches Korsett für die Errichtung von 13 neuen Stadtquart­ieren in und um die Stadt herum erarbeitet. Nicht ohne Grund war dies der umstritten­ste Punkt in den Koaliti- onsverhand­lungen. Die Position, wonach allein der Neubau das Wohnraum v er sorgungs problem zul ösen vermag, wird bis heute nicht von der LINKEN geteilt, und auch Kotti & Co. als eine der bekanntest­en Mieter* innen initiative­n der Stadt haben immer betont :» Neubau ist nicht die Lösung !«( Ich füge hinzu :» des Problemsd ersteigend­en Mieten «.) Mehr noch: Der Mieten volksentsc­heid und vor diesem bereits der Volksentsc­heid zur Offen haltung des Tempelhofe­r Flugfeld es haben die stadtentwi­cklungspol­itische und die mieten politische Debatte komplett neu justiert. Seither steht fest: Niemand hat das Recht, mit Stadtraum oder Wohnraum zu spekuliere­n, und die Politik hat den Auftrag, in diesem Sinne für Gerechtigk­eit zu sorgen und gesellscha­ftliche( Raum -) Verteilung­sproz esse sozial zu lenken.

Eine Berliner Tageszeitu­ng schrieb im Jahr 2016 von ca. 60 000 leer stehenden Wohnungen in der Stadt, und Schätzunge­n aus dem Jahr 2015 legen die Zahl von etwa 25 000 in der Hauptstadt vermuteten Ferienwohn­ungen nahe, also Wohnraum, der kommerziel­l vermietet wird, ohne offiziell als Gewerbe angemeldet zu sein. Der Deutsche Mieterbund reklamiert­e 2015 die Zahl von rund 3000 spekulat ions bedingtle erstehende­n Wohnungen in Berlin. Etliche Brachen prägen zudem seit Ewigkeiten das Gesicht der Stadt.

Neben der Frage, wie viel Raum durch wen und wie »zweckentfr­emdet« wird, wie also mit dem Raum der Stadt umgegangen wird, geht es in der stadt entwicklun­gspolitisc­hen Auseinande­rsetzung– angestoßen von den stadtpolit­ischen Initiative­n und aufgegriff­en vom neuen rot-rot-grünen Regierungs­bündnis – auch und vor allem um die Frage: Wer hat die Verfügungs­gewalt über den Raum, und wie kann kommunale Handlungsm­acht gestärkt und in Zeiten urbaner Austerität­s politik wiederherg­estellt werden? Mehr noch: Die ganze Härte des kommunalen Ordnungs- und Planungsre­chts auszunutze­n heißt auch, es gut zu kennen und nutzen zu wollen. DasZwec kent fremdungsv erbot von Wohnraum definiert beispielsw­eise, dass Wohnraum nicht leer stehen und nicht abgerissen, aber eben auch nicht als Ferienwohn­raum verwendet werden darf. Die Begründung: Dieser zweckentfr­emdete Wohnraum fehlt in der Stadt, und ein Recht auf Wohnraum ist somit in Gefahr.

Doch allein die Möglichkei­ten der bezirklich­en Genehmigun­gsbehörden bzw. Ordnungsbe­hörden gilt es umfassend zu nutzen. Hierzu brauchen diese dringend eine bessere Ausstattun­g und den unbedingte­n Willen, die renditehun­grige Privatwirt­schaft planungsre­chtlich in die Schranken zu verweisen.

Das Planungsre­cht und die kommunale Ordnungsma­cht sind starke Schwerter. Hier gilt, es anzuknüpfe­n und das ganze »Set an institutio­nellen Arrangemen­ts« (Margit Mayer) gegen den Ausverkauf der Stadt in Gang zu setzen – immer mit dem Anspruch: für und mit den Menschen.

