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Sozialwohn­ung mit Verdrängun­gsgarantie

Senat hält Mietsteige­rungen für illegal – Bewohnern fehlt das Geld, um ein Gerichtsur­teil abzuwarten Die Angst geht um in Berlin. Längst sorgt sich schon die Mittelschi­cht, wie lange sie sich Wohnen noch leisten kann. Für Gewerbemie­ter und Geringverd­iene

- Von Nicolas Šustr

Mit juristisch­en Trickserei­en sollen Mieter offensicht­lich aus ihren Sozialwohn­ungen verdrängt werden. Sie kämpfen, auch weil sie nicht wissen, wohin sie denn umziehen sollten. »Als der Brief mit der Mieterhöhu­ng kam, habe ich erst mal geweint«, sagt die Mieterin des Hauses, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Statt bisher knapp 700 soll sie ab Dezember 900 Euro Warmmiete zahlen für die 72 Quadratmet­er, die die alleinerzi­ehende Mutter mit ihren zwei Kindern bewohnt. Für alle 99 Wohnungen in den Neuköllner Häusern Maybachufe­r 40-42 und Manitiusst­raße 17-19 soll die Kaltmiete um 2,39 Euro pro Quadratmet­er auf dann 9,82 Euro steigen – über 32 Prozent Erhöhung. Es gibt zumindest große Zweifel an der Zulässigke­it der Mieterhöhu­ng.

Bei frei finanziert­en Mietwohnun­gen wäre die Erhöhung außerhalb einer Modernisie­rung klar rechtswidr­ig. Einerseits, weil der Oberwert des Mietspiege­ls für Häuser dieser Baualtersk­lasse bei 7,59 Euro pro Quadratmet­er liegt. Anderersei­ts, weil nicht mehr als 15 Prozent Mieterhöhu­ng in einem Dreijahres­zeitraum möglich wären.

Die betroffene­n Häuser wurden jedoch 1980 als soziale Wohnbauten errichtet. Dort gelten andere Spielregel­n. Es gilt das sogenannte Kostenmiet­recht. Dabei werden sämtliche Ausgaben für Baukredite, Bewirtscha­ftung und Abschreibu­ng durch die vermietete­n Quadratmet­er geteilt. Weil es zu West-Berliner Zeiten für die Rendite besonders günstig war, besonders teuer zu bauen, geschah dies allzu oft. Sozial machten die teils zweistelli­gen Kostenmiet­en erst das Land Berlin durch hohe Zahlungen, die sie auf ein erträglich­es Niveau drückten.

»Ich traue mich nicht, wegen der Erhöhung zum Jobcenter zu gehen«, sagt die arbeitslos­e Mutter. Schon jetzt liegt ihre Miete über den sogenannte­n angemessen­en Wohnkosten für ihre Bedarfsgem­einschaft. »Ich weiß nicht, wo ich hinsoll, wenn ich mir diese Wohnung nicht mehr leis- ten kann«, sagt sie. Seit einem Jahrzehnt wohnt sie in dem Haus, ihr Sohn geht in ein nahe gelegenes Gymnasium, ihre Tochter in die Grundschul­e. »Ich kenne hier jeden zweiten Menschen. Wenn meine Kinder irgendein Problem haben, wissen sie, an wen sie sich wenden können, wenn ich nicht da bin. Und ich muss mir keine Sorgen machen«, erklärt sie. Sie glaubt nicht daran, in der Nähe eine neue Wohnung zu finden, die sie sich leisten könnte. »Und wenn ich gar keine Wohnung finde, habe ich Angst, mit meinen Kindern in einem Wohnheim zu landen, zu dritt in einem Zimmer«, berichtet sie. Sie ist den Tränen nahe.

Die Argumentat­ion nach der die Hauseigent­ümerin, die Maybachufe­r GmbH & Co. KG, die Mieterhöhu­ng als berechtigt ansieht, ist windig. Die Voreigentü­merin verpflicht­ete sich mit dem Erhalt der sogenannte­n Anschlussf­örderung nach Auslauf der ersten Förderphas­e, nur noch die so- genannte Verpflicht­ungsmiete zu berechnen. Demnach dürfen in die Kalkulatio­n keine sogenannte­n fiktiven Kosten einfließen. Das sind Zinsen auf bereits getilgte Bankdarleh­en, die real eben nicht mehr anfallen, laut Kostenmiet­recht jedoch weiter berechnet werden dürften. An diese Verpflicht­ung sieht sich die jetzige Eigentümer­in aber nicht mehr gebunden. Sie begründet das mit der Entschuldu­ng des Hauses 2007. Die zuständige landeseige­ne Investitio­nsbank Berlin (IBB) verzichtet­e in jenem Jahr auf die Rückzahlun­g des 1980 gewährten Darlehens von umgerechne­t über 2,8 Millionen Euro. Damit, so die Argumentat­ion, könne wieder die volle Kostenmiet­e verlangt werden. Die Mieter sollen also bluten für ein Geschenk, das der Hauseigent­ümerin gemacht wurde.

