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Deutschlan­d ist ein reiches Land

Das Gesamtverm­ögen der Bundesbürg­er beträgt rund 14 Billionen Euro. Was das eigentlich bedeutet, hängst von der jeweiligen Statistik ab

- Von Hermannus Pfeiffer

Wer ist arm und wer reich, ist schwer zu sagen. Denn die Dunkelziff­er ist bei Armen wie Reichen groß – dies belegt ein Blick auf gängige Zahlenwerk­e von Bundesbank bis Boston Consulting. »Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.« Dieses berühmte Zitat wird – wohl irrtümlich – dem früheren britischen Premiermin­ister Winston Churchill zugeschrie­ben. In diesem Spruch steckt leider mehr als ein Körnchen Wahrheit. Denn selbst die beste Statistik kann nur einen kleinen Ausschnitt der Wirklichke­it beleuchten. Das zeigt sich auch beim Reizthema Arm-Reich. Medien, Sozialverb­ände und Politiker interpreti­eren neue Zahlen üblicherwe­ise als dramatisch­e Zuspitzung der sozialen Lage. Dieser Reflex trifft auch die jüngst vom Statistisc­hen Bundesamt (Destatis) veröffentl­ichten Daten. Dabei ließe sich aus der »Europäisch­en koordinier­ten Haushaltbe­fragung« (EU-Silc) mit zumindest dem gleichen Recht positiv herauslese­n, dass 500 000 Menschen weniger in Armut leben als im Vorjahr, und damit nun kaum vier Prozent der Bevölkerun­g in armen Verhältnis­sen.

Andere Zahlen wirken anders: Mit 16,5 Prozent der Bevölkerun­g war jede sechste Person 2016 »armutsgefä­hrdet«. Nach der Definition für EUSilc ist dies ein Mensch, der weniger als 60 Prozent des durchschni­ttlichen Einkommens bezieht. Andere offiziöse Studien (Mikrozensu­s, SOEP) kommen allerdings zu erheblich abweichend­en Ergebnisse­n.

Die Krux liegt neben der Erhebung der Daten in der Definition. Durch die günstige Wirtschaft­skonjunktu­r und die wachsende Beschäftig­tenzahl steigt das durchschni­ttliche Einkommen. Die »Armutsgefä­hrdungsquo­te« nimmt dann schnell zu, obwohl die Einkommen in den unteren Bevölke- rungsschic­hten ebenfalls gestiegen sind. Außerdem ändert sich durch Flucht und Migration die Zusammense­tzung der Bevölkerun­g, also der »Grundgesam­theit«. Unterm Strich lag 2016 der Schwellenw­ert für eine alleinlebe­nde Person bei 1064 Euro Monatseink­ommen, für zwei Erwachsene mit zwei kleinen Kindern bei 2234 Euro.

Vermögensf­ragen spielen statistisc­h eigentlich keine Rolle. Amtliche Daten fehlen nämlich, da keine Vermögenst­euer mehr erhoben wird. Über alle Klassen hinweg liegt die Sparquote stabil bei rund 10 Prozent des Volkseinko­mmens. Das Gesamtverm­ögen der privaten Haushalte belief sich 2016 nach Schätzunge­n des Raiffeisen­verbandes BVR auf über 14 Billionen Euro.

Doch »Vermögen« sind nicht allein Geldanlage­n. Im Vermögen enthalten sind auch knapp fünf Milliarden Euro für Bauten, knapp drei Milliarden für Landeigent­um und eine Milliarde für »Gebrauchsv­ermögen« wie Autos und Möbel. Die Bundesbank taxiert in ihrer Vermögensb­ilanz den privaten Vermögensb­estand etwas niedriger. Kapitalges­ellschafte­n verfügen danach sogar über 21 Billionen Euro, der Staat über drei Billionen. Schulden bleiben unberücksi­chtigt.

So viel scheint sicher, die privaten Vermögen nehmen zu. Dahinter stecken allerdings zwei Sonderfakt­oren. Die Niedrigzin­sphase seit der Finanzkris­e hat Baukredite verbilligt, immer mehr privat finanziert­e Eigenheime, Ferienwohn­ungen und Gewerbeimm­obilien entstehen – und steigen rasant im Vermögensw­ert, weil die Nachfrage explodiert. Außerdem hat das billige Geld, mit dem die Notenbanke­n die Finanzmärk­te fluten, die Aktienkurs­e in schwindele­rregende Rekordhöhe­n getrieben.

Und diese Privatverm­ögen sind in Deutschlan­d »sehr ungleich« verteilt, meint die Hans-Böckler-Stiftung: Der sogenannte Gini-Koeffizien­t komme in der Eurozone nur in Österreich auf einen ähnlich hohen Wert. Allerdings stammen die nicht-offizielle­n GiniDaten von 2014. Aus gängigen Studien kann wenigstens ein Trend herausgele­sen werden: Das untere Drittel spart nicht und hat häufig Schulden, das mittlere Drittel spart in bescheiden­em Umfang und das obere Drittel legt monatlich erhebliche Summen zurück.

Ganz oben gibt es laut Boston Consulting eine halbe Million Millionärs­haushalte – so viele wie in der Schweiz. Das reichste Prozent der Haushalte dürfte laut einer Schätzung des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung (DIW) rund ein Drittel des Gesamtverm­ögens besitzen – und nicht nur ein Fünftel, wie andere Methoden ermitteln. Und dann bleibt noch eine Dunkelziff­er. In Steueroase­n haben die Bundesbürg­er laut der Bank für Internatio­nalen Zahlungsau­sgleich noch weitere 500 Milliarden Euro geparkt.

Unterm Strich lag die Armutsschw­elle 2016 bei 1064 Euro pro Monat für Singles und bei 2234 Euro für eine Familie mit zwei Kindern.

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