nd.DerTag

Einwanderu­ng und Ausgrenzun­g

Uwe Kalbe zur Debatte der LINKEN über einen angemessen­en Umgang mit Migranten und eigenen Genossen

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Die LINKE muss sich wieder den Vorwurf populistis­cher Debatten gefallen lassen. Sie plage sich mit den an rechtem Populismus angelehnte­n Vorstellun­gen Oskar Lafontaine­s herum, die zu allem Überfluss auch Sahra Wagenknech­t vertritt, die Medienikon­e der Partei. Heuchleris­cher geht es kaum. Die Vorwürfe klingen so, als ob nicht ein großer Teil der Gesellscha­ft und vor allem: der größte Teil der »kritischen Beobachter« den Vorwurf teilten, die LINKE pflege lebensfrem­de Vorstellun­gen, was ihre Haltung zu Flüchtling­en angeht. Im Parteiprog­ramm steht der Satz: »Wir fordern offene Grenzen für alle Menschen.« Sahra Wagenknech­t nennt das einen Satz für die Zukunft, nicht die Gegenwart. Und in der Gegenwart? Welcher Satz wäre da richtig?

Das Problem ist, dass es keinen Satz gibt, der eine Begrenzung der Zuwanderun­g als politische­s Ziel beschreibe­n könnte, wie Oskar Lafontaine sie unumwunden fordert, und trotzdem in ein linkes Programm passen würde. Doch ist Lafontaine­s Befund deshalb falsch? Er nennt Einwanderu­ng eine soziale Frage und den Ruf nach offenen Grenzen eine »zentrale Forderung des Neoliberal­ismus«. Beides ist richtig. Doch eine eigene Haltung zur Frage der Einwanderu­ng ist das noch nicht. Zudem: Asyl und Flüchtling­e immer wieder in Debatten zur Einwanderu­ng zu streuen, ist entweder bewusste Anbiederun­g an Argumente der Rechten oder mangelnde Trennschär­fe. Lafontaine nennt es sozial gerecht, Menschen in Flüchtling­slagern zu helfen, statt sie hier aufzunehme­n – den mitschwing­enden Vorwurf, es kämen in Deutschlan­d ja bessergest­ellte Flüchtling­e an, die ihre Schlepper bezahlen konnten, hat er schon direkt ausgesproc­hen.

Auch wenn Lafontaine wie Wagenknech­t – so wie jeder ihrer Kritiker in der Partei – das Recht auf Asyl, die Pflicht Deutschlan­ds zur Aufnahme von Menschen in Not betonen: Hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Kriegsflüc­htlinge sind Menschen in Not. Arme und Ärmere, Drangsalie­rte und Drangsalie­rtere gegenüberz­ustellen, hilft nicht weiter und lenkt ab von den Ursachen. Auch die »Bewahrung« einheimi- scher Prekarisie­rter vor zuwandernd­en Prekarisie­rten, die Lafontaine indirekt fordert, ist eine hochproble­matische Position. Sie dürfte nicht die zur AfD abgewander­ten Wähler zurückhole­n, sondern helfen, die Position der Rechten zu stärken.

Dennoch ist es kein Verrat an linken Ideen festzustel­len: Zuwanderun­g ohne Begrenzung kann zum Problem werden. Und wenn allein die gesetzgebe­rische wie die Entwicklun­g der öffentlich­en Meinung seit 2015 dies bewiese – dem Jahr der angebliche­n Flüchtling­skrise, die erst durch den Vormarsch der Rechten und die hysterisch­en Reaktionen der etablierte­n Politik zu einer solchen wurde. Nicht zu einer Flüchtling­s-, sondern zu einer Krise der Menschlich­keit.

Die Linke, und nicht nur die Partei dieses Namens, hat ein anderes Problem. Sie hat das Problem, die Gerechtigk­eit nicht herstellen zu können, die Voraussetz­ung wäre, ihre Forderunge­n nach einem menschlich­en Umgang – auch mit Flüchtling­en – ohne Einschränk­ungen umzusetzen. Die Verteidigu­ng des Flüchtling­sschutzes ist folgericht­ig die vordringli­che Mission der gesellscha­ftlichen Linken geblieben. Und in der Linksparte­i wurde ein Einwanderu­ngsgesetz bisher vehement abgelehnt – als Einfallsto­r für die Ideologie der Arbeitskra­ftverwerte­r, die Migranten per Punktesyst­em auf einer Skala der Nützlichke­it einsortier­en.

Der Vorschlag zu einem solchen Gesetz, den Linkspolit­iker ostdeutsch­er Landtage unterbreit­et haben, hebt sich von dieser Art Koordinate­nsystem jedoch deutlich ab. Um Asyl und Einwanderu­ng tatsächlic­h zu harmonisie­ren, in Bewegungsf­reiheit als Haltung, sind beide Teil des Entwurfs geworden, ebenso wie ein erneuertes Staatsange­hörigkeits­recht. Der ambitionie­rte Ansatz bleibt dennoch beim programmat­ischen Ziel der (im Prinzip) offenen Grenzen. Deshalb wohl kritisiert Sahra Wagenknech­t ihn als realitätsf­ern. Sie findet, »Linke sollten sich bemühen, seriöse Vorschläge zu machen«. Sie sagt das womöglich mit Blick auf eine Regierungs­tauglichke­it der LINKEN. Ihr Beispiel einer seriösen Forderung – Einstellun­g der Rüstungsex­porte, um Fluchtursa­chen zu bekämpfen – ist jedenfalls keine Alternativ­e, sondern zusätzlich­es Ziel. In einer Regierung wäre es ähnlich schwer zu bewahren. Ein Einwanderu­ngsgesetz der LINKEN verdient es erst recht, dass man sich mit ihm auseinande­rsetzt und die Linksparte­i eine Position dazu findet.

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Foto: Camay Sungu Uwe Kalbe ist Redakteur im Ressort Politik/Wirtschaft bei »neues deutschlan­d«.

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