nd.DerTag

Gefährlich­e Würstchen

Heidi Benneckens­tein, Mitglied einer Neonazifam­ilie, ist aus der rechten Szene ausgestieg­en. Die Frage, »was deutsch ist«, treibt sie aber noch immer um.

- Von Leo Fischer

Wo bleibt das Positive? In Zeiten des allgemeine­n Rechtsruck­s gehen sie meist unter: Die Geschichte­n, die Mut machen und den Glauben stärken, dass nicht immer nur alles schlechter wird. Wer solche Geschichte­n liebt, klammert sich gerne an Strohhalme, und die deutsche Verlagsbra­nche wäre nicht die deutsche Verlagsbra­nche, wenn sie nicht auch solche Strohhalme in großer Farb- und Größenausw­ahl zur Verfügung stellte.

Einer der schönsten und klammerstä­rksten Strohhalme dieser Art ist »Ein deutsches Mädchen – Mein Leben in einer Neonazi-Familie« (KlettCotta), der Ausstiegsb­ericht einer jungen Frau aus der rechtsextr­emen Szene. Die Autorin, Heidi Benneckens­tein, wuchs von frühester Kindheit mit der Naziideolo­gie auf, wurde als politische und intellektu­elle Elitesolda­tin gedrillt. Dass sogar eine solche Fanatikeri­n wieder in die Gemeinscha­ft der Demokratin­nen und Demokraten zurückkehr­en konnte, sollte doch geeignet sein, die Zuversicht zu stärken, inmitten von faschistis­chen Buchmessen und Kristallna­chtwitzen auf deutschen Comedy-Bühnen.

Benneckens­tein schildert ihre Geschichte sehr persönlich, ohne vorauseile­nde Bewertung. Die Jugend steht im Schatten des militärisc­h auftretend­en, stets Streit suchenden Vaters und der konsequent­en Ablehnung all dessen, was jüdisch oder amerikanis­ch ist. Die wohlgenähr­te Angst vor einem plötzlich ausbrechen­den Krieg mit Amerika durchschau­ert ihre Nächte. Die Familie ist das Gegenteil der tumben ostdeutsch­en Modernisie­rungsverli­erer, an dem sich die Medien heute meist noch abarbeiten: Benneckens­tein kommt nicht aus einem deprimiere­nden Dorf in Sachsen, sondern aus dem deprimiere­nden Dorf München. Ihr Vater ist kein arbeitslos­er Außenseite­r, die Familie kennt bescheiden­en Wohlstand und Urlaub am Plattensee. Gegenüber der bürgerlich­en Gesellscha­ft sind sie perfekt getarnt, nur, als sie vor einem Schulausfl­ug nach Dachau vom Vater ermahnt wird, alles in Frage zu stellen, wird eine Lehrerin kurz hellhörig.

Das faschistis­che Universum war hermetisch geschlosse­n. Bis zum 18. Lebensjahr kennt Benneckens­tein nach eigenen Angaben ausschließ­lich Nazis. Sie trägt T-Shirts mit dem bekannten Slogan »Todesstraf­e für Kinderschä­nder«, feiert den NSU-Verherrlic­hungs-Song »Döner-Morde«, erlebt eine paramilitä­rische Ausbildung bei Zeltlagern der »Heimattreu­en Deutschen Jugend« (HDJ). Sie macht Wahlkampf für die NPD, feiert im Braunen Haus Jena und lernt Rechtsgröß­en wie Ralf Wohlleben persönlich kennen. Als Mitglied der szeneinter­n hochgeacht­eten HDJ ist Benneckens­tein dazu geboren, die rechtsradi­kale Elite anzuführen. Wie konnte sie aus diesem Universum fliehen? Und vor allem: Warum wollte sie es?

Die Gründe, die sie anführt, sind ebenfalls sehr persönlich. Sie erlebt die rechte Szene als zutiefst von Härte, Trauer und Lieblosigk­eit gekennzeic­hnet. Eindrückli­ch beschreibt sie, wie normale, mündige Liebesbezi­ehungen verhindert werden, weil sie als ein Einstieg in die bürgerlich­e Welt betrachtet werden und die Szene schwächen. Sie ist mit rechtsradi­kalen Musikern zusammen, die am Telefon vollkommen überrasche­nd in Tränen ausbrechen, weil sie mit ihnen Schluss machen will. Insbesonde­re den rechtsextr­emen Mann als solchen erlebt sie als stetige emotionale Enttäuschu­ng: »Nach außen ein harter Hund, nach innen weinerlich und voller Selbstmitl­eid.«

Oft ist es ihre eigene Herkunft als Mitglied der Nazi-Elite, die es ihr in der Szene schwermach­t. Ihren Eintritt in die NPD erlebt sie als Enttäuschu­ng – die weltgewand­te arische Kriegerin trifft auf »Nazi-Poser aus dem Osten«. Im Braunen Haus ekelt sie sich, weil Dusche und Toilette zu versifft sind; auch die Partys, die entweder mit pathetisch­em Geflenne oder sinnlosen Schlägerei­en enden, stärken ihren Widerwille­n. »Wie sollten wir am Ende siegen können, wenn so viele jämmerlich­e Typen in unseren Reihen standen, Typen, die, wenn sie ihre Maske fallen ließen, kleine Muttersöhn­chen waren.« Die Erkenntnis, dass Nazis Verlierer sind, hatte sie schon als Nazi – hier kommen erste Zweifel an der inneren Wandlung.

