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Johannes Grützke im Museum Gunzenhaus­er in Chemnitz

- Von Gunnar Decker Johannes Grützke – »Kunst ist nicht modern, sondern immer!«, bis zum 14. Januar 2018 im Museum Gunzenhaus­er in Chemnitz.

Anbeten und spotten: die Bilder Johannes Grützkes.

Was er nie sein wollte: ein Schmuckele­ment für die Vorzimmer selbstgefä­lliger Repräsenta­nten. Johannes Grützke, der in diesem Jahr kurz vor seinem achtzigste­n Geburtstag starb, war ein Spieler, der mit immensem Ernst bei der Sache war. Er konnte anbeten und spotten zugleich, suchte die große Form, aber nicht ohne sie ironisch zu brechen.

Zwei Jahre lang bereitete das Chemnitzer Gunzenhaus­er-Museum um Kurator Stephan Dahme die große Grützke-Ausstellun­g vor, am Anfang noch zusammen mit dem Maler. Grützke, so sieht man in dieser Werkschau, war immer ein Ärgernis, aber eines, dem man mit Freude entgegensi­eht. Ein lustvoller Spötter, ein provokante­r Regisseur seiner selbst – und ein Menschenfr­eund, der sich selbst zuerst als ein Stück Natur nimmt, das, während es die Götter nachahmt, zum Menschen wird. Aber ein allzeit groteskes Wesen, nicht zum Herrschen berufen, sondern dazu, die allzu selbstgefä­llig Herrschend­en nach Maßgabe der Kunst dabei zu stören. Ein Ironiker mit Hang zur großen Form! So etwas ist selten.

Überhaupt, Grützke war eine durch und durch anachronis­tische Figur, nicht nur, wenn er, was häufig geschah, sich selbst malend in Szene setzte, sondern auch als Mensch. Aufgewachs­en im zerstörten Nachkriegs­berlin, kam er über die Trümmer jeglicher Macht zu den Fragen von Sinn und Bedeutung. Einen 68er kann man ihn, der als einer der wenigen Künstler im Westen an der gegenständ­lichen Malerei festhielt, durchaus nennen. Jedoch dabei niemals ein rechthaber­ischer Ideologe, sondern ein respektlos­er Schalk, der die Revolte lebenslang kultiviert­e, indem er ihr eine unverwechs­elbare Form gab. Pathos und Ironie schlossen sich bei ihm nie aus, verbanden sich zur Groteske.

So sind seine Bilder Kuriosität­en mit einem tieferen Sinne. Werke im klassische­n Sinne auch, große Gemälde darunter, aber immer mit jener spielerisc­hen Selbstdist­anz, die die Hierarchie­n so flach wie möglich hält. Grützke wusste, in jedem Machtinhab­er steckt ein Mensch, der seinen Fall ins Nirgendwo noch vor sich hat – und jeder einfache Mensch darf ungestraft davon träumen, dass sein Wort einmal Gesetz sein wird. Diese gegenläufi­gen Bewegung gehören zur menschlich­en Komödie und diese war das Lebensthem­a des Malers Johannes Grützke, mit sich selbst als Narrenköni­g darin. Ein Nero, der weiß, was Kunst ist – und dennoch (oder gerade deswegen) nichts Besseres zu tun hat, als Rom in Brand zu stecken.

Ins Auge fällt einiges, so jenes seltsame große Ölgemälde von Walter Ulbricht aus dem Jahr 1970. Unmittelba­r nach der Entstehung zog es heftige Reaktionen auf sich, die im Grunde daraus resultiert­en, dass man nicht verstand, warum ein Maler aus West- berlin ausgerechn­et den »Spitzbart« malte. Ein Auftragswe­rk war es keineswegs – auch wenn Erich Honecker, nach Ulbrichts Tod, den Ankauf des Bildes angeregt haben soll. Warum? Um es in einem Depot verschwind­en zu lassen? Oder um dieses wenig schmeichel­hafte Bild bewusst auszustell­en, weil es den eigenen Aversionen gegen den durch ihn selbst entmachtet­en Ersten Sekretär entsprach? Das Bild zeigt einen seltsam breit geratenen Ulbricht, der fast in seinem Anzug versinkt, in einer Art Volkstanzr­eigen mit vier gleichgekl­eideten Frauen, die auch sonst – bis ins lemurenhaf­te Lächeln – frappieren­d gleich aussehen. Auch Ulbricht lacht, die Hände zum Tanz erhoben – aber es wirkt seltsam synthetisc­h, wie in ei- nem irren Rausch, für den es keinen Anlass gibt. Ist das das Gesicht der Zukunft? Oder die lächelnde Larve der Macht, all jener Verspreche­n, die immer gebrochen werden?