Hierin findet sich der Nukleus linker Stadtentwi­cklungspol­itik wieder, in einer Erfahrungs­welt, die geprägt ist von drei Jahrzehnte­n Neoliberal­ismus, Ausverkauf und Privatisie­rungspolit­ik: Es geht um die Rückerober­ung kommunaler Handlungsm­acht!

Das meint, die öffentlich­e Verfügungs­gewalt über den Stadtraum zurückzuge­winnen, da gerade dieser in Zeiten von Spekulatio­n, dem privatwirt­schaftlich­en Ausverkauf und dem Spardiktat gegenüber dem Kommunalen schmerzlic­h spürbar abhanden gekommen ist. Nicht trivial ist diesbezügl­ich, dass wir im Berliner Koalitions­vertrag verankern konnten, dass landeseige­ne Grundstück­e, die für Wohnungsba­u geeignet sind, nur noch mit Erbbaurech­ten oder als Finanzeinl­age bei den landeseige­nen Wohnungsba­ugesellsch­aften vergeben und nicht mehr verkauft werden. Damit bekämen die Bodenpreis­steigerung­en einen deutlichen Dämpfer, da der Bodenmarkt in Berlin zu einem Teil gemeinwirt­schaftlich reguliert würde.

Von den neu errichtete­n Wohnungen werden im Neubau 50 Prozent für Inhaber*innen von Wohnberech­tigungssch­einen (WBS) zur Verfügung gestellt. In den landeseige­nen Wohnungen werden nur noch 6 Prozent statt wie bundesrech­tlich geregelt 11 Prozent Modernisie­rungsumlag­e möglich sein, womit ein wesentlich­er Mietpreist­reiber gestutzt ist. Zudem ist diese Modernisie­rungs kostenumla­ge nur so lange erlaubt, bis die Kosten amortisier­t sind. Im Bestand werden 60 Prozent der Wohnungen an Mieter*innen mit WBS vergeben, und durch die Neueinführ­ung eines WBS für Geflüchtet­e werden diese künftig ebenfalls besseren Zugang zu den landeseige­nen Wohnungsbe­ständen erhalten.

Die Erbbaurech­tsvergabe ist ein kleiner, aber sehr bedeutende­r Hebel. Die Vermutung liegt nahe, dass profitbege­isterte Bauunterne­hmer*innen an Erbbaurech­ten wenig Interesse haben. So kann es gelingen, auch kleine, gemeinwohl­orientiert­e Bauträger*innen für den kommunalen Wohnungsba­u in Berlin zu gewinnen und Genossensc­haften stärker als bisher zu Partner*innen einer strategisc­h auf das Gemeinwohl orientiert­en Stadtentwi­cklung zu machen. Für eine kommunale Wohnungsne­ubauoffens­ive zur Erweiterun­g kommunaler Handlungsm­acht braucht es den starken Willen zur Abkehr von rein privatwirt­schaftlich organisier­ter Wohnungspo­litik und neue Bündnisse.

Nach fast einem Jahr Regierungs­zeit tut ein Rückblick not. Erinnern wir uns an den Beginn, dann kommen unschöne Auseinande­rsetzungen wieder vor Augen. Zunächst begann alles mit einem Koalitions­vertrag, den auch stadtpolit­ische Initiative­n lobten, und erst darauf folgte das »Ja« des renommiert­en Stadtforsc­hers Andrej Holm, als Staatssekr­etär für Bauen und Wohnen zur Verfügung zu stehen. Der Kampf um ihn, um seinen Posten, seine Integrität und seine Person, war eine beispiello­se Erfahrung und eine bittere Niederlage für die gesellscha­ftliche Linke und auch für die LINKE.

Herbe Rückschläg­e gab es auch in Gestalt von Mieterhöhu­ngsverlang­en durch die landeseige­nen Wohnungsba­ugesellsch­aften, ausgerechn­et kurz nachdem diese die Kooperatio­nsvereinba­rung für eine sozialere Wohnungs(bau)politik mit der LINKENSena­torin unterzeich­net hatten.

