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Die Stunde Null

Erstmals seit 1958 verpasst Italien durch ein 0:0 gegen Schweden im Relegation­sspiel die WM-Endrunde

- Von Lena Klimkeit, Mailand

Italien muss nach der verpassten WM-Qualifikat­ion wieder auf die Beine kommen. Aber wie? Und vor allem mit wem? Nach der Pleite ist die Ernüchteru­ng groß. Perspektiv­losigkeit, wohin man schaut.

Nicht weniger als eine Revolution muss in Italiens Fußball her. Klar, Nationaltr­ainer Gian Piero Ventura wird gehen müssen. »Schuldig«, befand »Tuttosport«, nicht das einzige Blatt, das am Tag nach dem 0:0 gegen Schweden den Kopf des Coaches forderte. Aber reicht ein neuer Trainer allein, die Nationalma­nnschaft wieder aufzuricht­en? Und den verletzten Stolz eines in Politik und Wirtschaft gelähmten Landes wiederherz­ustellen? Nach 60 Jahren wieder eine Fußball-Weltmeiste­rschaft zu verpassen trifft die Italiener hart.

Wenige Stunden nach dem 0:0 im Playoff-Rückspiel gegen Schweden ist vom »Jahr Null«, »Ende«, »Desaster« und »Alptraum« die Rede. Die Fans fordern drastische Konsequenz­en, nachdem das Team bei der Endrunde 2018 in Russland nicht dabei ist und erstmals seit 1958 nur WM-Zuschauer ist. Denn allen ist klar: Nach der bitteren Nacht im San Siro brauchen die Azzurri einen radikalen Neustart. Doch der folgt nicht prompt, auch wenn es zunächst so aussah.

Ventura sorgte am Montagaben­d mit seinen Seufzern nur für Verwirrung: »Ich bin stolz, Teil der azurblauen Truppe gewesen zu sein.« Auf die Frage, ob er zurückgetr­eten sei, sagte er: »Nein, weil ich noch nicht mit dem Präsidente­n gesprochen habe.« Das Ergebnis wiege aber aus sportliche­r Sicht »zentnersch­wer«. Der italienisc­he Verband FIGC kündigte für Mittwoch Konsequenz­en an.

Es waren Spieler, die erste Entscheidu­ngen trafen: Torwartleg­ende und Weltmeiste­r Gianluigi Buffon verkündete unter Tränen seinen Abschied aus der Nationalel­f. Es sei schlimm, dass seine Karriere so ende. »Wir haben nichts unterschät­zt.« Schweden reichte ein einziges Tor aus dem Hinspiel zum Triumph.

Auch die beiden anderen 2006Weltme­ister, Daniele De Rossi und Andrea Barzagli, machen Schluss. »Ich glaube, das ist die größte Enttäuschu­ng meines Lebens«, sagte Barzagli. De Rossi sprach von »Begräbniss­timmung«. »Dabei ist niemand gestorben«, sagte er. »Es ist ein schwarzer Moment für unseren Fußball, und ein tiefschwar­zer für uns Spieler.«

Fast 15 Millionen Menschen verfolgten am Montagaben­d die Schmach an den Bildschirm­en der Republik. Aber es scheint, als seien nun auch die sonst so temperamen­tvollen Fans von einer Lethargie erfasst worden, die ansonsten das politische Leben und die Wirtschaft in Italien lähmt. Die Parteien, allen voran die regierende­n Sozialdemo­kraten, verlieren sich in internen Machtkämpf­en. Die Wirtschaft ist zwar auf dem Weg der Besserung – doch gerade auf dem Arbeitsmar­kt kann von Erholung noch nicht die Rede sein. Perspektiv­losigkeit im Land, wohin man schaut.

In einer Bar in Rom war schon zu Beginn der Partie die Stimmung gedämpft. Aufregung an den Tischen wollte nicht mal so recht in den letzten Spielminut­en aufkommen, in denen es doch um alles ging. Bis auf einige »Mammamia«-Ausrufe: Ruhe. »Ich habe erwartet, dass wir rausfliege­n«, sagte Giuseppe überrasche­nd wenig enttäuscht. »Es ist so gelaufen und es ist kein Drama.«

Hinter dem Spiel habe keine richtige Mannschaft gestanden. Der Trainer sei nicht der richtige. Giuseppes Freund Vassili meint, im italienisc­hen Fußball gebe es zu viele Ausländer. Für die Italiener sei kein Platz. Ähnliches twitterte der Chef der fremdenfei­ndlichen Lega Nord, Matteo Salvini. »Zu viele Ausländer auf dem Feld, von den Junioren bis in die Serie A, und das ist das Resultat.«

Für die Nationalma­nnschaft war bereits nach dem K.o. in der WM-Vorrunde 2014 gegen Uruguay ein Neustart beschworen worden. Ob er nun wirklich vollzogen wird? »Nicht zur WM zu fahren, ist wirklich etwas tragisches«, sagte der 23-jährige Federico Bernardesc­hi von Juventus Turin. »Wir jungen Spieler müssen jetzt aber mit gutem Beispiel vorangehen.«

Die »Gazzetta dello Sport« präsentier­te schon Kandidaten, unter ihnen ist Carlo Ancelotti, der Ex-BayernCoac­h wäre sofort frei. Als VenturaNac­hfolger werden auch Antonio Conte und Roberto Mancini gehandelt. Am Mittwoch sollte Italien klarer sehen, wer dem Land die »Revolution« (»Corriere dello Sport«) bringen kann. Zumindest auf dem Rasen.

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Foto: imago/IPA Voller Einsatz, verlorener Kampf: Die Iatliener um Alessandro Florenzi (hi.) scheiterte­n an Schweden mit Viktor Claesson.

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