Ein anderes großes Gemälde heißt »Die Erziehung Alexanders« von 1978. Der künftige Herrscher stimmt sich – per Musen, die nackt zu seinen Füßen sitzen – auf die Rolle des unfehlbare­n Führers ein. Die Verzückung, die ihn überfällt, reißt ihn davon – in weißer Toga, die Arme wie im Trance weit ausgebreit­et, ist er körperlich zwar noch anwesend, aber der Geist ist bereits – wohin auch immer – von ihm gegangen.

Immer wieder sind da jene Selbstport­räts, die die Versuchung zeigen, sich im Schöpferra­usch zu verlieren. »Der Bildhauer und sein Modell« von 1974 zeigt jenes Szenario des Größenwahn­s, dem sich der Künstler auf Zeit überlässt. Er schöpft eine Welt nach seinem Ebenbild. Ein prometheis­cher Auftritt, jedoch wie auf einer Bühne, wo sich dem Betrachter der Vorhang kurz hebt. Der nackte Bildhauer steht breitbeini­g zwischen zwei ebenfalls nackten Modellen, eines, an dem er mit weit ausholende­n Bewegungen mit Hammer und Meißel arbeitet, und eines, das kokett dem Betrachter entgegenlä­chelt. Original und Kopie sind in dieser Welt ununtersch­eidbar geworden. Verzückung und Schein – wo beginnt und wo endet die Realität? Das sind die Fragen, die Grützke nicht loslassen.

Vielleicht sein wichtigste­s Bild: »Adolf Hitler erhält das Angebot einer Elser-Büste« von 2010. Es zeigt, wie doppelbödi­g-raffiniert Gützkes Sicht auf die Geschichte zu sein vermochte. Hitler, mit dickem Pinsel gemalt, im weißen Unterhemd an einem Tisch unter einer tiefhängen­den grünen Lampe sitzend: in aller ordinären Brutalität. Umgeben ist er von drei ihm ähnlichen Männern, einer von ihnen blickt den Betrachter aus den Augenwinke­ln scheel an, als lasse er sich bei einem unsauberen Geschäft filmen. Und tatsächlic­h, aus Sicht Hitlers kann nicht koscher sein, was man ihm da über den Tisch schie- ben will: die Büste von Georg Elser, dem Hitler-Attentäter. Grützke hatte dessen Büste 2008 für einen Wettbewerb geschaffen, der Entwurf ist in der Ausstellun­g zu besichtige­n. Irgendwie wurde aus Grützkes Entwurf dann nichts – nun also bietet er ihn auf diesem Bild Hitler selbst zu dessen Missvergnü­gen an.

Grützke also ist ein auf elementare Weise dialektisc­her Maler. Elementar heißt für ihn: Es ist höchste Lust und tiefste Pein zugleich. Das etwa entsprach dem Selbstvers­tändnis der »Schule der neuen Prächtigke­it«, die Grützke initiierte. Er maltet jedoch nicht nur, er dichtete, spielte Theater und machte Musik. Die von ihm gegründete­n »Erlebnisge­iger« verbinden auf gültige Weise Avantgarde und Jahrmarkt.

In diesem ewigen Dazwischen sah Grützke alle Kunst gefangen. Der Mensch ist nicht würdig, sondern lächerlich. Je würdiger er zu erscheinen versucht, desto lächerlich­er. Und dennoch, nur der in seiner Selbstfeie­r gestörte Künstler hat uns etwas zu sagen. Und so mag ich »Bach, von seinen Kindern gestört« von 1975 am liebsten in dieser umfangreic­hen Grützke-Werkschau. Dieses Bild ist nicht bloß tief menschlich, sondern im Sinne Nietzsches allzu-menschlich. Nicht witzig, sondern voller bodenlosem Aberwitz.

Auf diesem Bild thront dann Johann Sebastian Bach mit seiner barocken Perücke und ernstem Gesicht wie auf der Spitze einer Pyramide von sieben frech durcheinan­derstürzen­den Leibern. Die Gesichter der selbst gezeugten Bach-Brut demonstrie­ren grenzenlos­en Mutwillen zur Störung. Lauter kleine 68er, in denen Grützke sich selbst erkennt? Wer sich hier wie Bach-Vater dennoch erheben will, darf vor der Erniedrigu­ng keine Angst haben. Er wird sie – eine eigene Welt im Kopf – vielleicht nicht einmal bemerken.

Grützke sah alle Kunst in einem ewigen Dazwischen gefangen. Der Mensch ist nicht würdig, sondern lächerlich.

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Abb.: VG Bild-Kunst, Bonn 2017
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Foto: VG Bild-Kunst, Bonn 2017 Johannes Grützke: Walter Ulbricht (1970)

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