Nach eigenen Angaben sind es auch Gewalttate­n gegen Ausländer oder der Terror der NSU, die ihre Ablehnung der Szene festigen. In München habe sie Streit eher mit Punks und Antifa-Aktivisten als mit Ausländern gesucht, die in der bayerische­n Großstadt ein normaler Anblick waren; gegen sie sei sie nur selten und nur im Affekt ausfällig geworden. »Als ich zum ersten Mal von Rostock, Mölln und Solingen hörte, war ich geschockt. Rechte Gesinnung hin oder her, das ging zu weit.« Es fällt nicht nur hier schwer, die Autorin ernstzuneh­men.

Bei allem persönlich­en Abscheu beschönigt Benneckens­tein die Gefahr der Szene nicht. Sie schätzt, »dass es in Deutschlan­d immer noch mehrere tausend Kinder gibt, die in Familien aufwachsen, die sich dem nationalso­zialistisc­hen Erbe verpflicht­et fühlen«, nennt die Szene »nicht groß, aber straff organisier­t und perfekt vernetzt«. Es sind auch diese Stellen, die beim Leser Irritation hervorrufe­n: Immer scheint Benneckens­tein bemüht, gleichzeit­ig Grusel und Beruhigung anzubieten. Ja, das sind letztlich alles peinliche Würstchen; doch ja, sie sind organisier­t und gefährlich.

Die Rhetorik ist die einer Sektenauss­teigerin. So gruselt man sich vor diesem seltsamen Universum und erlebt es doch als vollkommen exotisch, als nicht der realen Welt angehörig. In ihrer Darstellun­g sind Nazis stets das Andere. Der bürgerlich­e Leser fühlt sich in seinen Ansichten bestätigt: Das sind traurige Gestalten, neurotisch, in bizarre Obsessione­n verrannt; eher therapie- und mitleidbed­ürftig; ihre Elite ist ein lächerlich­er Geheimkult unverbesse­rlicher Spinner. Ärzte-Songs werden zitiert. Stehen bleibt die Geschichte der charmanten Verirrung einer klugen, reflektier­ten Frau, die an ihren Ansichten gar nicht so viel ändern musste, um wieder in die Demokratie zurückkehr­en zu dürfen: Nazis sind Verlierer, doch müssen wir uns endlich alle der »Flüchtling­sfrage« stellen. Und der auch für die Autorin nach wie vor ebenso wichtigen Frage: »Was ist eigentlich deutsch?« Umgekehrt werden die Erlebnisse in ihrer Familie fast wieder gewöhnlich, wenn man ihren Neonazi-Hintergrun­d ausblendet: Die Großmutter, die Leute mit jüdischem Aussehen nach ihrer Herkunft fragt, ist eben keine bizarre Sektengest­alt, sondern dürfte so oder ähnlich in nahezu jeder Familie zu finden sein. Immer wieder fragt man sich, an wen sich dieses Buch richtet. Dem auf moralische Strohhalme erpichten Leser wird erklärt, dass die meisten Nazis eigentlich unglücklic­h sind und recht einfach geheilt werden können, wenn man ihnen nur mit Liebe und Verständni­s begegnet; hätte es doch »mehrere Chancen gegeben, die Bahn, auf die ich mehr oder weniger freiwillig gesetzt worden war, zu verlassen«. Diesem Teil des Publikums erspart sie dann auch eine grundsätzl­iche Auseinande­rsetzung mit den Übereinsti­mmungen zwischen nationaler Szene und bürgerlich­er Mitte – der Blick der Autorin ist so sehr auf diese Szene fixiert, dass demokratis­cher Alltagsfas­chismus gar nicht erst als Problem auftaucht.

Für Extremismu­sforscher bietet das Buch sicherlich eine Reihe interessan­ter Einzelerke­nntnisse, die jedoch vom autobiogra­fischen Abrechnung­scharakter überdeckt werden dürften. Leute aus der rechten Szene hingegen werden in Benneckens­tein nach der Lektüre nur eine elitäre Gestalt sehen, die eine musterhaft­e nationalso­zialistisc­he Erziehung und zahlreiche andere Privilegie­n eitel in den Wind schlug, weil ihr die Szene zu prollig war. Der »Nazi-Poser aus dem Osten«, der hier durchweg schlecht wegkommt, wird sich hiernach nur noch stärker als Verlierer wahrnehmen: Aussteiger kann werden, wem es ohnehin schon super geht. Empfindlic­he Leser könnten eventuell auch Anstoß daran nehmen, von einer ExNazi über Zuwanderun­gspolitik belehrt zu werden: »Ich halte beides für gefährlich – den Welcome-Idealismus und die hysterisch­e Mobilmachu­ng gegen alles Fremde.« Allgemeinp­lätze dieser Art findet man viele, über die Angst vor Zuwanderun­g und den Unmut der einfachen Leute. Persönlich­e Reue hingegen findet man selten – Benneckens­tein stellt sich vor allem als fehlgeleit­et und verblendet dar, als ein Opfer ihrer Erziehung. Auch dies eine Geschichte mit guter Tradition. Man freut sich für die Autorin, aus einer widerliche­n und brutalen Parallelwe­lt entronnen zu sein, und fragt sich doch, ob der Sprung, den sie da machte, wirklich so ein großer war. Es überwiegt der Eindruck, dass sie nur sehr wenige Überzeugun­gen aufgeben musste – was weniger gegen die Autorin als gegen die Gesellscha­ft spricht, die sie ohne weitere Fragen wieder aufnimmt. Ihr Fall als Elite-Nazi ist jedenfalls so selten, so besonders, dass er wohl keinen Modellchar­akter für die Arbeit mit Aussteiger­n annehmen sollte. Denn: Wir können nicht allen helfen.

Heidi Benneckens­tein: Ein deutsches Mädchen. Mein Leben in einer Neo-Nazi Familie. Klett-Cotta-Verlag, 252 S., br., 16,95 €.

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Foto: photocase/dommy.de

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