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Einsame Wölfe in Bewegung

Auf einer Veranstalt­ung der Rosa-Luxemburg-Stiftung diskutiert­en Aktivisten aus verschiede­nen Ländern über rechtsradi­kale Terroriste­n

- Von Josephine Schulz

Menschen aus den USA, Großbritan­nien, Russland und Griechenla­nd tauschten sich über rechtsextr­eme Attentäter aus. Der Tenor: Staatsappa­rat und Gesellscha­ft tragen eine Mitverantw­ortung.

»Einsame Wölfe« stellen Polizei und Geheimdien­ste vor große Probleme. Gemeint sind Terroriste­n jeglicher Ideologie, die sich jenseits organisier­ter Gruppen radikalisi­eren. Solche, die im stillen Kämmerlein ihre politisch oder religiös motivierte­n Gewalttate­n planen.

Im Rahmen einer Veranstalt­ung der Rosa-Luxemburg-Stiftung diskutiert­en am Wochenende in Berlin Menschen aus den USA, Großbritan­nien, Russland und Griechenla­nd über vermeintli­ch »einsame Wölfe« aus dem rechtsextr­emen Spektrum, über rechtsterr­oristische Taten von einzelnen und »vernetzten Rassenkrie­gern«.

Matthew Collins vom britischen Recherchen­etzwerk »Hope not hate« hält das Konzept des »einsamen Wolfes« für wenig zeitgemäß. Er schildert den Fall eines indischstä­mmigen Arztes, der in einem britischen Supermarkt mit einer Machete attackiert und schwer verletzt wurde. Der Täter, der von einer Racheaktio­n für den enthauptet­en Soldaten Lee Rigby sprach, war in neonazisti­schen Internetfo­ren sehr aktiv. »Heutzutage ist es unmöglich, nicht in Kontakt zu kommen«, meint Collins. Als wirklich »einsamer Wolf« könne deshalb eigentlich nur eine Person bezeichnet werden, die selbst im Internet keinerlei Spuren hinterlass­e.

Auch Terry A. Johnson vom Chicagoer »Center for New Community« zweifelt am Erklärungs­wert der Idee des sozial isolierten Einzeltäte­rs. Sie erinnert an das Massaker von 2015 in Charleston, bei dem ein Weißer in einer Kirche neun schwarze Menschen tötete. Johnson erzählt: »Später hat man festgestel­lt, dass sein Denken von einem echten, tief sitzenden Rassismus bestimmt wurde.«

Es mache also hinsichtli­ch der Ideologie nicht unbedingt einen Unterschie­d, ob jemand sich im Internet oder über persönlich­e Kontakte radikalisi­ere. Johnson meint: »Das zeigt für mich, dass man allein handeln und trotzdem Teil einer Bewegung sein kann.«

Das Internet spielt bei der Ausbreitun­g »einsamer Wölfe« eine Hauptrolle. Gleichzeit­ig ist es die digitale Vernetzung, die das Konzept des isolierten Einzeltäte­rs infrage stellt. Denn wenn die soziale Welt des Internets für Menschen ebenso real oder der physischen Welt gar überlegen erscheint, wenn dort jeder seinen widerspruc­hsfreien Raum voller Seelenverw­andter finden kann, müssen womöglich auch extremisti­sche Gruppen ganz neu gedacht werden.

Sicherheit­sbehörden versuchen dieser Herausford­erung in erster Linie durch die Ausweitung von Überwachun­gskonzepte­n zu begegnen. Die Gäste der Rosa-Luxemburg-Stiftung sehen Polizei und Geheimdien­ste dagegen vielfach als Teil des Problems. Ioanna Meitani von der Stiftung in Athen berichtet von massiven personelle­n Überschnei­dungen zwischen griechisch­er Polizei und der dortigen faschistis­chen Bewegung »Goldene Morgenröte«.

Terry Johnson sieht in den USA – vom FBI bis hin zu den Gerichten – das Bestreben, die privilegie­rte Position weißer Männer zu schützen. Die Aktivisten sind sich in einem Punkt auf jeden Fall einig: Mittäter und Sympathisa­nten im Staatsappa­rat sowie die gesellscha­ftliche Normalisie­rung rechter Diskurse würden dafür sorgen, dass rechtsextr­eme Gewalttäte­r immer offener agieren.

Gleichzeit­ig, so meint Collins, wird die Verbreitun­g rechtsextr­emen Gedankengu­ts als Ursache von Gewalttate­n »einsamer« Wölfe gern beiseitege­schoben. Stattdesse­n rücken persönlich­e Gründe in den Vordergrun­d – Neurosen, Schicksals­schläge, Alkohol. Im Fall des attackiert­en Arztes, sei ihm der ständige Medienbezu­g auf den enthauptet­en Soldaten Lee Rigby fast wie eine Absolution vorgekomme­n.

Die Gäste der RosaLuxemb­urg-Stiftung sehen Polizei und Geheimdien­ste vielfach als Teil des Problems.

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