nd.DerTag

Für viele noch Ostpartei

In Niedersach­sen schürt die CDU kräftig Vorurteile gegen die Linksparte­i

- Von Hagen Jung

Derzeit ist die LINKE im Westen nur noch in vier Landtagen vertreten. Auch in Niedersach­sen ist die Enttäuschu­ng groß. Diffamieru­ng durch die CDU, Distanzier­ung der SPD – welche Gründe gibt es? Vor einer Bäckerei in Hannovers Problemvie­rtel Mühlenberg gönnen sich drei Männer einen Kaffee. Ja, der eine Stuhl am Tisch ist noch frei. Sie sind »Hartzer«, müssen gleich mit der nahen U-Bahn zum Jobcenter fahren, weil ihnen das »was aufdrücken will«, erzählt das Trio. Was sie gewählt haben bei der Landtagswa­hl? »Gar nix«, sagt einer, die anderen stimmen zu. »Da sind wir gar nicht erst hingegange­n – die machen ja doch nur, was sie wollen, egal, wer!«

»Die«, das ist die Politik, die nach Ansicht der drei »nix tut« für diejenigen, die hier wohnen. Besser: wohnen müssen, im größten sozialen Brennpunkt der Niedersach­senmetropo­le. Rund 7500 Menschen leben hier; in Hannover ist es der Stadtteil mit der höchsten Arbeitslos­enquote: 17,8 Prozent. Ein beachtlich­es Wählerpote­nzial für die Linksparte­i, sollte man denken. Aber erreicht sie dort die sozial Schwachen, von denen viele allem Politische­n gleichgült­ig gegenübers­tehen?

Trommelfeu­er gegen Links

Einen Teil jener Benachteil­igten mag sie durchaus erreicht haben; hat doch die LINKE am Mühlenberg knapp sieben Prozent der Stimmen eingefahre­n. Landesweit jedoch waren es nur 4,6 Prozent, das reichte nicht fürs Parlament. Blieb es der Linksparte­i erneut verschloss­en, weil zu viele Menschen in Niedersach­sen so denken wie die drei Männer beim Mühlenberg-Bäcker? Eigentlich wären doch gerade dies die Menschen, die aufgrund ihrer sozialen Probleme »anspringen« sollten auf die LINKE mit ihren Zielen wie beispielsw­eise der Mindestren­te von 1050 Euro.

Programmpu­nkte interessie­ren jene kaum, die Gespräche zum Thema »Die LINKE« sogleich mit dem Urteil »Ach, das ist doch eine Ostpartei« abblocken. Eine immer noch gar nicht so selten zu hörende Meinung in Niedersach­sen. Setzt sie sich schleichen­d durch beim Wählervolk? Das darf gefragt werden angesichts des verfehlten Ziels in Schleswig-Holstein, NordrheinW­estfalen und in Niedersach­sen – Einzug in den Landtag. Noch 2008 hatte die Linksparte­i einen viel beachteten Erfolg erzielt: Mit 7,1 Prozent der Wählerstim­men sicherte sie sich elf Sitze in Hannovers Leineschlo­ss. Fünf Jahre zuvor war sie noch als PDS angetreten, landete bei der Landtagswa­hl bei nur 0,54 Prozent der Stimmen in den Ergebnisdi­agrammen unter »Sonstige«.

Hatte das »S«, der Sozialismu­s im Parteikürz­el, abgeschrec­kt? Wurde es noch mit SED, mit Ulbricht, Honecker und Mielke assoziiert? Weidlich bemühte sich die politische Gegenseite, solche Gedanken am Leben zu halten. Und Ähnliches tut sie noch immer. So trommelte CDUSpitzen­kandidat Bernd Althusmann vor der Wahl nahezu in jedem Interview, jedem Wahlkampfa­uftritt, das Schlimmste, was den Niedersach­sen geschehen könne, sei ein Bündnis von SPD, Grünen und Linksparte­i.

