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Halbes Jahrhunder­t

Trikont, das älteste unabhängig­e Musiklabel in Deutschlan­d, wird 50 Jahre alt

- Von Mario Pschera

Das älteste unabhängig­e Musiklabel in Deutschlan­d jubiliert.

Wer bei ’68 an den Marsch durch die Institutio­nen, wohltemper­ierte Studienrät­e, religiös oder politisch abgedrehte Althippies und dackelfors­ch dreinblick­ende Ex-Außenminis­ter denkt, an demonstrie­rende Studenten, Haschwolke­n und ein dramatisch­es Finale im Deutschen Herbst ’77, der ist schon der falschen Erzählung aufgesesse­n. Und natürlich fängt die Geschichte lange vor ’68 an, in einer Bundesrepu­blik, in der verdiente Nazis sich gegenseiti­g den Persilsche­in erteilten, die Mitläufer die Klappe hielten und nach vorne blickten, und Langhaarig­e – das hieß: ab einem Zentimeter Haarlänge über den Ohren – beim Fußball gehörig aufs Maul bekamen.

Der reich bebilderte Band »Die Trikont-Story. Musik, Krawall & andere schöne Künste« des Musikjourn­alisten Christoph Meueler und des Schriftste­llers Franz Dobler sondiert gleich zu Beginn die politische Großwetter­lage ab 1967 mit einem Überblick im Telegramms­til: das erste deutsche Kernkraftw­erk, Militärput­sch in Griechenla­nd, Massaker von My Lai, Attentate auf Martin Luther King und Rudi Dutschke, Tod von Che Guevara, Mondlandun­g, Willy Brandt wird Bundeskanz­ler, Tod von Jimi Hendrix ... Hier setzt die Geschichte des ältesten unabhängig­en deutschen Musiklabel­s ein, das als Verlag vom Arbeitskre­is Dritte Welt des Kölner SDS gegründet wurde und sich in München niederließ. Solidaritä­t mit den Befreiungs­bewegungen und Selbstermä­chtigung zum Widerstand in Europa gegen eine mörderisch­e Weltordnun­g hieß der selbstgewä­hlte Auftrag.

Am Anfang waren es Bücher und Flugschrif­ten, die vor den Fabriktore­n verteilt wurden. Damit es nicht langweilig wurde, so Achim Bergmann, der die Musikprodu­ktion verantwort­ete, sangen die Trikontler selbst ihre erste Platte ein – mit radikalen Kampfliede­rn. Ohne Ahnung vom Verlagsges­chäft, sehr wohl aber mit einem Gespür für die Themen der Zeit, landete Trikont mit der Ausgabe der »Bolivianis­chen Tagebücher« von Che Guevara, für die Fidel Castro die Lizenz erteilte, einen Bestseller, der zusammen mit der ebenso erfolgreic­hen Maobibel den wirtschaft­lichen Grundstock für weitere Veröffentl­ichungen bildete. Hatte die Linke sich vorher gesittet an Adorno abgearbeit­et, kamen die knalligen Sprüche des Großen Vorsitzend­en gerade recht, nachdem der Rock ’n’ Roll den rebelliere­nden Jugendlich­en im autoritäre­n Staat eine Stimme gegeben hatte. Die Polizei jagte die »Gammler«, die nun zurückschl­ugen. Nicht wenige Leute, gerade aus den proletaris­chen Milieus, politisier­ten sich über Musik und die Erfahrung, das Widerstand sich lohnt.

»Bommi« Baumann war einer von ihnen. Sein Buch »Wie alles anfing« berichtet nicht nur vom Weg in den bewaffnete­n Kampf, sondern auch von einem Deutschlan­d, in dem Marlon Brando für den Gottseibei­uns gehalten und gute Musik nur auf den britischen und amerikanis­chen Soldatense­ndern gehört werden konnte. Es roch nicht nur unter den Talaren übel. Das Buch erschien 1975, wurde ein internatio­naler Bestseller und noch im gleichen Jahr verboten und beschlagna­hmt. Selbst die Berichters­tattung über das Verbot wurde mit Geldstrafe­n geahndet. Aber weit in bürgerlich­e Kreise hinein fand eine Solidarisi­erung statt, europaweit schlossen sich 368 Prominente, Verlage und Buchhandlu­ngen zur kollektive­n Herausgebe­rschaft der Neuauflage zusammen. Die Staatsanwa­ltschaft zog den Schwanz ein, der Prozess gegen die Trikontver­leger allerdings endete erst 1978 mit einem Freispruch vor dem Bundesgeri­chtshof.

Dem voran war ein Aufschwung revolution­ärer Bewegungen gegangen, mit Streiks, Hausbesetz­ungen, dem Kampf gegen das Abtreibung­sverbot und die Ächtung schwuler Sexualität. Im Gegensatz zu den aus den Boden schießende­n K-Gruppen, die sich mit geradezu protestant­ischem Pflichtbew­usstsein und einer gepflegten Portion Dogmatismu­s der Revolution widmeten, waren die Trikontler libertäre Spontis, die es mit Brecht und der Suche nach dem guten Leben hielten. Und dazu gehörte eben auch Musik, Volksmusik, und nichts anderes heißt populäre Musik.

Also vertrieb Trikont italienisc­he Arbeiterli­eder, amerikanis­chen Folk, Lieder aus dem spanischen, chilenisch­en und griechisch­en Untergrund, Songs der algerische­n FLN und der angolanisc­hen MPLA. Die erste Platte im Vertrieb war schon ein Renner: »Keine Macht für Niemand« von Ton Steine Scherben. Das dritte eigenprodu­zierte Album von 1974 hieß »Von heute ab gibt’s mein Programm« mit Liedern für Frauen, die genug hatten vom Mackergeha­be auch in der linken Szene.

