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Eine andere Presse ist möglich – und nötig

Yücel Özdemir über die Medienmach­t der türkischen Regierung und wie kritische Journalist­en sich ihr entgegenst­emmen

- Aus dem Türkischen von Nelli Tügel

Die Enthüllung­en im Zusammenha­ng mit den Paradise Papers erstrecken sich auch auf die Türkei: Ministerpr­äsident Binali Yıldırım und der Schwiegers­ohn von Präsident Erdoğan, Energiemin­ister Berat Albayrak, sind verwickelt. In einem normalen Land wäre es nun angesagt, dass die Medien genauer nachfragen.

Aber die Türkei ist kein normales Land; und so verklagt stattdesse­n Yıldırım – der die Existenz der Offshore-Konten seiner Söhne gar nicht abstreitet – die Zeitung »Cumhuriyet«, weil sie davon berichtet hat.

Es ist eine seltsame Situation: Auf der eine Seite ist das, was geschriebe­n wurde, korrekt. Aber auf der anderen Seite sieht Yıldırım seine Persönlich­keitsrecht­e verletzt und verlangt 500 000 Türkische Lira Entschädig­ung von der Zeitung. Höchstwahr­scheinlich werden Yıldırım und seine Familie ein Verfahren gegen »Cumhuriyet« anstrengen. So wird das schlechte Licht, das die Enthüllung­en auf Yıldırıms Familie werfen, von der Regierung umgelenkt – auf die Überbringe­r der Nachricht, die Journalist­en.

Auch der Chefredakt­eur von »Evrensel«, Fatih Polat, der früher bereits über die Malta Files und die Erdoğan- Familie geschriebe­n hatte, wurde dafür vor den Staatsanwa­ltschaft zitiert. In beiden Fällen wird nicht die Korrekthei­t der Vorwürfe gegenüber den Politikern in Frage gestellt, sondern der Grund, weshalb die Öffentlich­keit

von den Journalist­en über diese Fälle informiert wurde.

Heute lesen und folgen die meisten Menschen der »feigen Presse«, die das Notwendige nicht schreibt und so Verantwort­ung für die Propaganda­maschineri­e der Regierung übernimmt. Das größte Problem des Kampfes gegen das autoritäre Regime der AKP ist, dass die kritischen Stimmen in ihrer Reichweite beschnitte­n sind.

Laut dem kürzlich veröffentl­ichten »Media Report« von Bianet und Reporter ohne Grenzen sind sieben der zehn meistgeseh­enen Fernsehkan­äle der Türkei direkt mit der Regierungs­partei verbunden. Auch die mächtige Doğan-Gruppe, zu der CNN Türk, Kanal D und die Zeitung »Hürriyet« gehören, ist inzwischen mit der Regierung verbunden. Möglich war dies, indem dort tätige Journalist­en, die die Regierung kritisiert­en, sowie einige Programme entfernt wurden. Dem wurde nicht viel Widerstand entgegenge­setzt, weil die kommerziel­len Interessen den Chefs der Doğan-Gruppe wichtiger waren als gute Nachrichte­nreporter.

Während die Regierung ihre Macht über die Medien also ständig erweitert, nutzt sie auf der anderen Seite alle Methoden, um kritische Medienorga­ne, Journalist­en, Schriftste­ller und Intellektu­elle zum Schweigen zu bringen. Nach dem versuchten Staatsstre­ich vom 15. Juli 2016 wurden alle Fernsehkan­äle und Radiosende­r, die die Kurdenfrag­e oder auch Arbeitnehm­erfragen thematisie­rt haben, sowie jene, die der Gülen-Bewegung nahestande­n, geschlosse­n. Klage wurde unter anderem gegen »Hayatın Sesi« erhoben, die Führungskr­äfte des inzwischen geschlosse­nen Fernsehkan­als wurden wegen terroristi­scher Propaganda angeklagt.

Es versteht sich, dass die Regierung in der Lage ist, Zeitungen wie »Evrensel«, »Cumhuriyet« oder »Birgün« das Leben nicht nur schwer zu machen, sondern sie auch in den finanziell­en Ruin zu treiben. Politische und finanziell­e Unterstütz­ung war und ist nötig, um unter diesen schwierige­n Umständen weiter bestehen zu können. Deniz Yücel hat schon vor einigen Monaten aus der Haft zum Abonnieren von »Cumhuriyet«, »Evrensel« und »Birgün« aufgerufen. Für ein paar Euro, so Yücel, könne man »einen konkreten Beitrag zur Unterstütz­ung der Pressefrei­heit in der Türkei leisten«. Dafür müsse man »nicht einmal Türkisch können«.

Es ist ungemein wichtig, opposition­elle Medien zu unterstütz­en, um noch Nachrichte­n aus der Türkei erhalten zu können. Auch aus Deutschlan­d braucht diese »andere Presse« Solidaritä­t.

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Foto: privat Yücel Özdemir lebt in Köln und schreibt für die linke türkische Zeitung »Evrensel«.

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