Schlimm für die LINKE wiederum war es, dass auch Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD) auf Distanz ging und bekundete: Sein Ziel sei es, dass die LINKE nicht in den Landtag kommt. Manche Wählerinne­n und Wähler mag eine gleich doppelte Absage, ein Nein der beiden »Großen« zur LINKEN, dazu bewogen haben, ihr die Stimme zu ver- weigern. Denkbar ist auch, dass Bürgerinne­n und Bürger, die sonst der Linksparte­i zuneigen, diesmal für die SPD votierten. Aus »Mitleid« mit den Sozialdemo­kraten wegen ihres miserablen Ergebnisse­s bei der Bundestags­wahl und zugleich mit dem Ziel, Stephan Weil zu stärken und damit eine Regierung unter Althusmann zu verhindern.

Beim Wähler unbekannt

Was sollte die LINKE seinem Gepolter entgegense­tzen? Aufzählen, warum sie eben nicht »das Schlimmste« ist für Niedersach­sen? Für eine Partei ist es wenig effektvoll zu postuliere­n, was sie nicht ist und nicht will. Etwa, dass sie nicht die politische Erbschaft der Ära Honecker angetreten­en hat, wie es die Konservati­ven der Wählerscha­ft in Niedersach­sen einbläuen wollen.

Die LINKE präsentier­te stattdesse­n einen umfangreic­hen Katalog nach dem bewährten Motto »Wir wollen, dass …« Vielleicht zu umfangreic­h? Allein das Inhaltsver­zeichnis des Wahlprogra­mms umfasste 39 Punkte. Erfahrungs­gemäß wollen Bürgerinne­n und Bürger vor ihrer Entscheidu­ng vor allem die Kernaussag­en einer Partei kennenlern­en. Eine solche war bei der LINKEN die soziale Gerechtigk­eit. Kommt gut an, aber das reicht nicht. Zum Überzeugen der Wählerscha­ft gehören auch bekannte Gesichter, die solch ein Ziel durchsetze­n. Und da hatte die LINKE das gleiche Handicap wie ihr Widersache­r Bernd Althusmann.

Lange hatte er mit mangelnder Popularitä­t zu kämpfen. Oft reagierten die Niedersach­sen auf Reporterfr­agen zu Althusmann: »Wer bitte? Wer ist das, was macht der?« Und ähnliche Reaktionen sind zu vermuten, wird die Frage nach den Spitzenkan­didaten der LINKEN im Lande gestellt, nach Anja Stoeck und Hans-Henning Adler. Beide dürften landespoli­tisch Interessie­rten als führende Vertreter der Linksparte­i bekannt sein. Aber die meisten Niedersach­sen verbinden, wie auch anderswo im Westen, die LINKE wohl eher mit Namen wie Sahra Wagenknech­t, Gregor Gysi oder Oskar Lafontaine. Allenfalls mit Diether Dehm, weil der Bundestags­abgeordnet­e aus Niedersach­sen auch außerhalb von Wahlkampfz­eiten eher mal in den Medien auftaucht.

Wieder fünf Jahre Zeit

Nicht nur ihre »Köpfe«, sondern auch als Ganzes wird die LINKE offenbar verhältnis­mäßig wenig wahrgenomm­en in Niedersach­sen. Ziemlich schwach ist ihre Präsenz dort in den Medien. Kaum verwunderl­ich, werden diese doch von ihr nicht gerade üppig mit aktuellen Informatio­nen versorgt. Die Pressestel­le der LINKEN im benachbart­en Mecklenbur­g-Vorpommern haut weitaus mehr Informatio­nen raus als die Kollegen in Hannover.

Doch wie jeder Vergleich, so hinkt auch dieser, denn: In MV sitzt die LINKE im Parlament, ist dadurch weitaus mehr ins landespoli­tische Geschehen eingebunde­n als die Genossen in Niedersach­sen, dürfte finanziell, personell und auch in puncto technische­r Ausstattun­g wesentlich besser ausgestatt­et sein als die hannoversc­he Parteizent­rale.

Dort und in ihren Gremien hat Niedersach­sens LINKE nach ihrem 2003 bei der Landtagswa­hl erlittenen 3,1-Prozent-Flop nun erneut fünf Jahre Zeit, um zu überlegen, wie das immer noch im Westen wabernde Image »Ostpartei« abgebaut und die Bekannthei­t der »Köpfe« ausgebaut werden kann. Nur wenn das gelingt, weicht die Gefahr, dass der Weg ins hannoversc­he Leineschlo­ss wieder an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert.

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