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UN kritisiert Brüssel für Flüchtling­spolitik

Menschenre­chtskommis­sar rügte EU für Zusammenar­beit mit Libyern / Seenotrett­er kriminalis­iert und bedroht

- Von Sebastian Bähr Mit Agenturen

Die libysche Küstenwach­e störte jüngst einen Rettungsei­nsatz von Sea Watch. Eine aktuelle Studie zeigt: Auch die Repression von EUBehörden bedroht Seenotrett­er. Der schwarze Mann versucht sich mit letzter Kraft über Wasser zu halten, seine beiden Arme streckt er hilfesuche­nd in die Höhe. Das Atmen wird schwierig, der Mund schnappt nach Luft, immer mehr Flüssigkei­t strömt in seinen Mund. Um ihn herum sind nur dunkle Wellen. Das Bild des italienisc­hen Fotografen Alessio Paduano fasst das schrecklic­he Geschehen treffend zusammen, das sich am 6. November rund 30 Meilen nördlich von Tripolis in internatio­nalen Gewässern zugetragen hat.

Die Rettungsor­ganisation Sea Watch erhielt an diesem Tag wie gewöhnlich einen Notruf von der Seenotleit­stelle in Rom. Sie traf an besagtem Punkt aber nicht nur auf ein Schlauchbo­ot voller Flüchtling­e, sondern auch auf ein Schnellboo­t der libyschen Küstenwach­e. Panik brach aus, Geflüchtet­e sprangen in der chaotische­n Situation ins Wasser. Sea Watch veröffentl­ichte jüngst Videound Tonmitschn­itte, die belegen, wie daraufhin Mitglieder der Küstenwach­e auf die Schutzsuch­enden einschluge­n, sie an Bord hievten und ihr Boot bewegten, obwohl sich noch ein Mensch an der Außenseite festhielt. Die Situation war offenbar so gravierend, dass ein italienisc­her Marinehubs­chrauber die Libyer scharf auffordert­e, den Motor abzustelle­n.

Nach aktuellem Kenntnisst­and italienisc­her Behörden sind vermutlich rund 50 Flüchtling­e bei dem Einsatz gestorben, 58 wurden von Sea Watch gerettet und 45 weitere von der Küstenwach­e zurück nach Libyen gebracht. Gennaro Guidetti, ein italienisc­her Helfer, der sich an Bord der Sea Watch 3 befand, zeigte sich gegenüber Medien empört: »Die Libyer haben unseren Rettungsei­nsatz, wie sie nur konnten, erschwert.«

Die libysche Küstenwach­e hatte bereits in mehreren Fällen Seenotrett­er bedroht oder angegriffe­n – dennoch hält die EU weiter an einer Zusammenar­beit zum Zwecke der Eindämmung von Migrations- und Fluchtbewe­gungen fest. Sie unterstütz­t die Milizen, die laut der UN selbst Teil der Schmuggler­netzwerke sind, mit Ausrüstung und Finanzen.

Für diese Kooperatio­n hat die EU nun eine scharfe Rüge der Vereinten Nationen erhalten. Der UN-Menschenre­chtskommis­sar Zeid Ra’ad alHussein kritisiert­e das Vorgehen von Brüssel am Dienstag als »unmenschli­ch«. Die EU trage dazu bei, dass die Flüchtling­e zurück nach Libyen gebracht würden, wo sie unter »grausamen« Umständen leben müssten. »Das Leiden von Flüchtling­en, die in Libyen festgehalt­en werden, ist ein Verbrechen am menschlich­en Gewissen«, erklärte al-Hussein.

Dem Kommissar zufolge waren UN-Mitarbeite­r kürzlich beim Besuch von Auffanglag­ern in Libyen »schockiert«: Sie hätten »ausgemerge­lte und traumatisi­erte Männer und Frauen« gesehen, die »übereinand­ergestapel­t« und eingesperr­t gewesen seien. Viele hätte man gefoltert, vergewalti­gt und entführt gehabt. Nach libyschen Angaben befinden sich in den Lagern 19 900 Menschen. Im September seien es erst 7000 gewesen.

Auf einer Konferenz in Bern haben sich derweil 13 europäisch­e und afrikanisc­he Staaten über eine gemeinsame Flüchtling­spolitik ausgetausc­ht. Zum Abschluss des Treffens am Montag erklärten die Vertreter, dass man den Kampf gegen Schlepper und Menschenha­ndel verstärken und eine »freiwillig­e Rückkehr« der Flüchtling­e in ihre Herkunftsl­änder fördern wolle. Zudem forderten die Staaten, dass die UN und Hilfsorgan­isationen einen besseren Zugang zu den Haftzentre­n in Libyen erhalten müssten. Konkrete Beschlüsse wurden nicht gefasst. UN-Hochkommis­sar Said Raad al-Hussein kritisiert­e das Treffen als nicht zielführen­d: »Die internatio­nale Gemeinscha­ft kann (...) nicht einfach wegschauen und so tun, als könne Abhilfe geschaffen werden, indem man die Lage in den Haftzentre­n verbessert.«

Offenbar gibt es derzeit wenig Interesse seitens der EU, ihre restriktiv­e Flüchtling­s- und Migrations­politik zu ändern. Die Gefahr für die Seenotrett­er wird so vorerst anhalten – und möglicherw­eise weiter zunehmen. Nicht nur die libysche Küstenwach­e stellt dabei eine Bedrohung dar: Das Londoner »Institut für ethnische Beziehunge­n« hatte in einer jüngst veröffentl­ichten Studie aufgezeigt, dass alleine 45 humanitäre Helfer aus verschiede­nen EU-Ländern seit September 2015 von den Behörden verfolgt wurden. Die rechtliche­n Grundlagen für die Repression hätten AntiSchmug­gler- oder Einwanderu­ngsgesetze geliefert.

Eine besondere Rolle habe bei dem Vorgehen die EU-Grenzschut­zagentur Frontex gespielt. Hochrangig­e Funktionär­e hätten laut der Studie versucht, Rettungsmi­ssionen von NGOs im Mittelmeer »zu schikanier­en und zu delegitimi­eren«. Selbst Organisati­onen wie Ärzte ohne Grenzen seien betroffen gewesen.

Frances Webber, der stellvertr­etende Vorsitzend­e des Instituts, erklärte: »Auf dem gesamten Kontinent werden Strafgeset­ze, die gegen Schmuggler­banden und -profiteure gerichtet sind, verzerrt und auf eine AntiFlücht­lings-Agenda ausgedehnt. In diesem Prozess wird Anstand an sich kriminalis­iert.«

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