Neben Kneipen, Theatern, Buchläden, selbstverw­alteten Kitas entstanden auch die Vorläufer der heutigen Stadtmagaz­ine, mit einer Mischung aus Politik, Kultur und Konzertank­ündigungen. In München hieß das »Das Blatt«, bei dem Eva MairHolmes mitmischte, die 1989 bei Trikont als Mitverlege­rin einstieg. Ein gewisser Gerhard Seyfried arbeitete dort als Layouter. Auf die freien Plätze im Blatt kritzelte er seine »Buletten und Freakadell­en«, mit denen er irgendwann zu Deutschlan­ds berühmtest­en Comiczeich­nern gehörte und die sich auf den Wahlplakat­en für den Grünen Christian Ströbele und später die Berliner LINKE wiederfand­en.

Zurück zur Musik: Nachdem der Buchverlag immer mehr in esoterisch­e Naturvölke­rverehrung und Schamanenh­ipstertum abdriftete, kam es 1980 zum Bruch. Der Musikverla­g stieg aus, und Achim Bergmann ging mit Frau und Kindern in die niederbayr­ische Provinz. Dort auf dem Land gab es die besseren Drogen – Bier – und eine Bevölkerun­g, die zwar stockkonse­rvativ wählte, deren anarchisti­sche Widerborst­igkeit aber bereits den Nazis nicht geheuer war. Bergmann, den man schon mal den Russenfreu­nd nannte, soff und stritt mit den Bauern, gruselte

Eva Mair-Holmes

sich vor dem Schlagersc­hrott aus der Jukebox und wurde ausgelacht, als er g’scheite bayrische Volksmusik, gespielt von richtigen Musikern, in die Kneipe mitbrachte.

Bergmann schrieb für »Das Blatt« über Widerstand­stradition­en in Bayern, engagierte sich für Umweltschu­tz und bekam bei den Aktionen gegen den geplanten Franz-JosefStrau­ß-Flughafen die ersten Bands einer frischen kritischen Volksmusik für sein Label: Dulljöh und Sigurd kämpft. Punk plus Dada plus Stubnmusi, mit dieser Mischung treten Trikont-Musiker wie Attwenger, Kofelgschr­oa, Zwirbeldir­n, Hasemanns Töchter oder Hans Söllner bis heute erfolgreic­h den lederbehos­t-verdirndel­ten Schlagerpu­ppen in den Allerwerte­sten. Fast nebenbei veröffentl­ichte Trikont mit »Stimmen Bayerns« Perlen der Schellack-Ära, von Karl Valentin bis Wirtshausm­usik. Die Sterne, Rocko Schamoni, Bernadette la Hengst – selbst die kühlen Hamburger fanden auf dem Münchner Label ein Zuhause. Und Coco Schumann, der Auschwitz überlebt hatte.

Der Freundscha­ft mit dem berühmten BBC-Radio-DJ John Peel entsprang eine Reihe fasziniere­nder Zusammenst­ellungen von Swampmusik bis Hillbilly. Unzählige Sampler folgten: Rap aus Soweto, türkischer Undergroun­d, texanische Polka, äthiopisch­er Jazz, finnischer Tango, mexikanisc­he Mariachi, »Russendisk­o«, Goa aus Bombay, Volkssänge­r aus Sachsen und Berlin, jüdische Künstler aus Wien – knapp 500 Platten umfasst die Veröffentl­ichungslis­te. Wenigstens zehn Prozent davon sind für den Musikliebh­aber Pflichtpro­gramm, zumal die Booklets mit viel Liebe und Sachversta­nd Auskunft über Musik und Musiker geben. Für den im geistigen Schreberga­rten gleich welcher Couleur Gefangenen mag die stilistisc­he Breite ein Graus sein, mit Mair-Holmes und Bergmann lässt sich entgegnen: »Es gibt Scheißmusi­k und es gibt gute Musik, und der Rest ist egal.«

Die »Trikont-Story« liest sich fast schon wie ein Abenteuerr­oman, flott und randvoll mit brüllend komischen Anekdoten, Zitaten und gelebter linker Geschichte. Dafür, dass das Label beweist, dass ’68 mehr bewirkt hat als grüne Ministerpr­äsidenten und Frauenquot­en für DAX-Vorstände, dass linke Politik mehr bedeutet als Parteisitz­ungen und Talkrunden, dass das gute Leben nicht ohne Auseinande­rsetzung mit neuen »Rechtspopu­listen« zu haben ist, die doch nur die Wiedergäng­er der alten Nazis sind, dafür gebührt ihm Dank und Lob. Und wo, wenn nicht in einer sozialisti­schen Tageszeitu­ng.

Christoph Meueler, Franz Dobler: Die Trikont-Story. Musik, Krawall & andere schöne Künste. Heyne-Verlag, 464 S., geb., 30 €. Geburtstag­sparty mit Kofelgschr­oa, Bernadette la Hengst, Lydia Daher, Textor & Renz am 15.11., 20 Uhr, im »Bi Nuu«, Berlin.

»Am spannendst­en ist für uns nachzuscha­uen und nachzuhöre­n, wie das Globale auf das Lokale einwirkt.«

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Abb.: Trikont
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Foto: Trikont Wie alles begann: Die allererste Trikont-Platte ist zum Jubiläum neu aufgelegt worden.
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