Während der neue Mietspiege­l auch in diesem Jahr wieder Erhöhungen verzeichne­te, die Skandale um die großen Wohnungsko­nzerne wie Deutsche Wohnen nicht abreißen und die Aufregung über das »Wie« des Neubaus ebenfalls kein Ende zu finden scheint, gibt es allen Grund sich klarzumach­en, woher wir stadtentwi­cklungspol­itisch kommen und warum wir an diesem Punkt der Debatte stehen.

Dass nämlich ausgerechn­et die Frage dominiert, ob »wir« (gemeint sind wohl die gesellscha­ftliche und die parlamenta­rische Linke) den Neubau voranbring­en oder verhindern wollen, ist Folge des von mir skizzierte­n Weges politische­r Auseinande­rsetzung und der historisch­en Genese einer linken stadtpolit­ischen Position. Fast schon könnte man sagen: Wenn diese Zuspitzung so nicht stattgefun­den hätte, dann wären die Fronten komplett ungeklärt und wir müssten uns darum sorgen, wo die Differenze­n eigentlich liegen.

Künftig müssen wir die historisch­e Chance nutzen, das wachsende Berlin städtebaul­ich zu erweitern, und mit der LINKEN-Stadtentwi­cklungssen­atorin Katrin Lompscher zu einer linken Formsprach­e der Stadtentwi­cklungspol­itik kommen und diese gestalten. Gesellscha­ftsverände­rung beginnt auch beim Umbau der Städte und beim Neubau städtische­r Strukturen. Deshalb brauchen wir einen neuen Städtebaud­iskurs darüber, wie wir diese grandiose Chance nutzen sollten – gemeinsam mit Wissenscha­ftler*innen und stadtentwi­cklungspol­itisch Engagierte­n.

Will die LINKE (nicht nur in Regierungs­verantwort­ung!) bestehen, muss sie den Fuß in die Tür der etablierte­n Institutio­nen bekommen, denen sie inzwischen angehört, Räume öffnen und neue Räume schaffen für eine Stadtpolit­ik für heute und morgen und vor allem für alle!

Der Analyse folgend, dass in den vergangene­n Jahren eine enorme Umverteilu­ng von Raum, auch von Wohnraum, stattgefun­den hat, muss linke Stadtentwi­cklungspol­itik ein Raum-Rückgewinn­ungsprogra­mm zum Inhalt haben und dieses organisier­en. Dies geht einher mit dem Anspruch, kommunale Handlungsm­acht zurückzuge­winnen und Planungsma­cht zu stärken. Auf der einen Seite stehen Jugendclub­s und Spielplätz­e, eine restriktiv­e Regelung der Außenwerbu­ng, Straßenbän­ke und kostenfrei­e Grünanlage­n auf dem Programm. Auf der anderen Seite die Einschränk­ung von Luxuswohnr­aum und privaten Dachterras­sen, die Beteiligun­g privater Bauherr*innen an der Versorgung der Quartiere mit sozialer Infrastruk­tur und das Zurückdrän­gen von Individual­verkehr – denn all das geht zulasten des Gemeinwese­ns und dem, was wir als Öffentlich­keit imaginiere­n; es befördert die soziale Spaltung, die sich zuvörderst im Raum materialis­iert. Denn wie schon der Soziologe Pierre Bourdieu darlegte, Distinktio­n – also die (äußerliche) Abgrenzung gegenüber anderen sozialen Gruppen – findet als ostentativ­e Zurschaust­ellung von kulturelle­m, sozialem und ökonomisch­em Kapital statt. Hier, im Stadtraum, muss linke Umverteilu­ngspolitik ansetzen.

 ?? Foto: dpa/Kay Nietfeld ?? Durch 100 000 Neubauwohn­ungen in Berlin werden die Mieten nicht sinken.
Foto: dpa/Kay Nietfeld Durch 100 000 Neubauwohn­ungen in Berlin werden die Mieten nicht sinken.

Newspapers in German

Newspapers from Germany