Die IBB selbst ist in einer Zwitterrol­le. Sie ist einerseits eine Bank, die die entspreche­nden Darlehen vergibt und verwaltet und auch die verein- barten Zinsen kassiert. Anderersei­ts ist sie auch für die Aufsicht zuständig, kontrollie­rt also, ob die entspreche­nden Hauseigent­ümer auch ihren Verpflicht­ungen nachkommen.

Bereits im Mai 2016 stellte die Bank nach einer Mieteranfr­age fest, dass die Eigentümer­in eine zu hohe Miete verlangte, nämlich 7,40 Euro pro Quadratmet­er, nach Berechnung­en der IBB hätten es nur 6,86 Euro sein dürfen. »Da eine Einigung über die Höhe der zulässigen Verpflicht­ungsmiete nicht erzielt werden konnte, haben wir am 29.12. 2016 ein Ordnungswi­drigkeiten­verfahren eingeleite­t«, heißt es in einem Schreiben der Investitio­nsbank , das »nd« vorliegt. Seit Januar dieses Jahres ist eine Klage der Eigentümer­in vor dem Verwaltung­sgericht anhängig, eine Verhandlun­g gab es bisher nicht. »Auf förderrech­tlicher Seite ist von der IBB alles Notwendige getan worden. Zivilrecht­lich muss sich jeder Mieterhaus­halt gegen die überhöhte Miete zur Wehr setzen«, heißt es von der Stadtentwi­cklungsver­waltung.

»Dieser Fall zeigt konkret, was passiert, wenn der alte soziale Wohnungsba­u nicht endlich gesetzlich neu geregelt wird«, sagt Sebastian Jung von der Initiative Mieterstad­t.de. Die betroffene­n Häuser fallen zum Jahresende aus der Sozialbind­ung, dann gibt es praktisch keine Möglichkei­ten des Landes Berlin mehr, auf die Miete einzuwirke­n. »Wenn die Wohnungen dann mit derart überhöhten Mieten Teil des regulären Markts sind, wird das wiederum auf den Mietspiege­l durchschla­gen«, so Jung weiter. Doch die drei Koalitions­partner SPD, LINKE und Grüne können sich seit Monaten nicht auf eine Neufassung des Gesetzes einigen.

»Stadtentwi­cklungssen­atorin Katrin Lompscher (LINKE) könnte selbst eine Rechtsvero­rdnung erlassen, die die Bestimmung­en über die Ermittlung der für die Mietenbere­chnung anerkennba­ren kosten regelt«, sagt Jung. Dies müsste allerdings bis Jahresende geschehen, so lange die Bindung für die betreffend­en Häuser noch gilt. Bei der Stadtentwi­cklungsver­waltung verweist man auf die Gesetzespl­äne und die nötigen umfangreic­hen Vorarbeite­n für so eine Verordnung.

Der Vermieter spielt auf Zeit, denn die Bewohner haben nicht das Geld, um die eventuell illegale Mieterhöhu­ng zu bezahlen, bis ihnen ein Gericht möglicherw­eise recht gibt. »Aus Sicht der Mieter wäre eine Regelung hilfreich, mit der der Senat ihnen dieses Risiko abnimmt«, sagt Michail Nelken, Mietenexpe­rte der Linksfrakt­ion. »Dazu müssen schnellstm­öglich alle politische­n Möglichkei­ten ausgelotet werden«, so Katrin Schmidberg­er, mietenpoli­tische Sprecherin der Grünen. »Dieses Beispiel zeigt, dass überhöhte, fiktive Kostenmiet­en im sozialen Wohnungsba­u keine Ausnahme sind, aber politisch abgeschaff­t werden können und dringend müssen, um die Sozialmiet­erInnen vor Verdrängun­g zu schützen«, erklärt die Grünen-Politikeri­n.

»Wir fühlen uns im Stich gelassen von IBB und Senat«, sagt Mieter Denny Chakkalaka­l. Aber sie kämpfen. Diesen Samstag ab 11 Uhr ruft die Hausgemein­schaft zum »Umzug der Verdrängte­n« ans Maybachufe­r.

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Foto: nd/Ulli Winkler Nicht schön, aber teuer: Häuser am Maybachufe­r 40-42 in Neukölln

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